Heimkehrer:Die Kinder aus dem Kalifat

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Kinder folgen einem IS-Kämpfer in den Straßen von Raqqa: Standbild aus einem Propagandavideo des IS aus dem Jahr 2015. (Foto: AP)

Derzeit kommen Kinder aus IS-Gebieten nach Deutschland, mit Eltern, die für die Terrormiliz gekämpft haben. Das stellt die Jugendämter vor Probleme.

Von Ulrike Heidenreich, München

Droht in Deutschland eine neue Generation von IS-Kämpfern heranzuwachsen - aus den Kinderschuhen direkt zum Terroranschlag? Die Sicherheitsbehörden rechnen mit der Rückkehr von mehr als hundert Kindern, deren islamistische Eltern in die Dschihad-Gebiete im Irak und in Syrien ausgereist waren. Der Verfassungsschutz hatte vor einiger Zeit davor gewarnt, dass Kinder von Dschihadisten "islamistisch sozialisiert und indoktriniert" aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurückkehren.

Doch wie beeinflussbar sind diese Kinder überhaupt? Viele sind noch Säuglinge, sind in den IS-Hochburgen geboren worden. Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer rät zur Ruhe: Die Jugendämter hätten ausreichend gesetzliche Möglichkeiten, um radikalisierte Rückkehrerfamilien zu kontrollieren.

Auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic hatte das Bundesinnenministerium geantwortet, man verfüge über Informationen, "die eine niedrige dreistellige Anzahl von Minderjährigen erwarten lasse, wobei der Großteil im Baby- beziehungsweise Kleinkindalter sein dürfte".

Terrormiliz IS
:Bericht: Regierung rechnet mit Rückkehr von mehr als 100 Dschihadisten-Kindern

Die Terrormiliz IS hat in Syrien und im Irak große Teile ihres Gebietes verloren. Das könnte Frauen mit ihren Kindern zurück nach Deutschland treiben. Die Grünen fordern Anstrengungen, um diese Menschen zu reintegrieren.

Exakte Zahlen liegen nicht vor, weil viele Babys erst in den Dschihad-Gebieten geboren wurden. Zum Beispiel von Frauen aus Deutschland, die der IS-Propaganda gefolgt waren und Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat geheiratet hatten. Nun wollen sie zurückkehren, oft als Witwen von "Märtyrern". Zudem liegen keine Zahlen zu Kindern unter 14 Jahren vor, die von ihren Eltern aus Deutschland direkt in die Kampfgebiete mitgenommen worden waren. Sie dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erfasst werden.

Mihalic kritisiert nun, dass zu den zurückkehrenden Kindern viel zu wenig bekannt sei. Sie fordert die Behörden auf, verstärkt den Kontakt zu den Familien der Ausgereisten zu suchen, um mehr Informationen zu bekommen. Nach Angaben der Bundesregierung waren bis Ende 2017 mehr als 960 Islamisten aus Deutschland in den Irak oder nach Syrien ausgereist, etwa ein Drittel von ihnen sei inzwischen zurückgekehrt, manchmal als Familien.

Michael Kiefer, Dozent am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, rät Jugendämtern, diese Familien intensiv zu überprüfen, sobald sie sich bei den jeweiligen Einwohnermeldeämtern zurückmelden. Auch der Verfassungsschutz und die Polizei sollten, wenn nötig, eingeschaltet werden. "Ganze Reihen von Frauen sind von ihren Männern in die IS-Gebiete mitgeschleift worden, nun sind sie heilfroh zurückzukehren, nachdem dort alles kaputt ist."

Die Maßnahmen der Jugendämter reichen bis zum Sorgerechtsentzug

Kiefer wirkt beim Forschungsnetzwerk Radikalisierung und Prävention mit, außerdem beim nordrhein-westfälischen Programm "Wegweiser" gegen gewaltbereiten Salafismus. Kiefer prognostiziert, dass es den Müttern schwerfallen werde, sich wieder zu integrieren: "Ob sie ihren Kindern aber die IS-Ideologie nahebringen werden, ist Kaffeesatzleserei", so der Islamwissenschaftler.

Überhaupt, so Kiefer, könnten Jugendämter sehr effektiv reagieren, wenn sie Hinweise auf die Gefährdung des Kindeswohls nach Paragraf 8a des Sozialgesetzbuches erkennen - wenn also die geistige oder körperliche Entwicklung eines Kindes durch die Lebensführung der Erziehungsberechtigten beeinträchtigt werde. "Kinder können erheblichen Schaden nehmen, wenn sie in einer salafistisch-dschihadistischen Familie aufwachsen, die sich komplett von der Gesellschaft abschottet", sagt Kiefer.

Die Jugendämter könnten nach einer individuellen Prüfung Maßnahmen auf den Weg bringen, die bis zum Sorgerechtsentzug reichen. Dies geschehe schon jetzt häufig, die Behörden hätten radikalisierte Eltern auf ihrem Schirm und kämen durchaus voran mit den bestehenden Hilfsangeboten wie psychosozialer Betreuung. In Niedersachsen berät Kiefer außerdem eine Arbeitsgruppe, die sich mit "transgenerativer Radikalisierung" befasst. Was sich dahinter verbirgt? Bislang noch ein Randphänomen der Forschung, nämlich, wie es sich mit Eltern und Großeltern lebt, die radikal denken.

Droht nun Gefahr von den kleinen Rückkehrern? "Kinder sind immer manipulierbar", antwortet Kiefer. Er rechnet aber eher damit, dass die Behörden mit traumatisierten Kindern konfrontiert werden, die "schlimme Dinge erlebt haben".

© SZ vom 10.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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