Die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist auch die Geschichte der Emanzipation der weltlichen Obrigkeit von der geistlichen. Am Anfang stand ein Reich, dessen Oberhaupt sich über die christliche Religion legitimierte. 800 Jahre später waren säkulare Territorialstaaten entstanden.
Das schwer zu fassende politische Gefüge war zunächst ein relativ lockerer Verbund aus deutschen Herzogtümern inklusive der Gebiete in Norditalien und Burgund. Zunächst hieß es nur "Heiliges Römisches Reich", der Zusatz "Deutscher Nation" kam erst im 15. Jahrhundert dazu, als die Vormacht der deutschen Herrscher im Reich ihren Höhepunkt erreichte.
Gründung des Reiches
Als Karl der Große sich von Papst Leo III. im Jahre 800 krönen ließ, symbolisierte er nicht nur die Einigung des Frankenreichs, sondern schuf einen Präzedenzfall für die Legitimation der nach ihm folgenden Herrscher. Kirchliche und weltliche Obrigkeit teilten sich in den nachfolgenden Jahrhunderten die politische Macht in Europa.
Doch nur die symbolische Einsetzung als "Kaisers von Gottes Gnaden", der an der Spitze des Lehenswesens im Frankenreich stand, geht auf Karl den Großen zurück. Das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" gründete er noch nicht.
Nach Karls Tod spaltete sich das Frankenreich in drei Teile auf. Erst im 10. Jahrhundert wuchs das ostfränkische Reich unter der Führung Heinrichs I. zur stärksten politischen Einheit in Europa. Sein Sohn Otto I. war ein ehrgeiziger Herrscher, der es verstand, den Vatikan auf seine Seite zu bringen, indem im Namen des Christentums östlich der Elbe die Missionierung vorantrieb und sich als Beschützer Papst Johannes XII. verdient machte.
Ottos Verbindung zum Papst und sein Einfluss wurde so stark, dass er das Reich unter sich vereinte und im Jahre 962 zum ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde.
Zu Beginn des 11. Jahrhunderts kam es zum ersten großen Machtkonflikt zwischen geistlicher und weltlicher Obrigkeit. Ursache war die so genannte Investitur der Äbte und Bischöfe, welche von den Grundherrn vor Ort durchgeführt wurde.
Otto I. begründete den starken Einfluss der Landesherren auf die Einsetzung von Kirchenoberen mit diesem so genannten Eigenkirchenrecht. Mit Hilfe des Rechts zur Einsetzung von Bischöfen und Äbten sicherten sich die Landesherren die Unterstützung der vermögenden Kirchenoberen und boten diesen im Gegenzug Schutz an.
Viele Kritiker lehnten die Investitur durch die weltlichen Herrscher ab, weil die Kirche auf diese Weise ihre religiöse Bedeutung verloren hatte und nur noch nach ihrem materiellen Wert bemessen wurde.
Auslöser des Streits war die Neubesetzung des Erzbischofs von Mailand im Jahre 1071 durch Heinrich IV.. Sein Kandidat für das Amt war vom Vorgänger von Papst Gregor VII. aus der Kirche ausgeschlossen worden und stieß somit auf den Widerstand des Vatikans. Heinrich IV. setzte aber seinen Kandidaten durch. Der Papst drohte mit dem Kirchenbann, weshalb sich viele deutsche Bischöfe für Heinrich IV. Partei ergriffen.
Der politische Konflikt eskalierte im Jahre 1076. Zuerst forderte Heinrich in Worms den Rücktritt von Papst Gregor VII.. Anschließend vollzog Gregor den Kirchenbann gegen Heinrich. Als Reaktion darauf wechselten viele Fürsten die Seiten und des Kaisers Einfluss drohte zu schwinden. So war er gezwungen, als Zeichen der Unterwerfung, im Büßergewand zu Papst Gregor nach Canossa zu pilgern, um seinen Kirchenbann zu lösen.
Ein Kompromiss im Investiturstreit wurde 1122 auf dem Konzil in Worms gefunden. Der Kaiser verzichtete auf die direkte Einsetzung der Bischöfe. Er war lediglich bei der Bischofswahl anwesend und traf eine Entscheidung, wenn keine Einigung zustande kam.
Auch wenn der Kaiser einige Vorrechte gewann, wurde der Einfluss des Papstes wieder hergestellt. Erkennbar wurde sein gewachsener Einfluss an der hohen Beteiligung der Fürsten an den Kreuzzügen in den nachfolgenden Jahren.
