Süddeutsche Zeitung

Heiligtum in Israel:Darüber streiten Israelis und Palästinenser gerade in Jerusalem

  • Der Status quo auf dem Tempelberg: Israelis bewachen das Gelände, Jordanier verwalten es und besuchen dürfen es im Moment nur ausgewählte Muslime.
  • Der Berg ist Juden und Muslimen heilig und löst immer wieder Konflikte aus.
  • Die Geschichte der Pilgerstätte ist düster; in den vergangenen Jahrzehnten kamen hier vor allem muslimische Besucher und Demonstranten ums Leben, aber auch israelische Sicherheitskräfte.

Von Jana Anzlinger und Miguel Helm

Seine breiten Schultern halten die empörte Frau ebensowenig ab wie die Waffen, die er bei sich trägt. "Allahu Akbar", schreit sie und schimpft an dem israelischen Polizisten vorbei auf einen Besucher ein, der eine Kippa trägt. Im Hintergrund: Sandsteinmauern, die goldene Kuppel des Felsendoms, die Arkaden der Al-Aksa-Moschee. Das wackelige Handyvideo von 2015 ist auf dem Tempelberg im Osten Jerusalems aufgenommen.

Wohl kaum ein Ort weckt so viele Emotionen und steht so symbolisch für den Nahostkonflikt wie dieser kleine Hügel in Jerusalems Altstadt. Der Tempelberg ist Juden und Muslimen heilig. Trotzdem verletzen und töten sie einander hier.

Metalldetektoren haben den jüngsten Konflikt ausgelöst

Auch dieses Wochenende war eines der Gewalt in der Jerusalemer Altstadt. Am Freitagabend hat ein Palästinenser drei Israelis erstochen, daraufhin kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Israelis und Palästinensern mit vier palästinensischen Toten.

Auslöser des aktuellen Konflikts sind Metalldetektoren vor Eingängen des Tempelbergs. Diese hatte Israel als Reaktion auf eine Terrorattacke installiert, bei der zwei israelische Polizisten vor knapp zwei Wochen erschossen wurden. Nachdem der Streit eskaliert ist, hat das Sicherheitskabinett nun verkündet, die Metalldetektoren wieder abzubauen.

Schwer bewaffnete Polizisten, Soldaten und Metalldetektoren sind in Jerusalem Teil des öffentlichen Lebens. Doch auf dem Tempelberg misstrauen die Palästinenser jeder neuen Sicherheitsmaßnahme. Sie befürchten, dass die Israelis mit dem Status quo der heiligen Stätte brechen: Während die jordanisch-islamische Waqf-Behörde für die Verwaltung des Tempelbergs zuständig ist, kümmert sich Israel um die Sicherheit vor Ort. Das ist seit dem Sechstagekrieg 1967 so. Damals nahm Israel Jerusalems Altstadt ein, übergab aber den Tempelberg an die Waqf-Behörde, um eine Eskalation religiöser Spannungen zu verhindern.

Nun werfen die Palästinenser den israelischen Behörden vor, dass sie Muslimen den Zugang zum Tempelberg erschweren und die Kontrolle über das Gelände an sich reißen wollen.

Im Islam gilt der Tempelberg zusammen mit der dortigen Al-Aksa-Moschee als drittheiligste Stätte. Von dort aus soll Mohammed in den Himmel geritten sein. Muslime nennen den Tempelberg "al-haram asch-scharif". Das ist Arabisch für "Das edle Heiligtum".

Zwei jüdische Tempel gaben dem Berg in den meisten anderen Sprachen seinen Namen. Sie stehen schon sehr lange nicht mehr. Ihr einziger Überrest ist die Klagemauer am Fuße des Hügels. Nach jüdischem Glauben hat Gott Adam, den ersten Menschen, aus der Erde des Tempelberges geformt. Außerdem soll dort Abraham, der Stammvater Israels, auf die Probe gestellt worden sein. Der Überlieferung nach soll Gott ihm auf dem Hügel befohlen haben, seinen Sohn Isaak zu opfern.

Jüdische Extremisten versuchten mehrfach, Felsendom und Moschee zu sprengen

Seit den 60er Jahren haben jüdische Extremisten mehrfach versucht, den Felsendom und die Moschee zu sprengen. Anfang der 80er gelang es einem von ihnen, sich mit einer Waffe in die Pilgerstätte zu schmuggeln. Er erschoss zwei Menschen und verletzte 44 weitere. 1990 randalierten palästinensische Besucher, sie sollen mit Steinen geworfen haben. Das israelische Militär tötete an diesem Tag 22 Menschen auf dem Berg, etwa 150 weitere wurden verletzt.

Nach diesem Höhepunkt der Ersten Intifada, der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und israelischer Armee, blieb der Tempelberg ein Symbol des Konflikts. Jüdische Extremisten warfen den Kopf eines Schweins, eingewickelt in Koranseiten, auf das Gelände.

Ende September 2000 besuchte Ariel Scharon, damals noch nicht Premierminister sondern Oppositionsführer, den Tempelberg. Die Palästinenser werteten das als Provokation. Der Besuch und die darauf folgenden Ausschreitungen gelten als Auslöser der Zweiten Intifada.

Ein jüdischer Politaktivist wurde 2014 auf dem Gelände beschossen und verletzt.

Im Herbst 2015 kursierte das Gerücht, Israel wolle die Gebets- und Besuchsrechte zu seinen Gunsten verändern. Dieses bloße Gerücht gilt als Anlass, aus dem palästinensische Extremisten zahlreiche Anschläge verübten. Von Oktober bis Dezember töteten sie 20 Menschen. Im selben Zeitraum erschossen israelische Sicherheitskräfte in Jerusalem mehr als 100 Menschen.

Solange der Nahostkonflikt nicht gelöst ist, werden die Konfliktparteien weiter über den kleinen Hügel in Jerusalems Altstadt streiten. Zwar werden die Metalldetektoren jetzt abgebaut. Israelischen Medienberichten zufolge sollen sie allerdings durch hochauflösende Kameras ersetzt werden, die Gesichter erkennen sollen.

Jerusalems Großmufti, also ein wichtiger islamischer Rechtsgelehrter, hat alle Überwachungsmaßnahmen abgelehnt. Sein öffentliches Urteil könnte neue Proteste anstoßen.

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