Wahl im Herbst 2023:Hessische Experimente

Wahl im Herbst 2023: Die Finanzstadt Frankfurt trägt zum wirtschaftlichen Erfolg Hessens bei. Mit ihrem Flughafen sorgt sie allerdings immer wieder für Konflikte in der schwarz-grünen Koalition.

Die Finanzstadt Frankfurt trägt zum wirtschaftlichen Erfolg Hessens bei. Mit ihrem Flughafen sorgt sie allerdings immer wieder für Konflikte in der schwarz-grünen Koalition.

(Foto: Michael Probst/AP)

Wiesbaden gilt als Politiklabor. Einst gingen SPD und Grüne dort ihre erste Koalition ein. Später galt Schwarz-Grün als mögliches Vorbild für den Bund. Und nun?

Von Gianna Niewel

Es ist noch nicht lange her, da galt Hessen als Politiklabor. In Umfragen zur Bundestagswahl lag Armin Laschet vorne, in der Hauptstadt schien alles möglich, und so beugten sich die Journalistinnen und Journalisten 2021 über den Wiesbadener Landtag, wo CDU und Grüne gemeinsam regieren. "Hessen als Modell für Berlin?", fragte nicht nur der Deutschlandfunk.

Einige Monate später, am Abend der Bundestagswahl, wurde die Union nicht stärkste Kraft und die Grünen nicht stark genug. Seither ist die Ampel in Berlin ein eigenes Politiklabor.

Und in Wiesbaden?

Am 8. Oktober wählen die Hessinnen und Hessen einen neuen Landtag, und gerade sieht es nicht so aus, als hätten sie Lust auf Experimente - zumindest nicht in der Staatskanzlei. Die CDU liegt bei 32 Prozent, die Grünen bei 22 Prozent, die SPD bei 20 Prozent. Andererseits sind es noch vier Monate bis zur Wahl, auch in Wiesbaden sind andere Koalitionen möglich.

Das erste Mal galt Hessen 1985 als Politiklabor, damals fanden sich SPD und Grüne zu einer Koalition zusammen, die erste dieser Art auf Landesebene. Joschka Fischer ließ sich damals in Turnschuhen vereidigen. Knapp drei Jahre später war die Koalition so zerstritten - unter anderem über Atomanlagen -, dass sie zerbrach. Die folgende Wahl gewann die CDU.

Überhaupt die CDU. Seit 1999 regiert sie das Land, erst mit Roland Koch, dann mit Volker Bouffier, der übergab das Amt im vergangenen Jahr an Boris Rhein.

Wahl im Herbst 2023: Volker Bouffier (rechts) stellt nach seiner Rücktrittsankündigung im Februar 2022 den damals noch designierten Nachfolger Boris Rhein vor.

Volker Bouffier (rechts) stellt nach seiner Rücktrittsankündigung im Februar 2022 den damals noch designierten Nachfolger Boris Rhein vor.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Rhein eröffnet seither Volksfeste, überreicht Verdienstorden, macht sich bekannt zwischen Kassel und Darmstadt, bekannt in einem Land, in dem nur wenige Menschen sich an seine Laufbahn erinnern dürften: Innenminister von 2010 bis 2014, Wissenschaftsminister von 2014 bis 2019, zuletzt Präsident des Landtags. Dass seine CDU in Umfragen zehn Prozentpunkte vorne liegt, dürfte er allerdings nicht nur seinem regen Händeschütteln verdanken, sondern auch dem guten Bundestrend. Aber wie verlässlich ist der?

Wahl im Herbst 2023: Würde Rhein gerne ablösen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Würde Rhein gerne ablösen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

(Foto: Andreas Arnold/dpa)

Seine Herausforderin Nancy Faeser (SPD) hat in den nächsten Monaten ein anderes Problem. Sie will während des Wahlkampfes Bundesinnenministerin bleiben und nur dann nach Wiesbaden zurückkehren, wenn sie die Wahl gewinnt. Umso geschlossener müssen die Mitglieder für sie werben, umso entschlossener müssen sie glaubhaft machen, dass ihre Spitzenkandidatin sich auch in 580 Kilometer Entfernung für die Heimat interessiert. War sie nicht 18 Jahre lang Landtagsabgeordnete? In der SPD war sie - trotz dieses Dilemmas - auch deshalb unumstritten, weil die Partei nach all den Jahren in der Opposition niemanden sonst mit ihrer Bekanntheit hat. Und Bekanntheit kann im Wahlkampf entscheidend sein.

Wahl im Herbst 2023: Will auch nicht mehr nur Juniorpartner sein: Der Grüne Tarek Al-Wazir mit einem Paar Turnschuhe, dass ihm bei seiner Kür zum Spitzenkandidaten geschenkt wurde.

Will auch nicht mehr nur Juniorpartner sein: Der Grüne Tarek Al-Wazir mit einem Paar Turnschuhe, dass ihm bei seiner Kür zum Spitzenkandidaten geschenkt wurde.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

Entscheidend ist die Wahl auch für die Grünen, die in Wiesbaden seit 2014 mitregieren und jetzt gerne selbst in die Staatskanzlei einziehen würden. Nur: Danach sieht es gerade nicht aus. Für den Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir wird es deshalb auf mehrere Dinge ankommen. Können die Grünen sich von ihrem Koalitionspartner absetzen? Stehen sie geschlossen hinter Al-Wazir? Der hatte gerade der Basis in den vergangenen Jahren einiges zugemutet, etwa mit seiner Zustimmung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens, er sagt von sich selbst, er sei "nicht so der Typ Kreuzberg, sondern eher das Modell Doppelhaushälfte". Und nicht zuletzt: Wie entwickelt sich der Bundestrend?

Vier Monate vor der Landtagswahl in Hessen ist es zu früh, um zu sagen, wie sie voraussichtlich ausgehen wird. Wie experimentierfreudig die Menschen wählen, wie experimentierfreudig die Parteien sondieren. Die aktuelle Koalition hat sich zuletzt immer wieder aneinander gerieben, zuletzt als Manfred Pentz, der Generalsekretär der hessischen CDU, bei Twitter über den "Heizungs-Hammer" von Robert Habeck klagte, woraufhin ein Abgeordneter der Grünen ihm vorwarf, er verbreite Lügen, das sei ein "erbärmliches Niveau". Dabei sind, man vergisst das leicht, auch in Hessen andere Koalitionen möglich.

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