Süddeutsche Zeitung

Kissinger-Biografie:Heiß auf den Kalten Krieg

Der Historiker und Amerikanist Bernd Greiner zeichnet in einer exzellenten Abhandlung nach, wie Henry Kissinger die US-Außenpolitik von Richard Nixon mitprägte - und wie die beiden im Weißen Haus wüteten.

Rezension von Franziska Augstein

Als Richard Nixon 1968 Wahlkampf führte, gaben seine Mitarbeiter ihm ein Memorandum mit: Die Vereinigten Staaten seien bisher zu defensiv gewesen. Es gelte, der Welt zu zeigen, wer Herr auf dem Globus ist: mittels kleiner Kriege, militärischer Machtdemonstrationen an den Grenzen der UdSSR und Chinas sowie in der Dritten Welt, psychologische Kriegsführung nicht zu vergessen. Nixon wurde 1969 als 37. Präsident der USA bestallt und kam auf den Autor des Memorandums zurück: Henry Kissinger.

Kissinger, 97 Jahre alt, gilt als Orakel der Realpolitik, als brillanter Historiker und Länderkenner. Sein Leben lang hat er verstanden, sich mit Mächtigen gut zu stellen. Nun hat der Historiker und USA-Experte Bernd Greiner dem Sicherheitsberater von Richard Nixon, dem Außenminister und späteren Berater zahlungskräftiger Kunden, dem Autor vieler Bücher ein bleibendes Denkmal gesetzt: Kissinger ist hochintelligent, ein exzellenter PR-Mann in eigener Sache, eher nicht bewundernswert. Greiners Buch kommt an diesem Donnerstag in die Buchhandlungen.

Die Eltern, gläubige Juden aus Fürth, hatten mit ihren zwei Söhnen Heinz Alfred und Walter Nazi-Deutschland 1938 rechtzeitig verlassen und bauten in New York eine bescheidene Existenz auf. Dass man mit dem Vornamen Heinz in Amerika bestenfalls Ketchup verkaufen konnte, hatte Kissinger schnell begriffen, seither heißt er Henry. Beim Studium in Harvard fand er zwei Mentoren. Der eine war William Elliott, ein Kalter Krieger erster Güte, der Kissingers Bachelor-Arbeit "The Meaning of History" schon deshalb mit der Bestnote auszeichnete, weil er darin seine eigenen Ideen wiederfand - "Was Geschichte ist": Sein Leben lang hat Kissinger es verstanden zu suggerieren, dass er das wisse.

Während des Zweiten Weltkriegs war er in Belgien eingesetzt, als Sergeant im US-Militärgeheimdienst. Diese Erfahrung genügte nicht, sein Ego einzuhegen. Laut Greiner hat er sich anschließend auf der Universität Harvard die Fingernägel bis aufs Blut abgekaut. Das macht nur, wer sich unsicher fühlt - oder wer brachial ehrgeizig ist. Harvard war damals ein Bildungszentrum für Kalte Krieger: Das "Russian Research Center" informierte, wie es um die Sowjetunion bestellt war und - so Greiner - "wie die USA dort Unruhe stiften könnten". Nachdem William Elliott den jungen Kissinger nach seinem Bilde geformt hatte, als "geistigen Sherpa für Amerikas Aufstieg zur Weltmacht", fand dieser neue Mentoren. Er begann als Berater John F. Kennedys; weil er da nicht weiterkam, wandte er sich den Republikanern zu. Also schrieb er das eingangs erwähnte Memorandum für Richard Nixon, und so wurde er 1969 dessen Sicherheitsberater.

Kissingers Mitarbeiter lernten, beiseite zu treten, wenn sie mit Gegenständen beworfen wurden

Einige Jahre lang hat Bernd Greiner an seinem Buch gearbeitet. Es ist viel mehr als eine exzellente Biografie, es bietet eine Darstellung der Grundzüge und Idiotien amerikanischer Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, sinnfällig gemacht anhand des Gespanns Nixon und Kissinger.

Der Watergate-Skandal hat Nixons Ruf dermaßen erledigt, dass die meisten bei Erwähnung seines Namens an Intrigantentum und Alkohol denken. Kissinger hat sein Teil dazu getan. Wenn es nach ihm geht, war er der Schöpfer der erfolgreichen Verhandlungen mit Russland und China Anfang der 1970er-Jahre. Greiner zeigt, wie es wirklich gewesen ist. Nixon bestimmte die Außenpolitik und konnte dabei Kissinger gut brauchen.

