Süddeutsche Zeitung

Haushaltskrise in den USA:Tick, tick, tick

Es klingt absurd: Amerikas Staatshaushalt steht vor dem Kollaps - schon bald wird die größte Wirtschafts- und Finanzmacht der Welt ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können. Präsident Obama und einige Republikaner arbeiten nun an einem Kompromiss, um den Bankrott in letzter Minute noch abzuwenden. Doch die Opposition spielt politische Spielchen.

Reymer Klüver, Washington

Dies ist die Woche der Entscheidung in Washington. Der Billionen-Poker um Amerikas Schulden nähert sich dem Showdown. Zwar wäre die vom Kongress festgesetzte magische Obergrenze von 14,3 Billionen Dollar Staatsschulden erst am 2. August erreicht. Danach würde der amerikanischen Regierung das Geld ausgehen, weil sie dann keine neuen Schulden mehr machen dürfte. Gleichwohl müssten sich Demokraten und Republikaner im Kongress und der Präsident bis zum kommenden Wochenende auf eine Lösung einigen. Denn sonst bliebe einfach nicht mehr genug Zeit, die komplizierte Materie rechtzeitig durch das Gesetzgebungsverfahren des Kongresses zu schleusen.

Dafür, so versichern die alten Fahrensmänner im Kongress, sind mindestens zehn Tage nötig. Es ist also, wie es im Amerikanischen heißt, crunch time, es geht ums Ganze: Der Kompromiss müsste allerspätestens am Sonntag stehen.

Doch an diesem Dienstag setzen die Republikaner die Spielchen der letzten Wochen erst einmal fort: mit einer Abstimmung im Repräsentantenhaus. Sie wollen dort der vom Weißen Haus verlangten Anhebung der Schuldengrenze um 2,4 Billionen Dollar unter der Voraussetzung zustimmen, dass ein Zusatz zur zwei Jahrhunderte alten US-Verfassungszusatz verabschiedet wird. Der soll die Regierung verpflichten, nur noch Haushalte vorzulegen, in denen fehlende Einnahmen nicht durch Schuldenaufnahme ausgeglichen werden dürfen.

Zugleich würde der Zusatz festlegen, dass die Bundesregierung in Washington nie mehr als 18 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts (also der wirtschaftlichen Gesamtleistung Amerikas) ausgeben darf. Gegenwärtig machen die Bundesausgaben etwa 24 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Die Demokraten lehnen eine solche Begrenzung ab - angesichts zu erwartender höherer Ausgaben für die Kranken- und Rentenversicherung der alternden Bevölkerung.

Zudem ist die Erweiterung der US-Verfassung ein nicht gerade einfaches Unterfangen: Beide Häuser des Kongresses müssen zustimmen und drei Viertel der 50 Bundesstaaten. Abgesehen davon, dass das ein langwieriger Prozess ist, hätte der Zusatz keinerlei Aussichten auf Erfolg. Selbst wenn er das Repräsentantenhaus passieren würde (was unwahrscheinlich ist, weil die Republikaner nicht die Zweidrittelmehrheit haben), hätte der Vorschlag keine Chance im von den Demokraten kontrollierten Senat - von den Bundesstaaten ganz zu schweigen.

Es ist also eine Abstimmung für die Galerie, mit der die Republikaner ihre Entschlossenheit beweisen wollen. Präsident Obama sagte, das Votum werde lediglich dazu dienen, "politische Erklärungen abzugeben".

Einsparungen von mindestens 1,5 Billionen US-Dollar

Tatsächlich verhandeln beide Seiten über eine ganze andere Lösung. Sie würde das Problem zwar nicht wirklich beseitigen, zumindest aber den aktuellen Druck aus den Gesprächen nehmen. Der Fraktionschef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, hatte sie als "Notlösung" vorgeschlagen. Danach würde der Kongress dem Präsidenten die Vollmacht geben, die Schuldengrenze zu erhöhen. Das Parlament könnte ihm das zwar verweigern, der Präsident könnte es aber per Veto überstimmen.

McConnell hat den Vorschlag nicht aus politischem Altruismus gemacht. Sein Kalkül ist es, dass die Wähler dann Obama allein für die Staatsschulden verantwortlich machen würden. Die Demokraten halten das nicht für ausgemacht.

Denn offenbar sollen auch Einsparungen von mindestens 1,5 Billionen US-Dollar, auf die sich beide Seiten in den vergangenen Wochen bereits geeinigt hatten, mit in das Kompromisspaket aufgenommen werden. Zugleich soll eine paritätisch besetzte Kommission von zwölf Abgeordneten berufen werden, die bis Ende des Jahres weitere Empfehlungen aussprechen soll - Sparvorschläge oder auch Steuererhöhungen.

Der Präsident dringt auf den großen Deal

Das Weiße Haus hat signalisiert, dass Obama diesen Kompromiss am Ende akzeptieren könnte. Gleichwohl dringt der Präsident weiter auf einen großen Deal, auf den er sich in Umrissen mit John Boehner, dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, bereits geeinigt hatte, der aber von dessen eigenem Fraktionschef Eric Cantor torpediert worden war.

Der Deal sieht eine Reduzierung der bisher unfinanzierten Staatsausgaben um mehr als vier Billionen Dollar vor. Das soll gegenfinanziert werden durch Einschnitte ins soziale Netz, aber auch durch höhere Steuern für Besserverdienende. Es würde die Explosion der Schulden Amerikas auf mittlere Sicht unter Kontrolle bringen.

Für Obama hätte eine solche Lösung politische Vorteile. Er könnte im Wahlkampf 2012 darauf verweisen, dass er trotz allen Widerstands eine vernünftige, überparteiliche Einigung in einem der drängendsten Probleme des Landes erzwungen hat. Tatsächlich hatte er bei der Präsidentschaftswahl 2008 einen Großteil der entscheidenden Wechselwähler mit dem Versprechen gewonnen, die Grabenkämpfe in Washington zu überwinden und als Präsident parteiübergreifende Kompromisse zum Wohle des Landes durchzusetzen.

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SZ vom 18.07.2011/afis
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