Haushaltsdebatte:Der Innenminister zeigt sein zweites Gesicht

Horst Seehofer im Bundestag

Horst Seehofer im Bundestag

(Foto: dpa)

Dass er es kann, wusste man. Dass er es noch will, daran hat man längst gezweifelt: Im Bundestag zeigt der Innenminister, dass er nach Streit, Rücktrittsdrohung und Maaßen-Affäre auch mal dankbar, bescheiden und demütig sein kann.

Von Stefan Braun, Berlin

So ist das eben mit Horst Seehofer. Hat sich ein Bild von ihm in der Öffentlichkeit so richtig festgeschrieben, kann man sich auf eines verlassen: dass der Bundesinnenminister genau dann garantiert ein anderes aus der Tasche ziehen wird.

Nach Streit, Rücktrittsdrohung vor den Ferien und süffisanten Provokationen rund um die Maaßen-Affäre nach den Ferien gibt sich der CSU-Chef am Donnerstag im Parlament plötzlich als Kümmerer, der sich bei den Abgeordneten bedankt und sie immer wieder um Hilfe bittet. Demut als erste Ministerpflicht? Es ist schon erstaunlich, zu welchen Volten Horst Seehofer in der Lage ist.

In der Debatte zu seinem Haushalt zeigt er, wie gut er das kann. Er bedankt sich für sein Budget, das schon im vergangenen Jahr "ein Haushalt der Superlative" gewesen sei und dieses Jahr noch mal um eine Milliarde auf 15,5 Milliarden Euro steigen werde. Großartig sei das und helfe sehr.

"Die soziale Frage der Zeit"

Dazu benennt Seehofer als erstes wichtigstes Ziel die Wohnungsbauinitiative der Bundesregierung. Das sei "die soziale Frage der Zeit". Deshalb kümmere sich die Regierung an vielen Stellen darum, die Lage besser zu machen. Er erinnert an den Start des Kinderbaugeldes in der kommenden Woche, damit öffne die Regierung "den Familien die Tür zu den eigenen vier Wänden". Schön soll das klingen und zeigen, dass die Regierung doch viel mehr leistet, als man ihr sechs Monate nach der Amtseinführung zuschreibt.

Bleibt allein die Frage, wer schuld daran ist, dass kaum jemand das wahrnimmt? Vielleicht der Innenminister mit seinen Provokationen? Kein Wort dazu vom CSU-Chef. Stattdessen kommen von ihm so milde und sanfte Sätze wie: "Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir wirklich gut vorankommen." Dazu lobt er mehr als einmal den Koalitionspartner. Mal ist es Finanzminister Olaf Scholz, der Geld locker macht; mal ist es Katarina Barley (beide SPD), die Kollegin aus dem Justizressort, die den Mietern das Leben etwas erleichtert.

Selbst als er zum zweiten wichtigen Punkt, der Migration, kommt, ist nicht mehr die Rede davon, diese Frage sei "die Mutter aller Probleme". Im Gegenteil berichtet Seehofer auch hier, dass man viel weiter sei als viele denken. Zwei Drittel seines "Masterplans" seien schon in Kraft oder "in der Umsetzung". Und als sei es schon gar keine Überraschung mehr, fügt der Innenminister fast nebenbei hinzu, dass nach den Flüchtlingsabkommen mit Spanien und Griechenland auch jenes mit Italien abgeschlossen werden konnte. Fehlen würden hier nur noch die Unterschriften, und um Geld zu sparen, werde man sich das gegenseitig zuschicken. Was hatte es für Zweifel gegeben! Und jetzt das, ein lapidares Ist-auch-fertig.

Und so stellt sich nach zwanzig Minuten Innenminister-Rede die Frage: Gibt's denn bei Seehofer überhaupt keine Probleme? Nein, an diesem Morgen will er keine machen und keine haben. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge? Sei super unterwegs, sagt Seehofer und wendet sich an die Abgeordneten: "Vielen Dank für die Unterstützung." Fachkräftezuwanderungsgesetz? Das schaffe man noch im September. Im Übrigen wolle er den Vorschlag von FDP-Chef Christian Lindner gerne aufgreifen und in diesem Fall eine über die Koalition hinausgehende Lösung versuchen.

