Heiner Geißler:"Es ist nichts Revolutionäres passiert"

Heiner Geißler

Heiner Geißler auf einem Archivbild

(Foto: picture alliance / dpa)

Ex-CDU-General Heiner Geißler ist angesichts des Wahlerfolgs der AfD tiefenentspannt - allerdings habe diesen erst die CSU ermöglicht.

Interview von Lars Langenau

Heiner Geißler, 86, hat als CDU-Generalsekretär von 1977 bis 1989 polarisiert. Erstmals wurde er 1967 Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz, später auch unter Helmut Kohl von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im ersten schwarz-gelben Kabinett. In den jüngsten Jahren näherte er sich Positionen der globalisierungskritischen Attac an und war mehrfach als Schlichter tätig - auch im Konflikt um das heiß umstrittene Projekt Stuttgart 21, den er erfolgreich befrieden konnte.

SZ: Freuen Sie sich über die hohe Wahlbeteiligung in allen drei Bundesländern?

Heiner Geißler: Natürlich ist es gut, dass die Wahlbeteiligung so hoch war, aber ansonsten besteht kein Grund zur Freude. Es ist eine Menge daran auszusetzen, wie das zustande gekommen ist.

Bei den Landtagswahlen hat die AfD überall zweistellige Ergebnisse eingefahren. Viele AfD-Wähler waren vorher Nichtwähler. Wir machen die Demokratie lebendig, behauptet Frau Storch. Ein Grund zur Beunruhigung?

Gestern ist nichts Revolutionäres passiert. Als ich in den 60er Jahren Minister in Rheinland-Pfalz war, saßen mehrere NPD-Abgeordnete im Landtag. 1992 hatten die Republikaner mit knapp elf Prozent im baden-württembergischen Landtag auch schon ein zweistelliges Ergebnis.

Damals wurden NPD und Republikaner ausgegrenzt, die Schill-Partei in Hamburg von der CDU hingegen in die Regierung eingebunden.

Die Schill-Partei war ein lokales, nicht vergleichbares Phänomen, das viel mit diesem Amtsrichter zu tun hatte, der Leute bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 20 Prozent ins Gefängnis stecken wollte.

Also kein Grund zur Beunruhigung?

Es gibt eben auch in Deutschland einen rechten Rand, der gegen Flüchtlinge, Europa, Frauenrechte, für die Prügelstrafe und autoritäre Erziehung ist. Es ist eine Mentalität, die in jeder Gesellschaft vorhanden ist. Wenn sich dazu noch Unzufriedene gesellen, dann kommt man eben auf diese Ergebnisse. Immerhin haben aber 85 Prozent der Menschen demokratisch gewählt.

Sie halten die AfD für eine Eintagsfliege?

Jedenfalls rate ich zur Entspannung. Das mit der AfD kann noch ein wenig andauern, weil die Aktivierung vieler Menschen durch die Flüchtlingspolitik entstanden ist. Und hier muss klar gesagt werden, dass sich das nicht an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin entzündete.

Jetzt überraschen Sie mich.

Nein. Grenzblockaden, Absperrungen mit Nato-Stacheldraht kann man doch als seriöse Alternative vergessen. Im Herbst gab es eine durchaus kritische, aber dennoch positive Stimmung in Deutschland, die sich auch im unglaublichen Aufwand der Freiwilligen in der Flüchtlingshilfe zeigte. Doch dann gab es von meinem alten Freund Horst Seehofer Parolen, die später als Stichworte für Pegida und die AfD gedient haben.

Die CSU trägt eine Mitschuld

Sie geben der CSU eine Mitschuld am starken Abschneiden der AfD?

Sie haben die Aussage der Kanzlerin 'Wir schaffen das' in Zweifel gezogen. Die CSU hat behauptet, 'wir schaffen es eben nicht' und der Weg von Merkel werde ins Chaos führen. Ohne dass Seehofer dafür den geringsten Beweis geliefert hätte. Durch die Aussage von so einer gewichtigen Person ist die Skepsis vieler Menschen gestiegen und die Verunsicherung wurde in die Union hineingetragen. Die Querschläger aus München haben nur dazu geführt, den politischen Gegner der CDU zu befähigen, die eigenen Leute gegen die Kanzlerin auszuspielen. Und eine Partei, die ihrer eigenen Kanzlerin in den Rücken fällt, wird von den eigenen Anhängern dann nicht mehr gewählt. Besonders nicht von Konservativen.

Es gibt jetzt aber auch die Kommentare, dass die CSU bundesweit fehle.

Die kommen aber ein paar Kilometer über den Main nicht hinaus. Bereits in den 80er Jahren hatten wir die gleiche Situation mit Franz Josef Strauß, der immer gegen die CDU geschossen hat. 1983 hat die CDU daraufhin ihr Statut geändert und kann nun bei jeder bayerischen Wahl antreten.

Könnte ...

