Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind in den vergangenen Monaten mehr als siebzig Frauen aus Deutschland in den Dschihad nach Syrien oder in den Irak ausgereist. Viele von ihnen sind noch sehr jung. So sollen allein neun minderjährige Mädchen den Weg in die Kampfzone angetreten haben. Die jüngsten von ihnen sind 15 Jahre alt. Die Bräute des Dschihad stammen aus allen Winkeln der Republik; aus dem Ruhrgebiet ebenso wie aus Hamburg, München oder Berlin.
Anhand verschiedener realer Fälle hat der Verfassungsschutz NRW den Weg der Radikalisierung der zumeist jungen Frauen nachgezeichnet. Wie wurden sie angelockt, wussten sie, auf was sie sich einließen? Was haben Rückkehrerinnen über ihre Reise ins angebliche Idyll berichtet? Die Schilderungen der Frauen und die Fälle haben die NRW-Verfassungsschützer zu einer Kunstfigur namens "Marwa" verdichtet. Marwa soll erklären, was nur schwer zu erklären ist.
Also: Marwa ist eine 16-jährige Deutsch-Türkin aus einer Großstadt in NRW. Ihre Großeltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Ihre Eltern sind in Deutschland geboren. Marwa hat zwei Schwestern und einen Bruder.
Die Familie ist gut integriert. Sie lebt einen liberalen Islam; die weiblichen Mitglieder der Familie tragen kein Kopftuch, aber es wird Wert auf Lebensmittelvorschriften und die Gebete gelegt.
In der Schule, die Marwa besuchte, gab es lange Zeit keine Probleme, doch seit etwa einem Jahr ist sie häufig abgelenkt, müde und desinteressiert. Im Unterricht liest sie häufiger im Koran, zu den Gebetszeiten läuft sie, ohne zu fragen, aus dem Unterricht. Sie rüffelt ihre Mitschülerinnen, wenn die sich angeblich unislamisch verhalten oder angeblich nicht richtig anziehen. Sie selbst legt sich einen Tschador zu. Inzwischen trägt Marwa eine Vollverschleierung (Burka) und spricht ebenso wenig mit Jungen aus ihrer Klasse wie mit ihren Lehrern. Auch zeigt sie keinen Respekt mehr gegenüber ihren Lehrerinnen, weil die "nicht muslimisch" seien.
"Schwesternseminare" und "Cake Days"
An den Nachmittagen ist Marwa nur noch ganz selten zu Hause. Ständig trifft sie sich mit Freundinnen, die ebenso vollverschleiert sind wie sie selbst. Gemeinsam besuchen sie eine Moschee in einer anderen Stadt, sind an den Wochenenden auf "Schwesternseminaren" und "Cake Days" und sammeln Spenden für die Notleidenden in Syrien und im Irak.
Wenn sie zu Hause ist, verschanzt sie sich in ihrem Zimmer, lauscht im Internet Vorträgen radikaler Salafisten, schaut sich Videos aus Syrien an, in denen das Leid und die Not der dort lebenden Muslime dargestellt werden. Bei Facebook ist sie Mitglied in einer Gruppe, die sich "Hijra fi sabilillah - Ehefrau eines Mujahids werden!" nennt. Dort knüpft sie Kontakt zu Abdul Karim. Sie will sich um den Dschihadisten kümmern, der aus ihrer Sicht eine Art Prinz ist, fasst den Entschluss, ihn zu heiraten. In Syrien, ohne Wissen ihrer Eltern. Im Netz gibt es zahlreiche Online-Heiratsmärkte für Salafisten.
Damit der Trip gelingt, bedarf es Vorbereitungen, für die es in speziellen Whats-App-Gruppen Tipps gibt: Einkauf von Prepaid-Karte und einfachem Handy, funktionale Kleidung, Rucksack. Marwa kauft kleinere Mengen militärischer Bekleidung und nimmt - vermittelt durch ihren zukünftigen Mann - Kontakt zu anderen Frauen im Kriegsgebiet auf, lässt sich von ihnen auf die Reise vorbereiten.