Der Name Maaßen taucht am Ende auch noch auf

Und was ist mit der Sicherheit? Selbst da will Seehofer beruhigend wirken und nicht wie der große Mahner und Warner auftreten. Also freut er sich über zahlreiche neue Stellen für die Polizei und lobt die "Sicherheitsoffensive" der Regierung, die schon jetzt große Erfolge zeitige. Unter hörbarem Zorn der AfD-Fraktionsmitglieder berichtet Seehofer, dass die Kriminalstatistik eindeutige Daten aufweise: Die Zahl der Straftaten sei so niedrig und die Aufklärungsquote so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die AfD wettert dagegen. Für Seehofer ist es der Moment, sich bei den Polizisten zu bedanken.

Der Name des Verfassungsschutzpräsidenten, Hans-Georg Maaßen, der in den vergangenen Tagen für so viel Aufregung sorgte, taucht ganz am Ende auch noch auf beim Bundesinnenminister. Dabei begründet Seehofer sein Festhalten an dem umstrittenen Behördenleiter, verbindet das aber mit einem Bekenntnis für sich, sein Ministerium und seine Behörden. "Null Toleranz für Rechtsextremismus", werde man walten lassen. "Null Toleranz für Antisemitismus, null Toleranz für Ausländerhetze", verspricht Seehofer. "Wo immer es stattfindet, wird es von uns ohne jede Toleranz bekämpft."

So viel Versöhnliches kommt an diesem Tag vom Bundesinnenminister, dass sich am Ende nur eine Frage aufdrängt: Warum macht Seehofer es nicht immer so wie an diesem Morgen?

Dieses Mal nämlich wird es für die Opposition schwer, sich an ihm abzuarbeiten. Gottfried Curio, der Rechtsaußen der AfD, spricht zwar wieder voller Zorn über "Messermigration" und den vermeintlichen Zerfall staatlicher Ordnung. Aber es ist mindestens die dritte Rede dieser Art, in der Curio alle Migranten zu Tätern erklärt und Angst vor Afrika schürt. Und weil das immer das Gleiche ist, provoziert er mit einem höchst problematischen Vergleich. Für ihn, so Curio, sei das Jahr 1914 die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts - und die Einwanderung werde die "Urkatastrophe" des 21. Jahrhunderts. Nazizeit, Nazi-Terror, Zweiter Weltkrieg - Curios Verschweigen dieser "Urkatastrophe" erzählt, wie er tatsächlich drauf ist.

Die Redner von SPD, FDP, Linken und Grünen bleiben verärgert bis entsetzt darüber, dass Seehofer am Verfassungsschutzpräsidenten festhält. Jenseits dessen aber sind die Angriffsflächen an diesem Morgen glatter. Der Liberale Stefan Ruppert beklagt deshalb vor allem, dass das Ansehen der Regierung mit gerade einmal 31 Prozent bedenklich schlecht sei. Und der Grüne Konstantin von Notz ruft dazu auf, sich mit aller Kraft denen entgegenzustellen, die die Verfassung zerstören und "eine neue Rassenideologie entwickeln wollen".

Alle also zeigen große und größte Sorgen. Nur Seehofer, der zuletzt so gern und so viel mit Aufregung und Provokation auftrat, unternimmt an diesem ungewöhnlichen Donnerstag den Versuch, mit ganz ruhiger Hand für ein bisschen Entspannung zu sorgen.

Ob das daran liegt, dass er nicht weiß, ob er in dieser Rolle im Bundestag noch einmal auftritt? Mitte Oktober wählt Bayern einen neuen Landtag - und was danach passiert, auch mit dem CSU-Chef, kann wohl heute nicht mal er selbst sagen.

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