Als Donald Trump einige Wochen nach seiner Wahl zum US-Präsidenten eine Weihnachtsfeier besuchte, war das Motto der Party: "Heroes and Villains", also "Helden und Schurken". Trump trug bei der Veranstaltung im 1000-Einwohner-Ort Head of the Harbor im US-Bundesstaat New York einen dunklen Anzug und eine Krawatte mit schlichtem Muster. Auf die Frage der anwesenden Reporter, als was er gehe, sagte Trump: "Me." Der 70-Jährige dürfte sich mit dieser knappen Antwort nach eigenem Verständnis wohl in die Helden-Kategorie eingeordnet haben.
Robert Mercer, der die besagte Party auf seinem Anwesen "Owl's Nest" ausrichtete, könnte das anders sehen - obwohl er Trumps größter Geldgeber im Wahlkampf war. Es gibt Menschen, die glauben, dass Mercer den Immobilienmilliardär Trump gerade wegen seines Schurkenpotenzials ausgewählt hat. Die glauben, dass Mercer auf die Abschaffung der Regierung hinarbeitet. Und wer wäre besser geeignet, dem amerikanischen Volk vorzuführen, wie nutzlos der ganze Apparat in Washington ist, als ein Präsident wie Trump, der dort für Chaos sorgt?
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Robert Mercer ist wie Trump 70 Jahre alt und einer der Geschäftsführer von Renaissance Technologies. Dem Investmentmanagement-Unternehmen gehört mit dem "Medallion Fund" einer der profitabelsten - und am besten abgeschotteten - Hedgefonds des Landes. Mit welcher Methode dort Traum-Gewinnraten von im Schnitt 40 Prozent erreicht werden, ist ein streng gehütetes Firmengeheimnis. Bekannt ist "Medallion" als Hedgefonds der Mathe-Genies, weil viele der dort angestellten Finanzspezialisten aus den Naturwissenschaften kommen. Beteiligt sind ausschließlich Mitarbeiter von Renaissance Technologies, 135 Millionen US-Dollar soll Mercer 2015 verdient haben.
Mercer soll davon überzeugt sein, dass die Clintons Gegner ermorden ließen
Einen Gutteil seines Geldes lässt er seit einigen Jahren in die Politik fließen. Die Mercer Family Foundation unterstützt etablierte konservative Institutionen wie die Heritage Foundation, finanziert aber beispielsweise auch das jährliche Treffen einer Organisation namens "Doctors for Disaster Preparedness". Deren Vorsitzende, die Ärztin Jane Orient, hat der US-Regierung in einem Artikel vorgeworfen, mitschuldig am Terroranschlag von St. Bernardino 2015 zu sein. Und bei der Jahresversammlung der Ärztevereinigung im vergangenen Jahr trat ein pensionierter Herzchirurg auf, der argumentierte, dass der HI-Virus eine Erfindung der Regierung sei, um die Risiken eines homosexuellen Lebensstils zu verschleiern.
Robert Mercer hat selbst schon an solchen Treffen teilgenommen, er dürfte also sehr genau wissen, welches Gedankengut dort ausgetauscht wird. Nicht zuletzt soll sein Glaube an eine ganz bestimmte Verschwörungstheorie ein Grund dafür sein, dass Mercer zum Trump-Unterstützer wurde. Jane Mayer, Reporterin beim Magazin New Yorker, hat jüngst ein großes Porträt über den einflussreichen Parteispender geschrieben und mit mehreren Mercer nahestehenden Personen gesprochen, die ihr erzählten: Mercer glaube fest daran, dass die Clintons in kriminelle Machenschaften verwickelt seien, und - schlimmer noch -, politische Gegner ermorden ließen.
Gemeinsam mit seiner zweitältesten Tochter Rebekah hat Mercer in der Vergangenheit mindestens 32 Millionen US-Dollar ausgegeben, um konservative Kandidaten in politische Ämter zu bringen. Mit allein elf Millionen Dollar unterstützten die beiden den republikanischen Präsidentschaftsbewerber Ted Cruz, bis dieser im Mai 2016 aus dem Rennen ausschied. Nur wenige Wochen darauf stellten sich Vater und Tochter mit ihrem ganzen finanziellen Gewicht hinter Trump.
Sie brachten nicht nur Geld mit, sie nahmen auch direkten Einfluss auf Trumps Wahlkampfpersonal. Die Mercers drängten darauf, dass Trump sein Team um zwei Namen erweiterte, die am Ende maßgeblich zu seinem Erfolg beitrugen: Steve Bannon und Kellyanne Conway. Außerdem stellten Vater und Tochter den Kontakt zum Datenspezialisten Cambridge Analytica her, in den sie fünf Million Dollar investiert hatten. Cambridge Analytica ist eine Tochterfirma des britischen Unternehmens Strategic Communication Laboratories, dessen Geschäftsführer seine Dienstleistung als psychologische Kriegsführung bezeichnet und damit wirbt, dass die Beeinflussung von Wählern nach den gleichen Prinzipien funktioniere, wie einen Teenager in Indonesien davon zu überzeugen, nicht al-Qaida beizutreten.
