Nancy Faeser:Die hessische Versuchung

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"Mein Herz ist in Hessen", hat Nancy Faeser (SPD) im Mai gesagt. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Bleibt sie Bundesinnenministerin? Oder tritt sie 2023 in Hessen als Spitzenkandidatin an? Der Druck auf Nancy Faeser, sich zwischen Berlin und Wiesbaden zu entscheiden, wächst von allen Seiten.

Von Markus Balser, Hannover

Dass es um brandgefährliche Themen gehen würde, war Bundesinnenministerin Nancy Faeser klar. Mit ihren Innenminister-Kollegen von der SPD wollte sie am Dienstag über einen besseren Katastrophenschutz bei großen Waldbränden beraten. Auch die Sorge um eine Vereinnahmung von Protesten durch Extremisten wächst. Als die SPD-Politikerin dann im Alten Rathaus von Hannover zur Pressekonferenz kam, stand aber auch eine Frage im Raum, die für sie selbst zum Problem werden könnte: Will Faeser als mögliche Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl nach Hessen wechseln?

Schon seit Monaten wird Faeser in Wiesbaden als aussichtsreichste Kandidatin gehandelt. Um gegen Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und den ebenfalls populären Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von dessen Koalitionspartner Grüne eine Chance zu haben, müsste die SPD ein ebenfalls bekanntes Gesicht ins Rennen schicken - am besten eine Frau. Viele in der hessischen SPD hoffen auf Faeser. Doch die Innenministerin legt sich bislang nicht fest.

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So viele Themen wollte die Innenministerin anpacken: Cybersicherheit, Rechtsextremismus, Hilfe für Flüchtlinge. Nur, alles was sie tut, verpufft sonderbar wirkungslos. Nancy Faeser kämpft, auch gegen den Ruf, sie sei sowieso bald wieder weg.

Von Markus Balser und Constanze von Bullion

"Mein Herz ist in Hessen", hat sie zwar bei einem Landesparteitag im Mai gesagt. Das klang wie ein Versprechen. Ob sie sich schon entschieden habe anzutreten, wird Faeser am Dienstag ein Jahr vor der Wahl dort gefragt. Faeser könnte ihre Gemütslage erklären oder einen Zeitplan. Die Ministerin sagt jedoch zu dem Thema nur ein Wort: "Nein."

Die schmallippige Reaktion macht die Nöte klar, in denen Faeser steckt. Denn der Druck wächst von allen Seiten. In Hessen läuft der Wahlkampf an - bislang aber ohne SPD-Gesicht. Wie bislang geplant erst im Februar einen Spitzenkandidaten zu wählen, erscheint manchem in der SPD zu spät. Wirft Faeser ihren Hut in den Ring, wären aber nicht nur die Koalitionspartner in Berlin vergrätzt. Sie bekämen das Gefühl, die SPD nutze den wichtigen Posten als Sprungbrett für eine Landtagswahl. Faeser könnte gezwungen sein, ihren Posten zu räumen, was aber die Koalitionspartner eigentlich gar nicht wollen. Die SPD-Ministerin genießt vor allem bei den Grünen, aber auch in der SPD einen guten Ruf. Vertraute sehen inzwischen angesichts der Gemengelage eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Faeser in Berlin bleibt. Doch noch sei nichts entschieden.

Hohe Energiepreise, Inflation: Die Wut im Land könnte wachsen

Damit liegt weiter Unsicherheit über einem Amt, das eigentlich Sicherheit schaffen soll. Das Innenministertreffen machte am Dienstag klar, dass der Posten in den kommenden Monaten volle Aufmerksamkeit verlangen wird. Denn die Sorge in Berlin, aber auch in den Landeshauptstädten wird immer größer, dass mit Inflation und steigenden Energiepreisen die Wut im Land wachsen und Extremisten sich das zunutze machen könnten. Die Bundesregierung beobachte "extremistische Mobilisierungsversuche", warnte Faeser.

Energieknappheit und deutlich gestiegene Lebenshaltungskosten könnten sich auf die Lage der inneren Sicherheit auswirken. Extremisten würden intensiv versuchen, Proteste zu vereinnahmen, heißt es in Sicherheitskreisen. Mit der AfD versuche ja auch bereits eine bundesweite Partei, "Treibstoff zu ziehen aus den Sorgen der Menschen", sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Der SPD-Politiker bezeichnete das als "völlig daneben."

Zudem droht ein handfester Ampelkoalitionskonflikt in der Innenpolitik. Denn Faeser will die Vorratsdatenspeicherung rasch wiedereinführen. Es gehe etwa darum, schwere Missbrauchsfälle zu ahnden oder auch Anschläge zu verhindern. Doch FDP und Grüne lehnen das bislang ab. Die Vorratsdatenspeicherung gilt als wichtiges Instrument zur Aufklärung von Straftaten. Sie ist jedoch auch umstritten, weil sie Kommunikationsanbieter verpflichtet, ohne Anlass personenbezogene Daten zu speichern. In der kommenden Woche will der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung zur umstrittenen deutschen Regelung verkünden, die seit 2017 auf Eis liegt. Danach will Faeser einen Vorschlag zur Neuregelung präsentieren. Es sei für die Aufklärung von Verbrechen zwingend, die IP-Adressen zu kennen, sagte Faeser am Dienstag.

Entschlossen bekämpfen wollen die Innenminister in den kommenden Jahren auch die zunehmende Waldbrandgefahr. Derzeit laufe die Neubeschaffung von 44 Hubschraubern für die Bundespolizei, die mit 3000 Litern ein großes Fassungsvermögen für Löschwasser hätten, sagte Faeser. Darüber hinaus werde sich Deutschland dem EU-Programm RescEU anschließen und will die Stationierung von EU-Löschflugzeugen in Deutschland beantragen.

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