SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 10:Ausgerechnet Heidenau

SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 10: Seit Januar 2016 lebt die Familie von Zukaa Almasri (hinten Mitte) in Heidenau. Die Stadt hat viel getan, damit sich Flüchtlinge wieder sicher fühlen.

Seit Januar 2016 lebt die Familie von Zukaa Almasri (hinten Mitte) in Heidenau. Die Stadt hat viel getan, damit sich Flüchtlinge wieder sicher fühlen.

(Foto: Antonie Rietzschel)
  • Die syrische Familie Almasri lebt im sächsischen Heidenau - ausgerechnet dort, wo es 2015 zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen kam.
  • Nicht alles ist leicht, erzählt Mutter Zukaa Almasri, insgesamt aber fühle sich die Familie wohl.
  • Das liegt auch daran, dass Heidenau aus den Ausschreitungen gelernt hat.

Von Antonie Rietzschel, Heidenau

Das Handy von Zukaa Almasri steckt voller Erinnerungen. Fotos und Videos von Ausflügen nach Prag, in die Sächsische Schweiz. Der schönste Tag in diesem Jahr? Die 37-Jährige zeigt das Bild einer Braut, zarte Blümchen in den Haaren, Perlen blitzen auf der weißen Korsage. Daneben eine Frau im tiefroten Kleid - Zukaa Almasri.

Die Braut ist ihre älteste Tochter Roua, im Sommer hat die 18-Jährige geheiratet. Ein Happy End für eine Familie, die jahrelange Trennung hinter sich hat. Ein Happy End, das ausgerechnet in Heidenau spielt. Die sächsische Stadt wurde 2015 zur Chiffre für Fremdenhass, inzwischen ist es ruhig geworden, in und um Heidenau.

Integration in Deutschland

Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

Zukaa Almasri sitzt auf der Couch ihrer Dreizimmerwohnung. Auf ihrem Schoß hockt die jüngste Tochter, eines von sechs Kindern. Masahs Augen fixieren die Kekse auf dem Tisch, sie schmecken süß, leicht bitter. Sie schmecken nach der syrischen Heimat.

Vor gut drei Jahren lebte die Familie in Damaskus, jetzt wohnt sie in einer Kleinstadt, gleich neben Dresden, 17 000 Einwohner. An diesem schönen Herbstabend ist kaum noch jemand auf der Straße. Nur wenige Gehminuten sind es von Almasris Wohnung bis zu dem ehemaligen Baumarkt. Als im Sommer 2015 dort eine Erstaufnahme für Flüchtlinge entstand, randalierten Neonazis. Einige Heidenauer sahen zu, ein Bier in der Hand.

Almasri kennt nicht die Videos von Vermummten, die im Dunkeln Böller werfen. Als dies geschah, war die Mutter mit Roua und Masah unterwegs nach Deutschland, ohne ihren Mann. Im Januar 2016 kamen sie nach Heidenau, die Mutter war wieder schwanger. Es dauerte zwei Jahre, bis Almasris Mann Aiad Belal mit den übrigen Töchtern nachziehen durfte und zum ersten Mal seinen Sohn in den Armen hielt.

  • Merkel hat vor drei Jahren gesagt: "Wir schaffen das!" Was ist aus den Flüchtlingen geworden, die seit 2015 geblieben sind? In der Serie "Schaffen wir das?" gibt die SZ jede Woche Antworten.

"Was sucht ihr hier? Geht wieder zurück!" Solche Sprüche haben sie sich anhören müssen

Der Junge ist heute zwei Jahre alt. Seine Hand greift nach den Erdnüssen auf dem Couchtisch, der Vater zieht ihn weg. "Nein", sagt er. Es ist eines der wenigen deutschen Worte, die er kann. Belal fährt jeden Tag zum Sprachunterricht nach Dresden, noch fällt es ihm schwer, sein Alter zu sagen: 44. Seine Frau hat noch nie Deutschunterricht besucht. Behördengänge, Arztbesuche, Elternabende - Mutter und Vater sind in solchen Situationen hilflos.

Besonders seitdem Tochter Roua nicht mehr bei der Familie wohnt, sondern in Rostock bei ihrem Mann, der auch aus Syrien stammt. Rawan, 16, kam mit ihrem Vater nach Deutschland, in der neuen Sprache ist sie ihm weit voraus. Sie besucht die achte Klasse einer Realschule, hat deutsche Freundinnen, ihre Lieblingsfächer sind Mathe und Kunst. Stolz zeigt sie die Zeichnung einer Schachfigur samt Schattierungen, "eins minus" hat der Lehrer draufgeschrieben.

Rawan trägt wie ihre Mutter Kopftuch. In der Vergangenheit mussten sich die Frauen auf der Straße Sprüche wie diese anhören: "Was sucht ihr hier? Geht wieder zurück." Und trotzdem sagt Zukaa Almasri: "Nicht schlimm." Sie fühle sich wohl in Heidenau trotz der traurigen Bekanntheit des Städtchens. Für sie ist es der Ort, an dem sie sicher sind vor dem Krieg. Wo die Nachbarn zwar nicht einfach zum Tee vorbeikommen, aber schon mal auf die Kinder aufpassen. Wo sie als Familie wieder vereint vor dem Fernseher sitzen.

Das Städtchen bei Dresden hat es vom Gegeneinander zum Nebeneinander geschafft

Natürlich wissen die acht, welche Mühen noch vor ihnen liegen, um heimisch zu werden in Deutschland. So wie auch Heidenau erst einen Teil des Weges geschafft hat. Immerhin, aus dem Gegeneinander von Einheimischen und Flüchtlingen ist ein Nebeneinander geworden. Keine Selbstverständlichkeit, gerade im Osten. Da sind nicht nur die vielen Übergriffe auf Flüchtlinge, da ist auch ein politisches Klima, das die Integration schwierig mache, sagt Werner Schiffauer.

Der Migrationsforscher beobachtet das vor allem in Gebieten, wo AfD und Pegida stark sind. Dort täten sich Helferinitiativen oft schwer, weil die Akzeptanz für ihr Engagement fehle, womit auch Geflüchtete weniger Rückhalt spürten. Ausnahmen, sagt Schiffauer, bestätigten die Regel: Ein gutes Miteinander gebe es oft dann, wenn einzelne Einheimische mit gutem Beispiel vorangingen, zum Beispiel der Bürgermeister.

So war es auch in Heidenau. Dort stellte sich Jürgen Opitz von der CDU 2015 dem Hass entgegen. Nach den Ausschreitungen rief er zur Solidarität mit den Asylbewerbern auf. Er brachte Vereine und Helfer zusammen. Im Rathaus hat heute ein Integrationsbeauftragter die Projekte im Blick: Gemeinsame Kochnachmittage, Trommelkurs.

Zukaa Almasri geht regelmäßig zum Begegnungscafé. Der Hass ist weitergezogen: Vergangenen Sommer war es Chemnitz, wo Rechtsextreme in den Straßen randalierten. Auslöser war der Tod eines Deutschen, der mutmaßlich von Flüchtlingen getötet worden war. Als sich die Lage in Chemnitz zuspitzte, schickten Freunde von Zukaa Almasri ihre Kinder drei Tage nicht in die Schule, aus Angst. Almasri hat ihnen angeboten, zu ihnen zu kommen, nach Heidenau.

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SZ-Serie "Schaffen wir das", Folge 10
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