Hessen:Jahrestreffen in Moll

Die Landes-SPD versucht, sich in mieser Lage Mut zu machen. Doch der Ex-Bundeschef trübt die Laune ebenso wie die aktuelle Chefin.

Von Susanne Höll, Friedewald

Einmal im Jahr treffen sich die hessischen Sozialdemokraten im Februar im dann unwirtlichen nordhessischen Friedewald. Seit zehn Jahren pflegen Sozialdemokraten aus dem Land, dem Bund, den Kommunen und aus Europa diesen Brauch, in guten wie in schlechten Zeiten. 2018 war ein besseres Jahr, die Sozis waren gut gelaunt, rechneten sich Chancen bei der Landtagswahl im Oktober aus. Doch die kurze Periode des Frohsinns ist vorbei, die Landtagswahl endete für sie in einem Fiasko. Es sei momentan nicht leicht für die Sozialdemokraten, stimmt Günter Rudolph, der Geschäftsführer der Landtagsfraktion, im Moll-Ton auf die Veranstaltung ein. Stimmt. Die Hessen-SPD muss um ihre Existenz als Volkspartei kämpfen, sie steht vor einer Zeitenwende.

Offizielles Thema des Stelldicheins war die Europawahl im Mai. Für die Roten kein sonderlich schönes Thema, sie müssen nach Umfragen befürchten, ihr Ergebnis der letzten Wahl fast zu halbieren und bei nur noch 15 Prozent zu landen. Ob die Hessen-SPD dann tatsächlich wieder zwei Abgeordnete in das Europaparlament schicken wird, ist fraglich. Der deutsche Ko-Spitzenkandidat Udo Bullmann, gebürtig aus dem mittelhessischen Gießen, kann allerdings fest mit seiner Rückkehr nach Brüssel rechnen. Der 62-Jährige ist auch in Friedewald, hält ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa und die Sozis. "Wir müssen die Leute begeistern. Wir sind die Europapartei", ruft er. Viel Zustimmung. Wie genau man die Euphorie der Bürger am 26. Mai zu wecken gedenkt, insbesondere die der EU-Skeptiker bleibt am Wochenende in Friedewald allerdings offen.

Die kritischen Worte des Ex-Vorsitzenden Gabriel finden sie in Friedewald fast unerträglich

Die Europapolitik ist sperrig, als Gesprächsstoff aber zweifellos angenehmer als eine schmerzhafte Analyse der Lage, in der sich die Partei im Bund und in Hessen befindet. Auf die wenig schöne Situation in Berlin geht man in Friedewald in großer Runde nur kurz, dafür aber sehr bündig ein. Dass sich der Ex-Chef Sigmar Gabriel mit kritischen Worten zu den neuen Sozialstaatsideen und dem Verbleib der SPD in der Bundesregierung äußerte, finden die Hessen-Sozis nahezu unerträglich. "Ich kann und mag es nicht mehr sehen, wie sich die Leute aus den eigenen Reihen von hinten in die Kniekehlen treten", ruft Bullmann in den Saal. Er erntet dafür den größten Beifall des Abends. Einer seiner Kollegen stöhnt in kleiner Runde: "Da geht es mal etwas aufwärts für uns und er schlägt dazwischen". Die Rentenpläne von Sozialminister Hubertus Heil und die übrigen Ideen zum Sozialstaatsumbau schienen dem Ansehen der Bundes-SPD zu nutzen; doch Gabriel, so sehen es die nach Aufschwung lechzenden Genossen im alten Schloss, lenkt die Blicke wieder auf die eher unersprießliche Personalpolitik.

Dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder sich öffentlich für Gabriel einsetzt und der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles schlechte Noten erteilt, findet man weniger empörend. Man solle doch mal in einen Ortsverein gehen und sich umhören, was man über die Chefin denke, rät ein Genosse. "Die ist bei der Basis durch. Das wird leider nichts mehr", fügt er hinzu. Spätestens seit der Landtagswahl ist die Hessen-SPD auf Nahles äußerst schlecht zu sprechen. Dass sie große Schuld am schlechtesten Ergebnis der Landespartei von knapp 20 Prozent trägt, gilt als ausgemacht.

Thorsten Schäfer-Gümbel will im Sommer verkünden, ob er noch einmal für den Vorsitz kandidiert

Für die Hessen-Sozis geht es nun um eine achtbare Existenz. Am regulären Ende der Legislatur, also 2024, werden sie ein Vierteljahrhundert in der Opposition gewesen sein, in ihrem einstigen Stamm- und Vorzeigeland, wohlgemerkt. Die Bedeutung der Partei bröckelt in einem weiteren großen westdeutschen Flächenland. In Bayern und Baden-Württemberg ist mit ihnen ohnehin kein Staat mehr zu machen.

Zudem ist die Landespartei in großen finanziellen Schwierigkeiten. Nach dem schlechten Wahlergebnis fehlt ein großer Batzen in der Kasse, pro Jahr angeblich 300 Millionen Euro. Größere Kampagnen sind nicht bezahlbar, dafür leistet sich Hessen immer noch eine ebenso kostspielige wie unzeitgemäße Parteistruktur. Noch immer haben die beiden Bezirke Nord und Süd weitgehend das Sagen, das Geld und viele hauptamtliche Mitarbeiter. Ein anachronistischer Zustand in einer schrumpfenden, überalterten Partei, findet Landespartei- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel. Bis zum Sommer will er eine Strukturreform durchsetzen, die die Bezirke im Prinzip erhält, ansonsten aber der Landespartei mehr Einfluss gibt. Die Begeisterung im Norden und Süden Hessens hält sich in Grenzen.

Im Sommer wird auch eine andere wegweisende Entscheidung erwartet. Schäfer-Gümbel, der dreimal vergeblich versucht hat, Ministerpräsident in Wiesbaden zu werden, will dann, so heißt es, verkünden, ob er im Herbst abermals für den Landesvorsitz kandidiert. Noch will ihm niemand aus den eigenen Reihen den Posten streitig machen, er ist beliebt, seine Loyalität geschätzt. Wie die Dinge liegen, könnte ihm Generalsekretärin Nancy Faeser folgen, vorausgesetzt, sie steht zur Verfügung.

Bis dahin werden sich die Sozis zwischen Kassel und Darmstadt mit der Frage quälen, die einer von ihnen in Friedewald stellt. "Wie erreichen wir die Herzen der Menschen?", will der Herr wissen. Eine Antwort erhielt er nicht.

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