Die beiden waren eines Sinnes: begrenzte Atomkriege sind machbar; Aufrüstung ist nötig; und der Feind - die UdSSR - muss im Unklaren darüber gelassen werden, wie weit man zu gehen beabsichtigt. In Kissinger fand Nixon einen Gehilfen bei der Umsetzung seiner "Madman-Theorie". Die beschrieb der Präsident so: Im Kreml müsse man denken, "dass dieser Nixon vom Kommunismus besessen ist, dass man ihn nicht bändigen kann, wenn er wütend wird, und dass er obendrein den Finger auf dem Atomknopf hat".

Nixon war kein netter Arbeitgeber. Seinen Sicherheitsberater mit unflätigen, auch antisemitischen Beschimpfungen zu traktieren, war normal. Kissinger konnte devot sein und sich auf diesen Ton einschwingen.

Nixon bezeichnete seriöse Menschen als Clown, Strolch, Bastard, Hurensohn, Wahnsinniger, Arschloch, Luder, Dummkopf, Schwuchtel, Trampel, Pupser, Zwerg, Schweinepriester, Tussi, Wichser, Gauner, Mistkerl, Hure, Bandit, Kotzbrocken, Trottel, Schwanzlutscher, Ratte. Greiner hat 38 Schimpfwörter zusammengetragen und schreibt lakonisch, seine Liste dürfte "halbwegs vollständig" sein.

Es war üblich gewesen im Weißen Haus, heimlich Aufzeichnungen der dort geführten Gespräche zu machen. Zu Beginn seiner Amtszeit wollte Nixon das nicht fortführen. Als er aber mitbekam, dass Kissinger hinter seinem Rücken übel über ihn sprach, ließ er eine Abhöranlage installieren. 1973, als der Watergate-Skandal losgebrochen war, machte ein Vertrauter des Präsidenten das öffentlich.

Danach, so Greiner, "wurden die Aufzeichnungen eingestellt, zum Bedauern von Historikern und allen, die sich einen Sinn für unfreiwillige Komik bewahrt hatten". Diese Aufzeichnungen hätte Nixon besser nicht machen lassen: Sie führten zu seinem Abtritt, denn sie belegten unter anderem, dass er 1972 Einbrecher ins Wahlkampfbüro der Demokratischen Partei im Wohn- und Bürokomplex "Watergate" geschickt hatte. Per Beschluss des Obersten Gerichtshofs der USA mussten die Aufzeichnungen 1974 herausgegeben werden. Greiner hat sie studiert wie andere die Bibel.

Im Hinblick auf unverträgliches Verhalten stand Kissinger seinem Präsidenten nicht nach. Von 1969 bis 1973 drohte er mindestens 16-mal mit seinem Rücktritt. An haltloses Brüllen mussten seine Mitarbeiter sich gewöhnen; sie lernten, beiseitezutreten, wenn sie mit Gegenständen beworfen wurden. Greiner zeigt, dass Kissinger sich aufgeführt hat wie der Gockel auf dem Mist. Den damaligen Außenminister William Rogers suchte er kaltzustellen. Die Militärs im Pentagon fühlten sich von ihm erniedrigt. Das Gleiche galt für das führende Personal von CIA und FBI.

Vor Watergate hatte Richard Nixon das Heft in der Hand. Er war es, der darauf drang, mit der UdSSR und mit China ein Einvernehmen zu finden. "Tricky Dick" wollte beide Staaten gegeneinander ausspielen. Das hat recht gut funktioniert. Im übrigen war die damalige Außenpolitik der USA ziemlich verheerend, ja dümmlich.

Nixon und Kissinger haben den von den vorherigen US-Regierungen geerbten Krieg gegen Nordvietnam sinnlos in die Länge gezogen. Die beiden, so Greiner, "klammerten sich an eine zum Dogma erstarrte Maxime: Solange man nicht wie ein offenkundiger Verlierer dasteht, ist der Krieg gewonnen".

Greiner weiter: "Wie widerständig ein in Jahrzehnten des Unabhängigkeitskampfes genährter Nationalismus war, wie misstrauisch Hanoi trotz der neuen Waffenbrüderschaft die alte Kolonialmacht China beäugte, wie sehr die Berufsrevolutionäre um Ho Chi Minh auf Rückhalt in der Bevölkerung setzen konnten, wie der Machtapparat in Nordvietnam funktionierte und wer dort überhaupt das Sagen hatte - für derlei Fragen interessierte man sich in Washington schlichtweg nicht."

