Es soll ein Superministerium werden, aber super findet die Idee in Berlin noch nicht jeder. Horst Seehofer (CSU) soll das Bundesinnenministerium übernehmen und ihm einen neuen Heimat-Teil einpflanzen, wenn es zur großen Koalition kommt. In der letzten Nacht der Koalitionsverhandlungen haben Union und SPD dem CSU-Chef zudem das Portfolio für Bauen zugeschlagen. Dazu möchte Seehofer noch eine Abteilung aus dem Verkehrsministerium ins Heimatministerium holen. Vier Bundesministerien sind direkt oder indirekt an der geplanten Operation beteiligt. In den betroffenen Ministerien ist Begeisterung für Seehofers Großressort allerdings noch nicht zu verzeichnen.
Es geht schon mit dem Bundesinnenministerium los. 1500 Mitarbeiter sind hier an drei Standorten mit innerer Sicherheit und Verfassungsschutz befasst, mit Polizei, Terror bis hin zu Internetkriminalität. Dazu kommt das Feld von Integration und Flüchtlingen, der öffentliche Dienst sowie der Sport. Wie und wozu Seehofer hier ein Heimatministerium andocken will, ist Mitarbeitern ein Rätsel.
Experten:"Heimatministerium ist eine Blackbox"
Das neue Ressort soll die strukturschwachen Regionen in Deutschland stärken. Wird das gelingen?
Leitkultur oder ländlichen Raum aufwerten?
Nun begleitet das Murren von Ministerialen jeden Regierungswechsel. Dem Bundesinnenministerium etwa wurde mal die Kultur zugeordnet, mal die Reaktorsicherheit. "Das ist immer mit Widerständen verbunden", sagt Ministeriumssprecher Johannes Dimroth. In seinem Haus habe sich auch noch nicht jedem erschlossen, ob das geplante Heimatministerium eher Leitkultur befördern oder ländliche Räume aufwerten soll, etwa durch Breitbandausbau auf dem Land. Die Zuständigkeit für Bauvorhaben sei im Bundesinnenministerium noch ein "Fremdköper". Es stelle sich auch die Frage, ob das wichtige Thema Wohnen dort gut aufgehoben sei. "Wenn ein Terroranschlag ist, ist ein Terroranschlag", sagt Dimroth. Mit anderen Worten: Im Ernstfall könnten Internetanschlüsse in Ostsachsen auf der Prioritätenliste des Hauses etwas weiter unten angesiedelt sein.
Seehofer selbst hat sich zu seinen Plänen bisher nur vage erklärt. Das Vorhaben eines Heimatministeriums ziele darauf, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland herzustellen, sagte er kürzlich. Er wolle verhindern, dass immer mehr junge Menschen in prosperierende Städte abwandern, während ländliche Regionen ausbluten. Unerwähnt blieb, dass die AfD vom Zorn abgehängter Regionen profitiert. Bei der Operation Heimat spielt aber auch der Wunsch der Bayern eine Rolle, nicht mehr ewig für wirtschaftlich schwächelnde Regionen in Ostdeutschland zahlen zu müssen.
In Berlin fragen sich unterdessen die Ersten, aus welchen Geldquellen sich das geplante Heimatministerium speisen soll. 109 Stellen gebe es dafür plus einen zusätzlichen Posten für einen Staatssekretär, meldete Bild am Sonntag kürzlich. Dass es sich dabei um zusätzliche Stellen handelt, darf bezweifelt werden. Die CSU versuche wohl, schon mal Pflöcke einzuschlagen, vermutet man in der SPD. Weder der Etat noch Zuschnitt der Ressorts seien ausverhandelt. "Das ist noch nicht spruchreif", sagt auch CSU-Sprecher Jürgen Fischer. "Aber dass man aus verschiedenen Ministerien Teile braucht, damit das vernünftig funktionieren kann, ist klar."
Zu den Puzzleteilen, nach denen Seehofer greift, gehören zunächst zwei Abteilungen des Bundesumweltministeriums. Die eine ist für Bauwesen und Bauwirtschaft zuständig, die andere für Stadtentwicklung und Wohnen. Dass sie im Fall einer großen Koalition ins Innenministerium wandern sollen, ist für etliche Mitarbeiter keine allzu verlockende Aussicht.
"Bauen und Umwelt unter einem Dach zu haben, macht schon Sinn", sagt ein Sprecher des Umweltministeriums. Unter SPD-Bauministerin Barbara Hendricks hätten klimafreundliches Bauen und bezahlbares Wohnen an Bedeutung gewonnen. Das Budget für Städtebauförderung sei auf eine Milliarde Euro gestiegen, der Etat für sozialen Wohnungsbau habe sich verdreifacht, während in Bayern die Zahl der Sozialwohnungen sinke. Auch Pflegekräfte und Polizisten könnten sich das Leben in Ballungsräumen nicht mehr leisten.
Gesucht werden neue Felder, auf denen der künftige Minister auch Wohltaten verteilen darf
Ob Seehofer ein Herz für benachteiligte Städter hat, wird in SPD-geführten Ministerien naturgemäß bezweifelt. Aber auch abseits sozialdemokratischer Biotope dämmert manchen, dass Seehofers Geschichte von der Heimat im Kern von etwas anderem handeln könnte: von einem, der lange im Dienst ist und sich nun für einen ungeliebten Job motivieren will. Bei der Verteilung der Ressorts zwischen Union und SPD war das eher unerfreuliche Innenministerium für die CSU die vierte Wahl, nach Finanz-, Außen- und Arbeitsministerium. Seehofer, ein Innenminister, der keiner sein will, suche nun ein Feld, auf dem es etwas zu verteilen gebe.
Die Suche könnte ins Bundeslandwirtschaftsministerium führen, bisher ist es für die Entwicklung ländlicher Räume zuständig. 2017 standen für das Programm "Ländliche Entwicklung" 55 Millionen Euro zur Verfügung, für die "Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz" 765 Millionen Euro. Dass Teile des Agrarministeriums mitsamt seiner Fördertöpfe ins Heimatministerium wandern, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Schon weil die nächste Landwirtschaftministerin Julia Klöckner heißen könnte. Die CDU-Politikerin dürfte wenig geneigt sein, Seehofer ein Herzstück ihres Hauses zu überlassen.
Womit der Reigen beim Bundesverkehrsministerium angekommen wäre. Seehofer will dem Haus gern die Abteilung entwinden, die für Raumordnung und demografischen Wandel zuständig ist. Widerstände seien nicht zu erwarten, sagt CSU-Sprecher Jürgen Fischer. Das Ministerium soll in CSU-Hand bleiben, Minister könnte Andreas Scheuer werden, jetzt CSU-Generalsekretär. "Da wird der künftige Minister sicher nichts dagegen haben", sagt Fischer. Und was ist mit dem Breitbandausbau, der auch im Verkehrministerium angesiedelt ist? Will Heimatminister Seehofer da auch zuständig werden? "Die Digitalisierung wird im Wesentlichen bei Verkehr bleiben", sagt der CSU-Sprecher. Im Wesentlichen? Das klingt, als sei der Appetit des Heimatministers in spe noch nicht ganz gestillt.