Süddeutsche Zeitung

Herausforderung EU:Junckers schwerste Mission

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Der neue Präsident der EU-Kommission steht vor vielen Herausforderungen. Eine sticht heraus: Er muss die Bürger wieder mit Europa versöhnen.

Kommentar von Stefan Ulrich

So also sieht es aus, das neue Europa: Die Geschäfte führt Jean-Claude Juncker, ein Mann, der ein Vierteljahrhundert lang als Minister und Regierungschef der Steueroase Luxemburg wirkte und bereits bei EU-Treffen mitmischte, als viele heute wahlberechtigte Europäer noch gar nicht geboren waren.

Zur Seite steht dem neuen Kommissionspräsidenten ein Team, in dem ein britischer Konservativer die Banken kontrollieren, ein französischer Sozialist die Staatshaushalte überwachen und ein früherer spanischer Ölmanager das Klima schützen soll. Das Europaparlament hat eine Kommission abgesegnet, die voller Interessenkonflikte steckt. Ausgerechnet diese Mannschaft soll nun das Vertrauen der Menschen in die EU zurückgewinnen.

Genau besehen, ist freilich die ganze EU ein Interessenkonflikt. Sie soll geeint auftreten, obwohl Franzosen und Briten, Polen und Italiener, Griechen und Deutsche oft unterschiedliche Ziele verfolgen. Paneuropäer und Europaskeptiker leben in dieser Union zusammen, Etatisten und Neoliberale, Putin-Fürchter und Putin-Freunde, Klimaretter und Kohlekumpel, schwäbische Hausfrauen und mediterrane Lebenskünstler. Diese Vielfalt spiegelt sich in Junckers Kommission.

Die EU muss den Bürgern zeigen, dass sie ihnen nützlich ist

Mittendrin im Gewirr aus unterschiedlichsten Erwartungen und Mentalitäten muss die Kommission die europäischen Verträge hüten, die Regierungsgeschäfte führen und das Einigungswerk voranbringen - stets misstrauisch beäugt von 28 Mitgliedsländern, die sich als Herren der Verträge fühlen. Der Kabarettist Werner Schneyder meint: "Europa besteht aus Staaten, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, was sie selbst beschlossen haben." Das ist kaum übertrieben.

Daher darf es nicht verwundern, wenn die EU schwach, zerstritten, bürgerfern und bürokratisch wirkt. Erstaunlich ist vielmehr, was sie trotzdem leisten kann. Der scheidende Kommissionspräsident José Manuel Barroso war kein bedeutender Europapolitiker. Dennoch einigte sich die EU in seiner Amtszeit auf den Vertrag von Lissabon. Sie hielt, gewiss mit Mühen, der Finanz-, Wirtschafts- und Euro-Krise stand. Und sie beantwortete, wenn auch zögerlich, die russischen Übergriffe auf die Ukraine mit gemeinsamen Sanktionen. So schlecht ist diese Bilanz nicht.

Juncker ist ein stärkerer Politiker als Barroso. Er wird gegenüber Kanzlerin Angela Merkel und deren Kollegen in den Hauptstädten mehr Profil entwickeln. Er ist kein frischer, neuer Mann in Brüssel, aber erfahren, proeuropäisch, pragmatisch. Und er wurde dreifach legitimiert: durch die Bürger in der Europawahl, bei der er als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei antrat; durch die Staats- und Regierungschef, die ihn als Kommissionspräsidenten nominierten; und durch das Europaparlament, das seine Kommission jetzt bestätigte. Dort, im Parlament, wird Juncker von einer großen Koalition aus Sozialisten und Konservativen getragen, was ihn gegenüber den Staats- und Regierungschefs stärkt.

Juncker könnte ein Großer werden

So ausgestattet, könnte der Luxemburger ein großer Kommissionschef werden, wie es Jacques Delors war. Europa hätte es nötig. Denn die Herausforderungen, vor denen Juncker steht, sind für die EU lebensbedrohlich. Die Euro-Krise ist zurück, schwache Staaten wie Griechenland geraten wieder unter Druck, Italien und Frankreich quälen sich mit Reformen. Dies wird die Spannungen zwischen einem sparsamen Norden Europas und einem ausgabefreudigeren Süden verschärfen. Juncker muss da, mehr als Barroso, vermitteln und auch Argumente des Südens einbringen. Zugleich muss er darum kämpfen, dass wenigstens die EU überlebt, falls der Euro doch noch scheitert.

Schwierig wird es auch, die Briten in der Union zu halten, ohne faule Kompromisse einzugehen, etwa bei der Freizügigkeit. Mitgliedstaaten wie Ungarn, das autoritär abgleitet, sind auf die europäischen Werte zu verpflichten. Zudem hat die Kommission die EU auf neuen Streit mit Wladimir Putin vorzubereiten, wozu eine unabhängigere Energieversorgung gehört. Der Klimaschutz ist voranzubringen. Die Internet-Wirtschaft zu stärken. Vor allem aber wird Juncker daran gemessen, ob er die Bürger mit der EU versöhnt.

Europa ist kein Nationalstaat. Seine Bindungswirkung ist noch schwach. Es kann nicht auf Patriotismus setzen, sondern muss die Menschen überzeugen, dass es ihnen nützlich ist. Dies gelingt derzeit schlecht, weshalb Europaskeptiker und -gegner florieren - der Front National in Frankreich, die Ukip in Großbritannien, die AfD in Deutschland. Junckers Kommission muss dagegenzuhalten und dem, auf Deutschland gemünzten, Satz Hans-Dietrich Genschers Überzeugungskraft verleihen: "Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine."

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Quelle:
SZ vom 23.10.2014
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