Süddeutsche Zeitung

Helmut Schmidt:"Die Spielräume der deutschen Politik werden gewaltig zunehmen"

Der verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt wird heute mit einem Staatsakt geehrt. Im Interview mit der SZ hat er ein politisches Testament hinterlassen.

Von Franziska Augstein

Helmut Schmidt, der am 10. November im Alter von 96 Jahren verstarb, wurde geschätzt für sein präzises Urteil. 2012 erklärte er seine Ansichten zu außenpolitischen Fragen. Die Vereinigten Staaten, sagte er, würden sich zunehmend von der Weltpolitik zurückziehen: Um 2050 werde die amerikanische Nation mehrheitlich aus Afroamerikanern und Latinos bestehen, die sich für Chancengleichheit mehr interessierten als für militärische Einsätze. Die Regierungen von China und Russland betrachtete er nicht als Gefahren für den globalen Frieden. Das machte er anhand eines Beispiels deutlich: Die USA besäßen elf atomar bewaffnete Flugzeugträger; "die Chinesen" hingegen, "haben bisher einen einzigen umgebauten alten Flugzeugträger zu Versuchszwecken". Schmidt schloss: "Die Gefahr geht mehr von Amerika aus als von China."

Die Zukunft der Europäischen Union betrachtete Schmidt mit Skepsis. Für den Erhalt des Euro hätte er seine Hand nicht ins Feuer gelegt. Er, der wirtschaftsfreundliche Sozialdemokrat, der vielen Parteigenossen zu "rechts" war, sprach sich für eine Transferunion aus: Als Kanzler habe er in den Siebzigerjahren Italien, als es in der Klemme war, zu einem großzügigen Kredit verholfen. Griechenland habe dasselbe verdient. Allerdings sei die Hilfe zu langsam gekommen. Wolle Europa angesichts der "Bevölkerungsexplosion" noch eine Rolle in der Welt spielen, müssten die Länder sich auf eine gemeinsame Politik einigen. Auch diesbezüglich war Schmidt indes skeptisch.

Von einem Sitz der Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat hielt er gar nichts: "Alles dummes Zeug!" Wegen der NS-Verbrechen dürfe Deutschland keine Atommacht werden; wenn Deutschland trotzdem einen Sitz im UN-Sicherheitsrat verlange, könnten etliche andere Länder das mit gleichem Recht auch tun.

Die Einigung der beiden deutschen Staaten ist in Schmidts Augen ökonomisch schlecht vonstattengegangen: "Die Deutschen habe letzten Endes die Wiedervereinigung nicht gut gemanagt. Sie haben die DDR völlig deindustrialisiert." Die Einrichtung der Treuhand samt ihrem Wirken hielt Schmidt für einen "schweren Fehler".

Helmut Schmidt war keiner, der gern über Privates sprach. Gefragt, ob er Erinnerungen an seine Zeit als Frontsoldat im Zweiten Weltkrieg habe, die ihm nachgingen, antwortete er: "Nein." Verfolgt hat ihn eine andere Erinnerung: Als Chef des Krisenstabs anlässlich der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut 1977 veranlasste er, dass das Flugzeug erfolgreich gestürmt wurde - aber das bedeutete, dass der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, den RAF-Terroristen als Geisel hielten, umgebracht wurde. Damit hat Schmidt in den kommenden Jahrzehnten und bis zu seinem Tod gehadert. Das Gespräch mit ihm führte Franziska Augstein im Juni 2012. Es ging um ein Buchprojekt, das nicht realisiert wurde.

Das ganze Interview lesen Sie mit SZ Plus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2749749
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/gba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.