Zur Frage, was den Abgeordneten für Rawmarsh und Conisbrough im britischen Unterhaus hervorhebt, zunächst ein paar Zahlen. Im vor drei Monaten gewählten britischen Parlament sitzen 231 neue Labour-Abgeordnete, so viele Neulinge in einer Unterhausfraktion wie noch nie. Das neue Unterhaus ist mit einem Altersdurchschnitt von 46 Jahren das jüngste in der dokumentierten Geschichte; der Durchschnitt der neuen Labour-Abgeordneten liegt sogar bei 43 Jahren. Auf den Bänken sitzen also sehr viele neue und jung aussehende Gesichter. Und John Healey, immer noch. Er sitzt da seit 1997.
Seine Erfahrenheit ist ein Grund dafür, dass Premierminister Keir Starmer ihm eines der wichtigsten Ämter seiner Regierung übertragen hat: Healey ist der Verteidigungsminister. Der 64-Jährige hielt in seiner langen politischen Karriere schon ein paar Posten auf Staatssekretärsebene, und im Schattenkabinett von Ed Milliband beziehungsweise Jeremy Corbyn war er Schattenminister für Gesundheit beziehungsweise Wohnungsbau. Die Leitung des Verteidigungsministeriums ist sein erstes Ministeramt in einer Regierung.
Healey ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Rotherham, einer 100 000-Einwohner-Stadt in South Yorkshire, und er gilt als souverän, seriös und zurückhaltend; für die sonst durchaus flexible britische Boulevardpresse ist er also schlichtweg zu langweilig. Geboren wurde er 1960 in Wakefield in West Yorkshire, er studierte Sozial- und Politikwissenschaft in Cambridge und arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalist für das Parlamentsmagazin The House. Später wurde er Kommunikationsdirektor einer Gewerkschaft und arbeitete sechs Jahre als Freiwilliger in der britischen Behindertenvereinigung sowie im nationalen Gehörlosenverband. 1992 versuchte er das erste Mal, ins Unterhaus gewählt zu werden, unterlag allerdings, ehe er 1997 schließlich mit der Tony-Blair-Welle ins Parlament gespült wurde. Keir Starmer ernannte Healey nach seiner Wahl zum Labour-Chef 2020 zum neuen Schattenverteidigungsminister, direkt daraus folgte das Ministeramt.
Nach außen wird er nicht viel verändern – aber nach innen
Am Mittwoch stand John Healey im Flur des edlen Trinity House in der Nähe des Towers in London und plauderte sichtlich entspannt mit Uniformierten; er wartete auf den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius, um das neue deutsch-britische Verteidigungsbündnis zu unterzeichnen und damit Geschichte zu schreiben. Wie sein deutscher Amtskollege auch ist Healey schon jetzt beliebt beim Militär. Bereits in der Opposition sprach er sich wiederholt für eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets aus, auch sonst sind mit ihm eher keine grundsätzlichen Veränderungen in der britischen Verteidigungspolitik zu erwarten. Die britische Grundhaltung zur „felsenfesten Unterstützung der Ukraine“, wie Healey sagt, dokumentierte er bereits im Mai, vor der Wahl, mit einem Besuch in Kiew.
Eine Veränderung aber dürfte sich auch auf Partnerländer Großbritanniens auswirken: Die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien, insbesondere dem Außenministerium von David Lammy, könnte mit Healey harmonischer ablaufen als unter den zuletzt zerstrittenen Tories. Healeys Vorvorgänger Ben Wallace pflegte seine Abneigung gegen das Außenministerium öffentlich, zuletzt unterstrich er sie in einem unverhohlen kritischen Gastbeitrag im Daily Telegraph. Es gehe dem Außenministerium doch immer nur darum, niemanden zu verärgern, „selbst wenn dies zulasten unserer nationalen Interessen geht“. Außerdem würde sich das ganze Ministerium immer schon „hinter Protokoll und Aufgeblasenheit verstecken“, schrieb Wallace da, direkt vor der Wahl.
Healey und der Außenminister David Lammy hingegen waren gemeinsam in Kiew, und sie traten gemeinsam bei der „London Defence Conference“ auf. Am Tag, an dem der Beitrag von Wallace veröffentlicht wurde.