Hessen:Dünne Akten, dicke Freundschaft

Die hessische Opposition empört sich über die Personalentscheidungen von Innenminister Bouffier - doch Regierungschef Koch hält zu ihm.

Marc Widmann

Er ist ein treuer Gefährte von Ministerpräsident Roland Koch, und er steckt in Schwierigkeiten. Mal wieder. Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) soll einen "Rechtsbruch" begangen haben, schimpfen SPD und Grüne; die Linke fordert gleich seinen Rücktritt. Vieles spricht dafür, dass sich zumindest ein Untersuchungsausschuss im Landtag bald mit der Frage befasst, ob Bouffier rechtswidrig einen Parteifreund befördert hat.

Als neuen Chef der hessischen Bereitschaftspolizei kürte der Minister im Juli 2009 den CDU-Mann Hans Langecker. Der stammt wie Bouffier aus Gießen, sitzt dort im Kreistag und war Vizepräsident der örtlichen Polizei.

Mitbewerber klagte

Ein anderer Bewerber hielt sich allerdings für mindestens ebenso gut geeignet und klagte schon Ende 2008 gegen die Entscheidung. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab dem Konkurrenten recht. Ausdrücklich untersagten die Richter Bouffier, "bis zum Abschluss eines erneuten Personalauswahlverfahrens" seinen Parteifreund "vorzuziehen und ihn zu befördern".

Doch so ein "ordentliches zweites Verfahren hat es nie gegeben", sagt jetzt Günter Rudolph. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion war diese Woche im Innenministerium, um sich die Akten des Vorgangs anzusehen - auf Einladung von Bouffier. Was er sah, hat ihn "entsetzt", ebenso die Innenexperten der Grünen und Linken. Viele erforderliche Dokumente hätten gefehlt, sagt Rudolph.

Stattdessen sah er nachträglich erstellte Erinnerungsvermerke von Beamten, datiert auf den März dieses Jahres. Sein Verdacht: "Der ganze Vorgang ist im Nachhinein konstruiert worden." Bis Montag um zehn Uhr fordern SPD und Grüne nun Antworten von Regierungschef Koch. Zum Beispiel dazu, wie er das "grob rechtswidrige" Verhalten seines Ministers bewerte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite wie sich Koch und Bouffier einst in einer Autobahnraststätte die Treue schworen.

Stabile Seilschaft

Bouffier selbst bewertet den Fall ganz einfach: Selbstverständlich habe es ein korrektes zweites Auswahlverfahren gegeben, man werde das aber in Zukunft besser dokumentieren. Auch die Staatskanzlei reagierte ungewöhnlich schnell. "Es gab keinen Rechtsbruch, auch wenn das noch so oft ohne jeden Beleg behauptet wird", erklärte Kochs Sprecher Dirk Metz und nannte die Angriffe schlicht "Klamauk". Der Minister genieße das "volle Vertrauen des Ministerpräsidenten". Er braucht es auch, wieder einmal.

Ein Film über Roland Koch und seinen Innenminister könnte denselben Titel tragen wie eine Folge von "Herr der Ringe": "Die Gefährten". Seit vielen Jahren sind sich beide verbunden. Im Hinterzimmer einer Autobahn-Raststätte schworen sie sich einst politische Treue, schlossen ein Bündnis mit aufstrebenden CDU-Nachwuchstalenten. Es war eine Art Beistandspakt. Fortan half man sich.

Echte Männerfreundschaft

Als Bouffier es 1987 nicht in den Landtag schaffte, überzeugte Koch seinen Vater, damals hessischer Justizminister, den vielversprechenden jungen Mann doch zum Staatssekretär zu machen. So geschah es. Und als Koch Spitzenkandidat für die Wahl 1999 werden wollte, zog Bouffier für seinen Freund freiwillig zurück. Obwohl er "telegener und charmanter wirkte als der Kopfmensch Koch", wie in einer Biographie über den heutigen Ministerpräsidenten zu lesen steht.

Das Bündnis hielt und Koch beförderte seinen treuen Gefährten sogleich als Chef ins Innenministerium, von wo aus er nach Meinung einiger Beobachter bis heute darauf hofft, Koch doch noch zu beerben. Falls Bouffier mittlerweile aber etwas ungeduldig sein sollte, lässt er es sich nicht anmerken.

Das Männerbündnis hielt auch zu Zeiten, als Bouffier schon einmal als Rücktrittskandidat gezählt wurde. Gerade einmal zwei Wochen zum Minister gekürt, wurde gegen ihn ermittelt: Er habe zwei Jahre zuvor als Anwalt Parteienverrat begangen und in einer Scheidungssache gleich beide Kontrahenten beraten. 8000 Mark Strafe musste er zahlen.

Zu dieser Zeit fiel Bouffier bereits durch zielstrebige Personalpolitik auf: drei Regierungspräsidenten, drei Polizeipräsidenten plus den Verfassungsschutzchef setzte er nach dem Regierungswechsel kurzerhand vor die Tür. Doch kann man diese Fälle mit den heutigen Vorwürfen schwer vergleichen. Die geschassten Männer waren politische Beamte, die ein Minister praktisch nach politischem Gutdünken benennen kann. Der Chef der Bereitschaftspolizei ist das nicht.

Dass Koch seinen Getreuen nun fallenlässt, erwartet in Wiesbaden kaum jemand. Der Ministerpräsident gilt als loyaler Chef. Bouffier dürfte die Affäre aber noch einige Zeit begleiten. Selbst der Regierungspartner FDP zeigte sich verwundert, wie schludrig in seinem Ministerium die Akten geführt werden.

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