Bis ins 13. Jahrhundert sicherte die Dynastie der Hohenstaufer die Kontinuität der Kaiser im Heiligen Römischen Reich, das sich zu dem Zeitpunkt noch über Italien und Burgund erstreckte. Doch nach dem Tod des italienischen Kaisers, Friedrich II., im Jahre 1250 und dessen einzigem Sohn Konrad einige Jahre später endete die Dynastie und ein Machtvakuum entstand.
Einige Fürsten und Könige strebten die Kaiserwürde an, konnten sich aber nicht allgemein durchsetzen, ihre Herrschaft blieb also regional begrenzt. So bestand das Reich mehr als 20 Jahre ohne Kaiser (1250-1273; "Interregnum"), der seinen Grundherren Schutz und rechtliche Sicherheit gewähren konnte. Somit waren die zahlreichen Fürsten, Grafen, Herzögen und Königen, weltlichen und geistlichen Herrscher von mittlerweile mehr als 200 Einzelstaaten auf deutschem Gebiet, auf sich selbst angewiesen.
Die Herrscher der Einzelstaaten nutzten diese Zeit der politischen Unsicherheit, um ihre Autonomie zu sichern. Sie machten beispielsweise vom Zollrecht auf ihrem Gebiet konsequenten Gebrauch, was für Händler den Transport von Waren erheblich verteuerte. Der dadurch wachsende Reichtum der Landesfürsten sicherte immer mehr ihre wirtschaftliche und militärische Unabhängigkeit vom Kaiser.
Zwar hatten die Habsburger nach dem Interregnum eine einflussreiche Position erlangt. Doch ihr Anrecht auf den Kaiserthron war dadurch keineswegs gesichert. Herrscher unterschiedlicher Dynastien wechselten sich bis 1355 auf dem Thron ab. Erst 105 Jahre nach dem letzten Kaiser konnte sich der Luxemburger Karl IV. mit Hilfe des Papstes langfristig durchsetzen.
Mit seiner Herrschaft bekam das Reich das erste Mal den Charakter der "deutschen Nation", auch wenn dieser Zusatz erst hundert Jahre später offiziell wurde. Mit Karl rückte das Zentrum des Reiches nach Prag, von den italienischen Gebieten des bisherigen Reiches ließ er ab.
Legendärer Frankenkaiser:"Karl der Große dachte nur an sein eigenes Reich"
Kaiser Karl, der später zum Großen verherrlicht wurde, gilt manchen als "Vater Europas". Doch war er nun ein Deutscher oder ein Franzose? Ein Heiliger oder ein missionarischer Massenmörder? Fragen an den Historiker Matthias Becher.
Die neue Machtstellung der Großfürsten im Kaiserreich wurde 1356 mit der "Goldenen Bulle" festgeschrieben. In einer goldenen Kapsel war ein Rechtsdokument aufgehoben, dass die Nachfolge der Kaiser nicht mehr durch Abstammung, sondern durch die Wahl des Kaisers sichern sollte.
Durch dieses "Reichsgrundgesetz" bekamen die sieben so genannten Kurfürsten das alleinige Recht, den Kaiser zu wählen. Die einflussreichen Kurfürsten hatten sich auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, einen schwachen Kaiser zu wählen, der ihre Macht kaum noch in Frage stellen konnte.
Der Papst hingegen hatte noch bis 1378 großen Einfluss auf die Fürsten. Doch mit dem "Großem Kirchenschisma" in den folgenden Jahrzehnten verlor er zusehends an Bedeutung und war später an der Amtseinführung des Kaisers nur noch symbolisch beteiligt. Die Kurfürsten hatten die Oberhand gewonnen.
Trotz der großen Unabhängigkeit der Fürsten verband gerade die christliche Religion viele Königshäuser in Europa. Damit waren sie aber auch dem Einfluss des Papstes weiterhin ausgesetzt. Das änderte sich im 16. Jahrhundert, als die Reformation zu einer weiteren Emanzipierung der weltlichen Herrscher führte und zahlreiche Konfessionskriege auslöste.
Zu den wichtigsten frühen militärischen Auseinandersetzungen gehörte der Schmalkaldische Krieg (1546/1547), in dem das Heer von Papst und Kaiser gegen den Schmalkaldischen Bund aus protestantischen Fürsten siegten. Doch damit war der Widerstand der Protestanten nicht gebrochen.
Auf dem Reichstag in Augsburg im Jahre 1548 diktierte Kaiser Karl V. eine Zwischenlösung, die erst auf einem Konzil abschließend geregelt werden sollte: Demnach war den Protestanten nur die Priesterehe und die Vergabe des Abendmahlkelches durch Laien gestattet. Diese Übergangsregelung scheiterte jedoch.
