Einem Heißluftballon fehlt etwas, worauf man wohl bei keinem anderen Gefährt verzichten würde: ein Steuer. Wesentliche Funktion eines jeden Gefährtes ist ja eigentlich, eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Da ist es ganz praktisch, wenn man mit einem Lenkrad oder Steuerknüppel vorgeben kann, wohin es denn gehen soll. Der Heißluftballon dagegen bewegt sich, wohin ihn die Umgebungsluft treibt. Der Pilot kann nur über den Gasbrenner und Luftventile beeinflussen, wie hoch er schwebt, um günstige Luftströmungen mitzunehmen.
Komplett abhängig von verbrennendem Gas, von den äußeren Verhältnissen getrieben - geht es da noch um Heißluftballons oder schon um Deutschland? Gewissermaßen um beides, denn die Krisen, die dieses Land erschüttern, wirbeln nun auch in der Heißluftfahrt einiges durcheinander. Per Pushnachricht verbreiteten Lokalmedien dieser Tage die Nachricht: Die 30. Warsteiner Internationale Montgolfiade in Nordrhein-Westfalen, eine Art sauerländisches Volksfest mit (ballon-)sportlichem Anspruch, wird abgesagt. Schon wieder. Dieses Mal aber nicht wegen Corona, sondern wegen des Gases.
In normalen Zeiten würden sich im September Dutzende Ballone von den Wiesen erheben, morgens und abends, tagelang. Sobald sich die Dämmerung über die Hügel legte, würden die Gasbrenner dann noch einmal angefeuert und Hunderttausende Besucher die Spätsommerabende beim sogenannten Ballonglühen ausklingen lassen: Die Nylonhüllen leuchten dann wie gigantische Laternen in der Dämmerung.
Doch in diesem Jahr wird gar nichts leuchten. "Wir sind in einer Zeit, in der wir alle gefordert sind, Energie zu sparen", sagt Catharina Cramer. Sie ist Inhaberin der Warsteiner Brauerei und damit Veranstalterin der Montgolfiade, die über drei Jahrzehnte hinweg zu internationalem Ruf gekommen ist. Zum Jubiläum sollte auch der Spezialballon der Brauerei wieder in die Luft steigen, eine Sonderform mit sechs Biergläsern ("Tulpen" genannt) auf einem Tablett.
Aber an gasbefeuerten Biertulpen hängend über die Hügel zu schweben, scheint einfach nicht in die Zeit zu passen. Das Gas ist knapp, schon jetzt steigen die Preise für Privathaushalte und Unternehmen enorm. Unklar ist, ob die Lieferungen aus Russland bald sogar ganz eingestellt werden. Die Absage der Montgolfiade in Warstein ist also ein großer symbolischer Schritt - allerdings auch, weil Ballone gar nicht mit Erdgas betrieben werden. Tatsächlich handelt es sich um Propangas, das eine andere chemische Zusammensetzung hat und auf unterschiedliche Arten gewonnen werden kann. Weil man damit aber sehr gut heizen könne, sei es "eine wertvolle Energieform, die in der aktuellen Notlage nicht unnötig verschwendet werden sollte", heißt es in einer Mitteilung der Montgolfiade.
Diese soll im kommenden Jahr nachgeholt werden, wenn die Gaskrise hoffentlich überwunden ist. Dann wird nicht nur ballonsportlich um die Wette gefahren, sondern es werden auch Sonderformen wie die Biertulpen, Feuerwehrautos oder Schraubenzieher präsentiert. Ob ein ganz spezieller Ballon mit der Kennung RA-0021R dann auch wieder dabei sein wird, ist allerdings nicht klar: 68 Meter ist er hoch, Sonderform Kreml-Turm.