Natürlich will das niemand. Aber wieso besuchte Seehofer vor ein paar Wochen Wladimir Putin zeitgleich mit den Beratungen der EU-Regierungschefs, die über eine Lösung der Flüchtlingsfrage beraten? Dabei weiß man doch, dass Putin die Europäische Union zerstören will? Das war alles für die Kanzlerin und die CDU außerordentlich schädlich.

Baden-Württembergs CDU-Spitzenkandidat Wolf macht nun aber gerade die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für das Ergebnis verantwortlich. Was hätten Sie ihm als Generalsekretär gesagt?

Schon vor Wochen hätte ich ihn gewarnt, dass er sich ins eigene Knie schießen wird. Die Menschen in Baden-Württemberg sind durchaus konservativ gesinnt, aber sie mögen es nicht, wenn die eigenen Leute der Kanzlerin in den Rücken fallen. Vielleicht sind viele mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden, aber die wollen, dass Merkel Kanzlerin bleibt. Und wenn dann die Grünen und die SPD ihren Kurs unterstützen, dann wählen sie eben Grün.

Was empfehlen Sie Wolf und Klöckner?

Sie wissen selbst genau was los ist. Man kann nicht mit Varianten einer ursachen- und europaorientierten richtigen Flüchtlingspolitik der AfD das Wasser abgraben. Wer die AfD will, der wählt das Original. Grenzschließung ist zudem kein sympathisches Thema und die Menschen kapieren gerade in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, dass wir vom Export und von den Pendlern aus den Grenzregionen abhängig sind. Wenn die Obergrenze der CSU realisiert wird, dann können wir hier den Laden dichtmachen. Die Umsetzung der CSU-Vorschläge wäre ein riesiges Arbeitsvernichtungsprogramm.

Für Grün-Schwarz in Baden-Württemberg

Erstmals sind selbst große Koalitionen nicht mehr möglich.

Die SPD in Baden-Württemberg ist noch nie eine richtige Volkspartei gewesen. Dafür gibt es jetzt die Grünen.Nur die Komponenten haben sich geändert. Grün-Schwarz ist auch eine große Koalition, nur eben ohne SPD. In Rheinland-Pfalz ist Rot-Schwarz möglich, aber Malu Dreyer wird das nicht machen, sondern eher die FDP für eine Ampel einbinden. In Sachsen-Anhalt geht es nicht mit CDU und Linke, aber dann müssen es halt die Grünen mit der CDU und SPD machen.

Was lässt sich an Kretschmanns Sieg ablesen?

Die Grünen haben aufgrund der politischen Konstellationen auch Glück gehabt: Vor fünf Jahren war es Fukushima und das Energiekonzept der baden-württembergischen CDU war unglaubwürdig. Nun hat man der CDU den Mittelweg zwischen Seehofer und Merkel nicht abgenommen. Kretschmann war im Grunde immer auch ein CDU-Sympathisant und hat diese Zusammenarbeit schon früh forciert. Außerdem hat er seine Sache als Ministerpräsident gut gemacht und sich glaubwürdig hinter Merkel gestellt.

Sie sehen keinen dauerhaften Niedergang der CDU in Baden-Württemberg?

Nein, das ist bei der nächsten Landtagswahl schon wieder anders. Die CDU muss jetzt mit den Grünen zusammen in die Regierung.

Also Grün-Schwarz unter Kretschmann?

Ja, alle die etwas anderes vorschlagen, sind politische Dünnbrettbohrer.

Aber der SPD ist es als Juniorpartner der Grünen nicht gut gegangen.

Die CDU ist in Baden-Württemberg anders aufgestellt. Ich habe da keine Sorge.

Die SPD landete in Sachsen-Anhalt hinter der AfD und wurde in Baden-Württemberg halbiert. Haben Sie Mitleid?

Das macht mir schon Sorgen. Aber die SPD hat es sich mit Gerhard Schröders Agenda 2010 selbst zuzuschreiben. Diesen schwerwiegenden Fehler ihrer politisch-sozialen Ausrichtung hat die Sozialdemokratie bis heute nicht verarbeitet. Die Agenda steht wie eine Kernkraftruine in der Programmatik der SPD herum: Alle laufen drum herum, anstatt einzugestehen, dass Hartz IV und alles was dazugehört ein Verrat an der Seele der Partei war.

Ihr ehemaliger Parteifreund Alexander Gauland will mit seiner AfD die CDU vor sich hertreiben. Was sind die Rezepte gegen die AfD? Die Übernahme von ihren Positionen?

Die Übernahme rechtsradikaler Positionen wäre der größte Fehler. Diese Positionen muss man bekämpfen und inhaltlich nicht die geringsten Kompromisse machen. Es ist eine alte Erfahrung, dass derjenige, der nach rechts rückt, von links regiert wird.

Aber Gauland ist doch kein Rechtsradikaler.

Er ist ein enttäuschter Rechtskonservativer, der vielleicht noch ein bisschen ehrgeizig ist.

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