Erst der Augsburger Religionsfriede von 1555 besiegelte die gegenseitige Toleranz von Lutheranern und Katholiken. Den Lutheranern wurde Frieden und Besitzstand garantiert.
Die weltlichen Fürsten bekamen Religionsfreiheit zugesichert sowie das Recht, über die Religion ihrer Untertanen zu bestimmen, gemäß dem Leitspruch Cuius regio, eius religio (lateinisch für "wessen Land, dessen Religion").
Der Augsburger Religionsfriede sollte aber zunächst nur vorläufig gelten, bis ein Konzil mit Herrschern aller Einzelstaaten und der Kircheninstanzen den Frieden im Reich abschließend sichern sollte. Da das entsprechende Konzil von Trient 1563 an der Aufgabe scheiterte, die religiöse Spaltung zu überwinden, galt der Religionsfriede weiterhin.
Der direkte Einfluss des Vatikans auf die weltliche Obrigkeit schwand mit jedem Fürsten, der zum Protestantismus konvertierte.
Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) vertiefte die Spaltung der Fürstentümer, die zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörten. Der Westfälische Friede, der den Krieg beendete, schrieb diese innere, territoriale Spaltung des Reiches fest.
Auslöser des Dreißigjährigen Kriegs waren zunächst konfessionelle Gegensätze, die noch von der Reformation ausgingen. Durch die fortdauernde religiöse Spaltung wurden im weiteren Verlauf der Kriege zwischen 1618 und 1648 auch protestantische und katholische Parteien aus dem Ausland in den Konflikt einbezogen. Waren die Konfessionskriege und der Schmalkaldische Krieg noch regional begrenzt, erreichte der Dreißigjährige Krieg eine europäische Dimension.
Je länger die militärischen Auseinandersetzungen dauerten, desto mehr wurde der machtpolitische Charakter des Krieges deutlich. Nicht nur die deutschen Fürsten konkurrierten untereinander, sondern auch die großen europäischen Herrscherhäuser standen sich gegenüber. Die Habsburger strebten nach der Vorherrschaft in Europa, Schweden und Frankreich suchten dies zu verhindern.
Der Dreißigjährige Krieg wird in der Regel in vier Phasen eingeteilt: in den Böhmisch-Pfälzischen Krieg (1618-1625), den Dänisch-Niedersächsischen Krieg (1625-1629), den Schwedischen Krieg (1630-1635) und den Französisch-Schwedischen Krieg (1635-1648).
1648 wurde in Münster und Osnabrück der Westfälische Frieden ausgehandelt. Das Dokument schrieb zum einen die religiöse Unabhängigkeit des Kaisers und der Fürsten aus dem Augsburger Religionsfrieden fort. Zum anderen wurden die einzelnen Königreiche und Fürstentümer eigenständig. Der Kaiser war nur noch symbolisch das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Ein neues Verständnis vom autonomen Staat, das Territorialstaatsprinzip, wie es bis heute gilt, wurde rechtlich fixiert.
Wurde eigentlich schon mit dem Westfälischen Frieden das Ende des Reiches vorweggenommen, so verschaffte ihm der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 eine rechtliche Form. Mit der Gründung des Rheinbundes 1806 erfolgte schließlich eine territoriale Neuordnung und Reduzierung des einstigen Reiches.
Nach den Koalitionskriegen (1791-1797 und 1798-1801) hatte Frankreich die linksrheinischen deutschen Gebiete annektiert. Auf dem Reichstag in Regensburg erhielten die früheren Eigentümer - Österreich und Preußen sowie Bayern, Württemberg, Hannover, Hessen und Sachsen - einige rechtsrheinische Territorien. Diese wurden durch Säkularisation katholischer Gebiete und die Aufhebung der Autonomie der freien Reichsstädte (Mediatisierung) gewonnen. Für die katholische Kirche bedeutete der Reichsdeputationshauptschluss den größten Verlust seit der Reformation.
Durch die Neuordnung des alten Reiches wurde Deutschland zersplittert, was den neuen starken Staaten, Frankreich und Russland, entgegen kam. Preußen und Österreich wurden gleich stark, die mittleren Staaten gewannen ebenfalls an Gewicht, ohne sich aber vom dem Einfluss Frankreichs befreien zu können.
Nach dem Reichsdeputationshauptschluss und der Gründung des Rheinbundes am 12. Juli 1806 traten einige deutsche Staaten aus dem Verband aus. Angesichts dieser Auflösung legte Franz am 6. August 1806 die Kaiserkrone nieder und besiegelte damit das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.