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Bei Salat und Sandwiches holte das Ehepaar Trump/Kushner die Mercers ins Boot
Zu einem Zeitpunkt, als viele andere Großspender den großmäuligen Immobilientycoon noch geringschätzten - sowohl auf persönlicher Ebene, als auch was seine politischen Chancen anging -, hatten die Mercers keine Berührungsängste. Der Washington Post zufolge soll die Allianz bei einem Mittagessen im Trump Tower angebahnt worden sein: Ivanka Trump und ihr Ehemann Jared Kushner hatten Rebekah Mercer und deren Vertraute Kellyanne Conway eingeladen; es gab Salat und Sandwiches. Trump und Mercer, so heißt es, hätten Erfahrungen ausgetauscht - über Kindererziehung und darüber, wie es ist, Tochter eines fordernden, erfolgreichen Vaters zu sein.
Das mag zunächst nicht wie eine klassische, ideologische Grundlage für eine politische Beziehung klingen. Aber es stellte sich als krisensicheres Fundament heraus. Die Mercers veröffentlichten im Trump-Wahlkampf genau zwei Statements. In einem drückten sie ihre Enttäuschung darüber aus, dass ihr einstiger Protegé Cruz dem Kandidaten Trump seine Unterstützung verweigerte. Die zweite öffentliche Einlassung datiert kurz nach Bekanntwerden des "Grab em by the pussy"-Tapes. Darin heißt es: "Wenn Mr. Trump Billy Bush - wer auch immer das ist - (...) gesagt hätte, dass er für offene Grenzen ist, für freien Handel und für staatliche Eingriffe bei der Waffenkontrolle, hätten wir unsere Unterstützung für ihn sicherlich überdacht. Mr. Trumps Locker-Room-Angeberei ist uns dagegen vollkommen gleichgültig."
Diese Aussage ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Mercers durchblicken lassen, welche konkreten politischen Ziele sie verfolgen. Seit der Supreme Court 2010 entschieden hat, dass private Parteispenden vom ersten Verfassungszusatz geschützt werden - und damit de facto die Begrenzung von Spenden aufgehoben hat -, gehören die Mercers zu den spendabelsten Geldgebern in der US-Politik. Doch hinter ihrer Finanzhilfe eine politische Linie zu erkennen, fällt schwer. Zehn Millionen Dollar haben Vater und Tochter dem Vernehmen nach in Breitbart.com investiert. Die Nachrichtenseite ist das Portal der Alt-Right-Bewegung, auf der sich rechte Provokateure wie Milo Yiannopoulos austoben konnten ( der mittlerweile nicht mehr zum Stab gehört) - und der Steve Bannon als Chef zum Erfolg verholfen hat.
Seit mindestens 2012 ist Bannon so etwas wie der politische Coach der Mercers. Manche Beobachter befürchten, der geschickte Manipulator Bannon profitiere gleichermaßen von der Naivität und dem Vermögen der Familie. Dagegen spricht, dass sich vor allem Rebekah Mercer einmischt. Sie soll regelmäßig in der Breitbart-Redaktion anrufen, wenn sie in Artikeln Rechtschreib- oder Grammatikfehler entdeckt. Und nach der Wahlniederlage von Mitt Romney 2012 hielt die Mutter von vier Kindern anderen Großspendern der Republikanischen Partei eine Standpauke, die diese nachhaltig beeindruckte.
Seitdem ziehen die Mercers - durchaus mit einer gewissen Gnadenlosigkeit - ihr eigenes Ding durch. "Ich weiß nicht, was ihre Prinzipien sind. Ich weiß nicht, wie man so schnell von Ted Cruz zu Donald Trump wechselt", wunderte sich ein Breitbart-Mitarbeiter im Atlantic. Die Antwort muss wohl lauten: Das einzige Prinzip, das die Mercer interessiert, ist Erfolg.
In Meetings soll Robert Mercer häufig leise vor sich hinpfeifen
Vater und Tochter selbst haben sich noch nie öffentlich zu ihrer Agenda geäußert, Interviews geben die beiden grundsätzlich nicht. Robert Mercer, so berichten jene, die geschäftlich mit ihm zu tun haben, scheue nicht nur die Öffentlichkeit, er sei auch im sozialen Umgang unbeholfen. In Meetings soll er häufig leise vor sich hinpfeifen. Auf einen Artikel im Wall Street Journal reagierte Mercer einst mit einem kurzen Statement: "Ich bin glücklich, durchs Leben zu gehen, ohne irgendetwas zu irgendjemandem zu sagen."
Damit passt der heute 70-Jährige ins Klischee des Computergenies, das sich umgeben von Maschinen am wohlsten fühlt. Tatsächlich soll ein ehemaliger Chef bei IBM Mercer einmal als "Automat" bezeichnet haben. Viel häufiger fällt im Zusammenhang mit Mercer aber der Begriff "brillant".
