Süddeutsche Zeitung

Hebammen:Unter Wehen

Wie ein Mensch zur Welt kommt, prägt ihn ein Leben lang. Deshalb ist es so wichtig, gute Bedingungen für die werdenden Mütter und ihre Kinder zu schaffen.

Von Renate Meinhof

Man stelle sich vor: eine Frau in der Urgewalt des Geburtsschmerzes, und mit jeder Wehe lässt sie ein wenig mehr das Kind los, das in ihrem Bauch herangewachsen ist. Neben ihr sitzt, still beobachtend, ihre Hebamme. Und, ja, Achtung: Sie strickt! Reihe für Reihe, Wehe um Wehe. Das Bild der strickenden Hebamme hat der französische Arzt Michel Odent geprägt. Es wirkt heute nicht nur wie eine Utopie - es hat fast schon etwas Anstößiges, wenn man daran denkt, dass Hebammen und Ärzte in überfüllten Kreißsälen leidenschaftlich, doch bis zur totalen Erschöpfung arbeiten, weil viel zu wenig Personal da ist. Dass sie Frauen unter Wehen an der Tür abweisen müssen oder ihnen gerade noch eine Pritsche in der Aufnahme anbieten können.

Am Bild der strickenden Hebamme zeigt sich umso deutlicher, wie weit sich Gesundheitspolitik vom Ursinn guter Geburtshilfe entfernt hat. Gute Geburtshilfe sorgt dafür, dass die Gebärende eins zu eins betreut wird, also eine Hebamme für eine Frau, sodass sie sich sicher und geborgen fühlt. Gute Geburtshilfe bedeutet, dass nur dann eingegriffen wird, wenn es unbedingt nötig ist - und nicht, weil es der Klinik Geld bringt.

Es ist nicht egal, wie man geboren wird. Doch die Politik ignoriert das noch zu oft

Odent, der so sehr bewundert wie für seine Skepsis gegenüber Krankenhäusern kritisiert wird, sagt, dass der Adrenalinspiegel der Hebamme entscheidend für den Geburtsverlauf ist, weil ihr "Gemütszustand sich auf die Gebärende überträgt". Die strickende Hebamme hat also nichts mit Untätigkeit zu tun, sondern steht für die wachsame Erfahrung, mit Geduld über möglicherweise viele Stunden geschehen zu lassen, was die Natur in ihrem Takt vorgibt, in den entscheidenden Momenten aber helfend da zu sein. Adrenalin? Erst kurz bevor der Kopf kommt, bitte.

Hebammen in den allermeisten deutschen Krankenhäusern können von solchen Arbeitsbedingungen nur träumen. Es ist beschämend, dass Frauen im reichen Deutschland heute lange Wege zurücklegen müssen, um ihre Kinder zur Welt zu bringen, dass sie bangen, überhaupt eine Hebamme für Vorsorge oder Wochenbett zu bekommen. Es ist das Ergebnis einer verfehlten und rein ökonomisch orientierten Gesundheitspolitik.

Allein in den vergangenen zehn Jahren haben in Deutschland an die 200 Kliniken ihre Geburtsabteilungen geschlossen, weil diese sich finanziell nicht trugen oder die Hebammenstellen nicht besetzt werden konnten - oder beides. Nun kommen wieder mehr Kinder zur Welt. Große Geburtszentren sind in den Städten entstanden, vor allem in ländlichen Gegenden aber ist die Versorgung der Schwangeren nicht mehr gesichert. Unsicherheit aber bedeutet Stress, und Stress schadet Mutter und Kind. Weitsichtige Gesundheitspolitik hat den Rahmen dafür zu schaffen, dass sich Frauen in der Schwangerschaft und unter der Geburt aufgehoben wissen. Denn die Geburtserfahrung prägt den Weg eines Menschen, seine Gesundheit bis zum Ende. Geburtshilfe hat eine gesellschaftliche Dimension, eine wirtschaftliche ohnehin.

Natürliche Geburten ohne klinische Interventionen mögen sich für die Krankenhäuser nicht rechnen - doch für die Gesellschaft machen sie sich bezahlt. Deshalb ist es auch falsch, dass die Kassen einen zeitlich überschaubaren Kaiserschnitt mit einer Fallkostenpauschale von gut 3000 Euro bezahlen, eine natürliche Geburt aber mit nur knapp 2000 Euro, egal wie lange sie dauert. Es gibt sie nicht, die pauschale Geburt, deshalb ist es widersinnig, sie pauschal zu vergüten. Geburtspausen ist mit Respekt zu begegnen, denn sie gehören dazu; auch sie müssen bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass Frauen Krankenhäuser verlassen mit dem Gefühl, versagt zu haben, weil "es nicht weiterging", und weil dann, unter Stress und Druck, das volle Programm klinischer Interventionen ablief, bis hin zum Kaiserschnitt.

Von Beginn der Schwangerschaft an werden Schwangere ärztlicherseits auf tausend Risiken hingewiesen, auf das, was schiefgehen kann. Denn Ärzte wie Hebammen stehen unter enormem Druck, sich absichern zu müssen. Wer hat Schuld, wenn etwas passiert? Wessen Haftpflichtversicherung zahlt? In einem System, das auf Schuldfragen fixiert ist, sind alle Verlierer. Niemand kann eine Geburt planen, ihren Verlauf berechnen; Komplikationen geschehen, leider, in Kreißsälen ebenso wie bei Hausgeburten.

Weil sie ein großes Stück der Verantwortung trägt, muss der Kopf der Hebamme frei sein. Sie muss, im übertragenen Sinne, ihr Strickzeug in der Hand haben. Sie muss ihre Arbeit in dem Wissen tun können, dem Staat einen Dienst zu erweisen. Denn das tut sie. Die Geburt eines Menschen ist nichts Privates, sie ist ein gesellschaftliches Ereignis, ein freudiges dazu. Und so sollte sie auch finanziert werden, durch einen gesamtgesellschaftlichen Fonds zum Beispiel. Es würde sich bezahlt machen.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018
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