Sein Bestreben als Berater bestand darin, gegen die UdSSR zu arbeiten

Nicht besser war die US-Politik in Chile. 1970 wurde Salvador Allende zum Präsidenten gewählt. Weil er sozialistische (in der Praxis linksliberale) Ideen hegte, galt er im Weißen Haus als Erzfeind. Gegen den Rat von Diplomaten und Geheimdienstlern halfen Nixon und Kissinger, einen Putsch vorzubereiten. Kissingers Empfehlung: Man solle Allende "auf kalten Entzug setzen".

Auf Anweisung der USA gab die Weltbank Chile keinen Kredit mehr. US-Unternehmen erhielten bei Investitionen nicht mehr eine staatliche Rückversicherung (in Deutschland ist das bei Investitionen im Ausland die Hermes-Bürgschaft). Paramilitärische Organisationen bekamen von den USA die damals hohe Summe von acht Millionen Dollar geschenkt: Allende sollte gestürzt werden. Weil er rechtens gewählt worden war, sollte die Rolle der USA dabei aber nicht öffentlich werden. Allendes Nachfolger Augusto Pinochet unterhielt beste Beziehungen zu den USA.

Dass er Kritiker seines Regimes foltern und töten ließ, war für Kissinger nebensächlich. Er teilte Pinochet mit: "Mit dem Sturz Allendes haben Sie dem Westen einen großen Dienst erwiesen. Anderenfalls wäre Chile den Weg Kubas gegangen." Abgesehen davon, dass er selbst wichtig sein wollte, so Greiner, habe Kissingers Bestreben darin bestanden, gegen die Sowjetunion zu arbeiten. Kissinger sagte: "Sobald die Sowjetunion auftaucht, müssen wir beweisen, dass alle, die von der Sowjetunion unterstützt werden, ihre Ziele nicht durchsetzen können, egal, um welche Ziele es sich handelt."

Das zeigte sich auch bei seinen Verhandlungen mit Israel und Ägypten. Außenminister William Rogers hatte vorgeschlagen, "Israel solle aus den 1967 annektierten Gebieten abziehen", der "in Feindschaft vereinte Block seiner arabischen Nachbarn" solle Friedensverträge mit Israel schließen.

Das klingt wie eine gute Idee, aber weil sie von Rogers kam, war Kissinger dagegen. Mit seiner Pendeldiplomatie, für die er berühmt wurde, hat er dann 1973 - 74 den klugen, zugänglichen ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat sowie die Regierungen in Syrien, Israel und anderer Staaten dazu bewogen, einem Übereinkommen zuzustimmen, das auf eine "räumliche Trennung" der Streitkräfte auf den Golan-Höhen und im Sinai hinauslief.

Es hätte damals, so Greiner, die Chance gegeben, die Feindschaften der Staaten im Nahen Osten zu befrieden. Aus dieser Steilvorlage hat Kissinger aber nichts gemacht. Nachdem es ihm gelungen war, die Sowjetunion bei seiner Pendeldiplomatie außen vor zu halten, hatte er an Ägypten, Israel, Syrien, Jordanien kein Interesse mehr.

Zu jener Zeit war Nixon wegen des Watergate-Skandals schwer angeschlagen. Tatsächlich hatte nun Kissinger das Heft in der Hand. Er wurde Außenminister und überreichte Nixon 1974 die Bestätigung seiner Demission. Nixons Nachfolger Gerald Ford konnte wenig anfangen mit einem Minister, der intrigierte, rumbrüllte und dessen geopolitisches Interesse letztlich darin kulminierte, sich selbst in Szene zu setzen. Seit 1977 ist Kissinger politischer Berater, seine Firma Kissinger Associates floriert.

Am Ende seiner exzellenten und mit Esprit geschriebenen Biografie bemerkt Bernd Greiner, Kissinger habe den Kalten Krieg "am Leben erhalten, zu einer Zeit, als Alternativen in Gestalt der bundesdeutschen Ostpolitik oder des KSZE-Prozesses längst vorhanden waren". Im Hinblick auf Kissingers Machenschaften als Nixons Sicherheitsberater in Chile und andernorts schreibt er: "Und bisweilen zog er gegen die als naiv oder töricht Abgestempelten zu Felde, wenn sie seine politischen Kreise störten.

Es war eine Vorwärtsverteidigung gegen das Notwendige, aber bis heute Vertagte: Ihn wegen Mitverantwortung auch juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Die Tonbandprotokolle seiner Gespräche mit dem Präsidenten stehen als Beweismittel zur Verfügung."

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SZ vom 14.09.2020/odg
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