Verlassen liegt das US-Kapitol unter einem orangefarbenen Mond. Geister spuken um die Kuppel, ansonsten hausen im Vorgarten nur zwei Lebewesen: eine dicke Spinne und eine schwarze Katze. So stellt sich der Künstler Mark Ulriksen dieser Tage das amerikanische Parlament vor, sein Spukschloss-Bild erscheint in dieser Woche auf dem Titel der Zeitschrift New Yorker.
Der US-Budgetstreit der vergangenen Wochen ähnelte über weite Strecken einer politischen Horrorshow, wobei die Betonung so sehr auf Horror wie auf Show liegt. Doch zu Beginn dieser Woche wirkte die Lage tatsächlich ernst, und was zuletzt nur ein Schreckgespenst war, hatte über das Wochenende eine sehr reale Gestalt angenommen: ein faktischer Staatsbankrott der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt.
Am Donnerstag wird die US-Regierung die Befugnis verlieren, Kredite aufzunehmen. Das Geld reicht dann noch einige Tage, aber spätestens gegen Monatsende, zu Halloween also, wird es zu Zahlungsausfällen kommen, wobei unklar ist, wer zuerst leer ausgeht: US-Sozialhilfeempfänger oder ausländische Gläubiger oder beide.
Zusteuern auf die Pleite
Am Montag immerhin schienen die verfeindeten Parteien endlich aufeinander zuzugehen. Im Senat gelang es den beiden Fraktionsführern, dem Demokraten Harry Reid und dem Republikaner Mitch McConnell, ihre Animositäten zu überwinden und einen Kompromiss zu skizzieren: Demnach würde die derzeit aus Geldnot weitgehend stillgelegte US-Regierung bis zum 15. Januar finanziert. Die Regierung würde zudem bis in den Februar hinein mit der Befugnis ausgestattet, neue Kredite aufzunehmen. Ferner würden im Kongress groß angelegte Budgetverhandlungen beginnen, die bis Mitte Dezember abgeschlossen sein müssten.
Präsident Barack Obama wollte die Fraktionsführer von Senat und Repräsentantenhaus am Montagnachmittag im Weißen Haus empfangen und sich den neuen Plan erläutern lassen. Das zunächst für 15 Uhr Ortszeit angesetzte Treffen wurde verschoben, weil die Senatoren mehr Zeit brauchten für die Detailarbeit. Selbst wenn der Senat den Kompromiss billigen sollte, wäre dessen Schicksal am Ende ungewiss, weil er noch vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden müsste. Die republikanische Mehrheit dort steht insgesamt viel weiter rechts als der Senat. Die Staatspleite ist also noch nicht abgewendet.
Der Pleitegeist spukt schon seit Jahren durch die US-Politik. Es obliegt dem Parlament, die Obergrenze für Staatsschulden anzuheben, damit sich die Regierung Geld leihen kann. Die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus ist dazu prinzipiell nur bereit, wenn Obama sich verpflichtet, weniger Geld auszugeben. Weigert er sich, dann, so lautet die republikanische Drohung, folgt eben der Bankrott. Bisher haben es die Republikaner verstanden, diesen Pleitegeist für sich zu nutzen:
Beim letzten Streit dieser Art 2011 konnten sie Obama etliche Zugeständnisse abringen. Nach seiner Wiederwahl Ende 2012 allerdings hat der Präsident erklärt, dass er sich nicht mehr einschüchtern lasse. Das Parlament, sagt er, müsse die Schuldengrenze anheben und könne dafür kein "Lösegeld" erwarten. Nun lässt er das Land auf die Pleite zusteuern und macht die Republikaner verantwortlich.
Der Staatsrechtler Obama hat seine Kompromisslosigkeit zur pädagogischen Notwendigkeit erklärt: Erpressung dürfe nicht zur Routine werden. Die Gelegenheit für eine Lektion ist scheinbar günstig, denn die Republikaner haben offensichtlich überreizt: Anders als 2011 haben sie diesmal nicht nur Einsparungen verlangt, um den Schuldendeckel anzuheben, sondern ein neues Budget auch an die Bedingung geknüpft, dass Obama seine Gesundheitsreform zurücknehme.
Diese Taktik, ausgeheckt vom rechtspopulistischen Tea-Party-Flügel der Partei, ist gescheitert. Obama und die Demokraten haben geschlossen dagegengehalten, und wenn das Ergebnis nun gruselig ist, dann vor allem für die Republikaner: Umfragen zufolge ist nicht einmal ein Drittel der Amerikaner einverstanden mit dem Kurs der Partei, sie hat in der Budgetkrise zehn Prozentpunkte an Zustimmung verloren, weil sie aus der Sicht etlicher US-Bürger ihre Agenda vor das Wohl des Landes stellt. Mehr als die Demokraten spüren die Republikaner den Druck, sich aus einer Falle zu befreien, die sie sich selbst gestellt haben. Wie sehr die Republikaner nachgeben, zeigt der Umstand, dass die Gesundheitsreform in ihren Friedensangeboten kaum noch eine Rolle spielt.
McCain warnt die Demokraten davor, seine Partei zu demütigen
Allerdings haben die Demokraten die jüngsten Angebote ihrer Gegner brüsk zurückgewiesen. Aus ihrer Sicht können sie die verzweifelte Lage der Republikaner nutzen, um mehr Zugeständnisse herauszuschlagen. Nicht nur soll die Regierung ein Budget bekommen, der Schuldenrahmen erweitert und die Gesundheitsreform unangetastet bleiben; die Demokraten möchten jetzt auch wieder mehr Geld ausgeben dürfen.
Die Republikaner wiederum halten solche Forderungen der anderen Partei für maßlos. In einer Lage wie dieser einige man sich auf Kürzungen irgendeiner Art, nicht darauf, mehr Geld auszugeben, sagte der republikanische Senator Bob Corker. Sein Kollege John McCain scherzte angesichts der Umfragen, als einzige Unterstützer der Republikaner blieben "Blutsverwandte und bezahlte Mitarbeiter". Doch warnte auch er die Demokraten davor, die Republikaner zu "demütigen".
Die Demokraten und Obama stehen in dem Ruf, in Konflikten wie diesem zu nachgiebig und nicht kaltblütig genug zu sein. Sie möchten sich deshalb diesmal davor hüten, den Republikanern einen allzu bequemen Weg aus dem Spukschloss zu weisen.
Die Republikaner wiederum fürchten eine bedingungslose Kapitulation; sie werden nicht einlenken, wenn sie nicht zumindest ein Zugeständnis des Präsidenten erzwingen - als "Feigenblatt" für ihren ehrenvollen Rückzug. Am Montag war unklar, ob sich die Demokraten doch noch zu einem minimalen Zugeständnis bei der Gesundheitsreform durchringen würden. Sollten sie den Republikanern gar nichts bieten, liefe die US-Regierung geradewegs auf den Bankrott zu. In Washington würden an Halloween nur noch die Kürbisfratzen im Kerzenschein leuchten.