Er studierte Physik und Mathematik und machte seinen Doktor in Informatik. Nach der Uni ging Mercer zu IBM und wurde dort Teil eines Teams, das Computern beibringen sollte, menschliche Sprache zu verstehen und zu verarbeiten. Die Programmierer um Mercer entschieden sich, den zu der Zeit populären, linguistischen Ansatz zu vernachlässigen, und sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten konnten: Statistik. Sie fütterten die Computer mit riesigen Datenmengen - Mercer selbst soll sich sechs Monate freigenommen haben, um ein Wörterbuch "Englisch - Spanisch" einzutippen. Das Mercer-Team gewann schließlich den internen Pitch: Noch heute arbeiten Übersetzungssoftwares wie Google Translate nach dem Prinzip, das Mercer einst mitentwickelte.
Die Geschichte des Abweichlers vom Meinungsmainstream gefällt Mercer - nicht erst seit Trump. In den vergangenen Jahren hat die Mercer Family Foundation 1,6 Millionen Dollar an einen Mann gezahlt, der auf einer Schaf-Ranch in Oregon lebt und in riesigen Kühltruhen Tausende Urin-Proben sammelt. Arthur Robinson ist der Überzeugung, irgendwann die medizinische Diagnostik zu revolutionieren und menschliches Leben verlängern zu können. Der 75-Jährige hat sich in der Vergangenheit viermal als Abgeordneter seines Distrikts für das Repräsentantenhaus beworben, und viermal verloren. Weder Robinson noch seine Förderer ficht das an - sie eint die feste Überzeugung, am Ende Recht zu behalten.
2014 verlieh die Association of Computational Linguistics Mercer einen Preis für sein Lebenswerk. In seiner Dankesrede - einer seiner seltenen öffentlichen Auftritte - erinnerte er sich an eine Begebenheit während seiner College-Zeit, als er im Computerlabor auf einer Militärbasis in New Mexiko jobbte: Er habe seinen Vorgesetzten einen Weg gezeigt, wie sich die Geschwindigkeit bestimmter Computerprogramme um das Hundertfache steigern ließe. Doch anstatt so Zeit und Geld zu sparen, ließen seine Chefs die Computer hundertmal so viele Berechnungen durchführen. Mercers Fazit: Regierungsmitarbeitern gehe es "nicht um Antworten, sondern darum, das Budget auszuschöpfen".
Seine politischen Ziele mögen mysteriös sein, seine Motivation ist klar - da sind sich alle, die Mercer ein bisschen kennen, einig. Patrick Caddell, ein erfolgreicher wie umstrittener Meinungsforscher (er half unter anderem Jimmy Carter, Präsident zu werden), beschrieb Mercer im Magazin New Yorker als Libertären: "Er verachtet das republikanische Establishment. Er glaubt, dass die Parteispitze aus korrupten Betrügern besteht, die das Land ruiniert haben."
Damit ist Mercer auf einer Linie mit Trump, der sich nun jedoch qua Amt mit den Mitgliedern seiner Partei arrangieren muss, wenn er ein Desaster wie jüngst bei der Abstimmung über die Abschaffung von Obamacare verhindern will. Mercer selbst dürfte es in der Sache mit den konservativen Hardlinern gehalten haben, zumindest wenn man David Magerman glaubt. Magerman arbeitet seit 20 Jahren für Renaissance Technologies und hat seinen Chef offen kritisiert. Ihm zufolge ist Mercer der Überzeugung, dass sich der Wert eines Menschen danach bemisst, wie viel er Geld er erwirtschaftet. Wer Sozialleistungen in Anspruch nimmt - also das Geld ausgibt, das andere verdient haben - hat einen negativen Wert. Die Philosophie dahinter geht auf den Objektivismus-Ansatz der Autorin Ayn Rand zurück. Mercer hat in der Vergangenheit eine Dokumentation über Rand mitfinanziert.
Magerman wäre bereit, sich selbst - und seinem Chef - den Geldhahn zuzudrehen
Magerman hält Mercers politisches Engagement für gefährlich. Dieser habe sich de facto "Anteile an einem Kandidaten" gekauft, sagte er dem Inquirer. "Robert Mercer besitzt heute einen beträchtlichen Anteil an der Präsidentschaft." Solche Aussagen haben Magerman bereits eine 30-tägige Suspendierung eingebracht. Doch er ist sogar bereit, noch einen Schritt weiterzugehen: Magerman erwägt, gemeinsam mit der demokratischen Senatorin Elizabeth Warren eine Initiative voranzutreiben, die genau die Art von Finanzgeschäften einschränken würde, die das Geschäftsmodell von Renaissance Technology sind. Er würde damit sich selbst den Geldhahn zudrehen - aber eben auch seinem Chef.
Die Unterstützung mancher Kollegen hätte Magerman womöglich. Ein anderer Mitarbeiter von Renaissance Technologies sagte dem New Yorker unter der Bedingung der Anonymität: "Bob (Robert Mercer, Anm. d. Red.) findet, je weniger Regierung, desto besser. Es freut ihn, wenn die Leute der Regierung misstrauen. Und wenn der Präsident ein Dummkopf ist? Damit hat er kein Problem. Er will, dass alles zusammenbricht."