Süddeutsche Zeitung

Heiko Maas in Auschwitz:Schauder und Ansporn

Wegen Auschwitz sei er in die Politik gegangen, hat der Außenminister bei seinem Amtsantritt gesagt. Nun hat er das frühere KZ besucht - und erklärt, was ihm "der schrecklichste Ort der Welt" bedeutet.

Von Nico Fried, Auschwitz

Der Minister steht auf einer abgewetzten Betonplatte. Seine Hände hat er vor sich zusammengelegt, aber das unruhige Spiel der Fingerspitzen verrät Nervosität. Zehn Schritte über den Kies sind es etwa noch zur schwarzen Todeswand neben Block 11 im Stammlager Auschwitz, wo Häftlinge zu Tausenden per Genickschuss hingerichtet wurden.

Die Kameras warten schon. Heiko Maas nickt zwei Polizisten zu. Es ist das Zeichen, den Kranz bereitzustellen. Kurz darauf richtet der Außenminister die schwarz-rot-goldenen Bänder, verharrt, verneigt sich. Als Maas, 51, zurückkommt, wartet Marian Turski auf ihn, geboren in Lodz, 92 Jahre alt.

Er hat Auschwitz überlebt, hat den Besucher hierher begleitet, und jetzt lächelt er den Deutschen an. Maas legt ihm die Hand auf die Schulter. Es ist eine freundliche Geste, der auch eine gewisse Erleichterung des Ministers anzusehen ist.

Fünf Monate nach seinem Amtsantritt besucht Heiko Maas Auschwitz. 80 Minuten nimmt sich der Außenminister Zeit für die Besichtigung des Stammlagers und danach noch einmal so lange für das Vernichtungslager Birkenau.

So eine Reise macht mitnichten jeder deutsche Außenminister, ein offizieller Besuch in Auschwitz ist meistens etwas für Bundespräsidenten. Aber Maas hat am Tag der Amtsübernahme im März 2018 im Außenministerium eben auch diesen einen Satz gesagt, der Aufmerksamkeit erregte: Er sei "wegen Auschwitz in die Politik gegangen".

"Hier begegne ich meinen Zweifeln an Gott und meinem Misstrauen gegenüber Menschen", sagt Maas

Bei seinem Antrittsbesuch in Israel hat Heiko Maas diesen Satz später während eines Treffens mit Überlebenden des Holocaust so erklärt: Er habe als Schüler von den Verbrechen gehört, sie aber nicht wirklich begreifen können. Er habe dann in seiner Familie nach der Vergangenheit gefragt. "Ich habe nach einem Widerstandskämpfer in meiner Familie gesucht, aber ich habe keinen gefunden. Es waren alles Mitläufer", sagte Maas. "Ab da habe ich angefangen, mir Gedanken darüber zu machen, was ich selber tun kann, dass es so etwas nie wieder gibt."

So etwas wie Auschwitz. Maas geht jetzt durch das Vernichtungslager Birkenau. Er erreicht die sogenannte Rampe, an der Menschen nach tagelangem Transport in den Viehwaggons der Reichsbahn noch am Ankunftsgleis selektiert wurden: die einen zur Zwangsarbeit, die anderen ins Gas, Tausende jeden Tag.

Marian Turski kam hier 1944 an. Er erzählt Maas, welchen Weg er damals ging und wie er der Gaskammer entkam, weil er im britischen Radiosender BBC gehört hatte, dass die Juden in den Gebäuden, die als Duschen getarnt waren, nicht gereinigt, sondern getötet wurden.

Am Ende seiner Besichtigung stellt Maas an einem großen steinernen Mahnmal eine Kerze in einer Glasschale ab. Dann spricht er über seine Eindrücke. "Ich habe jetzt in der Gaskammer von Auschwitz gestanden", beginnt der Minister. Er habe Tausende Schuhe und Tonnen an Haaren gesehen, die man den Menschen abgenommen habe, bevor man sie ermordete. "Das ist der schrecklichste Ort der Welt."

Hier müsse man sich entscheiden: "Entweder verliert man den Glauben an die Menschlichkeit. Oder man gewinnt die Hoffnung und die Kraft, dafür einzutreten, dass die Menschenwürde gewahrt wird, und tut etwas dafür."

Auschwitz als ein politischer Beweggrund - das steht einerseits für sich und lässt andererseits die Frage offen, was daraus konkret folgt. Gerade für einen Außenminister. Maas' letzter Vorgänger, der Auschwitz quasi operativ als Motiv in Anspruch nahm, war Joschka Fischer.

Er war etwa so kurz im Amt des Außenministers der rot-grünen Regierung, als er mit dem Holocaust die Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Einsatz in Kosovo rechtfertigte: "Ich habe nicht nur gelernt: nie wieder Krieg", sagte Fischer am 7. April 1999. "Ich habe auch gelernt: nie wieder Auschwitz." Das hat Fischer damals viel Kritik eingebracht. Es hieß, er instrumentalisiere die deutsche Geschichte und stelle das Vorgehen der Serben in Kosovo auf eine Stufe mit dem Holocaust.

Maas' Auschwitz-Satz als allgemein ausgelegtes Prinzip

So konkret ist der Auschwitz-Satz bei Heiko Maas nicht gemeint. Er versteht ihn mehr als Prinzip, das er aber eher allgemein auslegt. In der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz trifft Maas später Jugendliche. Es sind Auszubildende von VW, Schüler einer polnischen Berufsakademie und deutsche Nachwuchsdiplomaten, die mit dem Minister nach Polen geflogen sind.

Auch hier wird Maas gleich wieder nach seinem Satz gefragt. Was im nationalsozialistischen Deutschland geschehen ist, sei ihm stets Motivation gewesen, "mich zu engagieren, dass so etwas nicht mehr passieren kann". Dazu gehört für ihn, gegen Rassismus und Antisemitismus einzutreten und die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu bewahren.

Der Job eines Außenministers aber besteht im täglichen Interessenausgleich, er hält ständig Zwangslagen der Realpolitik bereit - und irgendwann womöglich auch eine Abwägung für oder gegen eine militärische Intervention. Was der Satz für Maas dann bedeutet, das muss sich noch zeigen.

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SZ vom 21.08.2018/odg
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