Herkunft:Eine Frage, die stigmatisieren kann

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Wer einen anderen Menschen verstehen will, kommt an der Frage "Woher kommst du?" nicht vorbei. (Foto: Rawpixel.com / Unsplash)

Darf man Fremde fragen: "Woher kommst du?" Ja, das darf man - aber nur mit  Feingefühl. Wer inquisitorisch wird, signalisiert Geringschätzung.

Kommentar von Nicolas Richter

Woher kommst du?" ist eine der schönsten Fragen, die es gibt. Sie kann Ausdruck menschlicher Neugier sein, von einem offenen Geist und Herzen zeugen, kann am Anfang einer Bekanntschaft, einer Beziehung stehen. Wer einen Fremden trifft, kann damit das Eis brechen. Wer einen anderen Menschen verstehen will, kommt an dieser Frage nicht vorbei. Und wer selbst eine neue Sprache lernt, muss diesen Satz kennen, weil er ihn als Fremder in einem fremden Land selbst oft hören wird. Kaum eine Frage also ist so offen wie diese. Woher kommst du? - darauf gibt es auf dieser Welt unzählige Antworten.

Allerdings gibt es auch unzählige Arten, diese Frage zu stellen. Je nachdem wie man sie stellt, kann sie Offenheit und Interesse ausdrücken, aber auch, und das ist ihre dunkle Seite, Taktlosigkeit, Geringschätzung, Kontrollwahn, sogar Rassismus. Es ist deswegen eine ewige Debatte: Darf man Fremde mit "Woher kommst du?" ansprechen? Jüngster Anlass war, dass Dieter Bohlen als Juror einer Talentshow ein kleines Mädchen mit asiatischem Aussehen fragte, woher es denn komme. "Herne", antwortete es, worauf Bohlen es mit weiteren Fragen danach traktierte, wo denn die Familie "gebürtig" herkomme. Bei vielen Zuschauern hinterließ dieser Auftritt des Einwanderungsbeamten Bohlen tiefes Unbehagen.

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Wer - besonders als weißer Mensch - die Untertöne von "Woher kommst du?" verstehen will, sollte jenen zuhören, deren Hautfarbe dunkler ist oder deren Namen anders klingen. Sie erleben oft, dass Wildfremde sie völlig unvermittelt nach ihrer Herkunft fragen, dass die Frage vor Geringschätzung trieft ("Was hast du denn hier verloren?"), oder dass in der Frage ein inquisitorischer Ton liegt, als solle der Befragte, obwohl er womöglich hier geboren wurde und einen deutschen Pass besitzt, jetzt gefälligst Familienstammbaum und Aufenthaltstitel vorzeigen.

Ob die Woher-Frage passt, hängt von der Wohin-Frage ab

So gefragt kann "Wo kommst du her?" durchaus übergriffig sein, als Machtinstrument jener, die sich in AfD-Manier für die Hausherren halten und einem vermeintlich Fremden verdeutlichen wollen, dass dessen Fremdheit erkannt wurde. Aus einer Frage wird so ein tückisches Alltagsgift, das unschuldig-interessiert daherkommt ("Man wird doch fragen dürfen"), in Wahrheit aber dem vermeintlich Fremden bedeuten soll, dass er einen interessanten Hintergrund vorweisen mag, hier aber bestenfalls geduldet wird.

Ob die Woher-Frage also passend ist, hängst von einer zweiten Frage ab, der Wohin-Frage. Nämlich: Wohin führt dieses Gespräch? Ist es ein Gespräch, das Respekt, Sympathie und Interesse signalisieren soll oder vielmehr Gönnerhaftigkeit und Geringschätzung? Die Hautfarbe einer Person allein sollte die Frage nicht erlauben, woher er oder sie denn komme, schon gar nicht gegenüber Kindern. Unterhält man sich hingegen länger mit jemandem, in einer Warteschlange, im Zug oder in der Gondel, spricht der Unbekannte zum Beispiel mit starkem Akzent und spielt selbst auf seine (andere) Heimat an, so ist eine taktvolle Frage erlaubt, vielleicht sogar erwünscht. Die meisten Menschen sprechen gern über sich und ihre Herkunft, solange sie sich dabei nicht vernommen oder bewertet sehen. Wenn "Woher kommst du?" mit Feingefühl gefragt wird, ist und bleibt es die Einstiegsfrage der Völkerverständigung.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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