Hessen:Aufbruch unter Schmerzen

Die gedemütigten Christdemokraten fügen sich noch einmal in eine schwarz-grüne Koalition. Kann das Bündnis fünf Jahre halten? Ja, wenn die Grünen Rücksicht nehmen.

Von Susanne Höll

Genau 179 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Bund. In Hessen waren CDU und Grüne vor fünf Jahren mit 106 Seiten ausgekommen. Diesmal ist das schwarz-grüne Bündnisabkommen fast doppelt so dick. Beruhigend ist das nicht. Viele Politiker sind immer noch der irrigen Ansicht, ein detailverliebter Text garantiere harmonische Arbeit. Das ist falsch. Die größten Irritationen werden durch unvorhergesehene Ereignisse irgendwo in der Welt in Koalitionen hereingetragen, oder durch irgendwelche innerparteiliche Verwerfungen. Der Seitenumfang darf aber auch als Zeichen dafür gewertet werden, dass sich die Koalitionäre für ungemütlichere Zeiten wappnen.

Die beiden Parteien können auf fünf insgesamt durchaus respektable Regierungsjahre zurückblicken. Vor einem halben Jahrzehnt hätte kein Mensch geglaubt, dass sich dieses so ungleich anmutende Bündnis über eine volle Legislatur halten würde, ohne nennenswerten öffentlichen Streit. Das ist vor allem dem Ministerpräsidenten Volker Bouffier zu danken, der den Grünen Erfolge nicht nur gönnte, sondern auch ermöglichte. In seiner Partei fand das nicht jeder toll. Damals waren die Christdemokraten noch stark. Das hat sich mit der Landtagswahl geändert.

Die Christdemokraten haben viele Stimmen verloren und müssen nun zwei Ministerposten an die Grünen abgeben. Das schmerzt. Dass Friedrich Merz nicht Vorsitzender der Bundespartei wurde, macht die Sache noch schlimmer. Der Sauerländer hat in Hessen noch immer viele Anhänger. Diese bedrückten Christdemokraten müssen sich nun mit einem deutlich gewachsenen Junior arrangieren, der emsig, manchmal streberhaft die hessische Welt nach seinen Vorstellungen zu verändern gedenkt.

Kann das noch einmal fünf Jahre gut gehen? Ja, das geht. Jedenfalls dann, wenn sich beide Seiten auf das neue interne Machtverhältnis einstellen können. Nun müssen die Grünen zur Abwechslung einmal der CDU Erfolge gönnen können. Denn die Koalition hat nur eine Mini-Mehrheit von einer Stimme. Ein einziger vergrätzter Christdemokrat kann das Bündnis platzen lassen, früher oder später. Die grüne Spitze, diszipliniert wie die alte Hessen-CDU, zeigt bislang keine Anzeichen von Arroganz. Ihre Aufgabe wird es sein, die eigene Basis in der nächsten Zeit vor Übermut zu bewahren.

Der Koalitionsvertrag ist, allen Kleinstbeschreibungen zum Trotz, eine gute Grundlage für gedeihliche Kooperation. Die Öko-Partei bekennt sich zur Stärkung der Wirtschaft, die Schwarzen lassen die Grünen bei der Windkraft und dem Umbau der Verkehrspolitik gewähren. Die Integration von Flüchtlingen soll vorangetrieben werden, auch mit mehr Deutschunterricht an den Schulen. Es gibt mehr Geld für Bildung und Wohnen, aber auch für die Polizei. In der heiklen Frage der sicheren Herkunftsstaaten wollten sich beide Parteien nicht wechselseitig überfordern. Deshalb bleibt diese Frage im Vertrag offen.

Höchstwahrscheinlich werden Parteitage von CDU und Grünen den Vertrag am Samstag billigen. Ein "Weiter so" des streckenweise behäbigen Regierungsstils der Vergangenheit aber wird es angesichts der neuen Kräfteverhältnisse wohl nicht geben. Das wäre gut für das Land und seine Bürger. Denn wer "Aufbruch im Wandel" zum Motto einer Koalition wählt, kann sich Zögern nicht leisten.

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