Haushaltsdebatte im Bundestag:Ein Fest für Freunde der gepflegten Ödnis

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steckt ihre Stimmkarte bei der Abstimmung über den Etat des Bundeskanzleramts in die Wahlurne. (Foto: dpa)
  • In der Generaldebatte im Bundestag standen neben dem Haushalt die Ukraine und die Frauenquote im Vordergrund. Für ihre Politik zu werben, das gelang Kanzlerin Merkel indes nicht.
  • Die Opposition schlägt unterschiedliche Töne an: Hofreiters Kritik (Grüne) an der Regierung ist sehr zurückhaltend, Wagenknecht versucht es für die Linke mit Brachialrhetorik.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Türschlosssicherheit. Das scheint ein ganz großes Thema für die Koalition zu sein. Groß genug jedenfalls für die Elefantenrunde im Bundestag, dem großen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition zum Bundeshaushalt. Kanzlerin und Fraktionschefs im Redewettstreit.

Und was macht Volker Kauder von der CDU, mächtiger Chef der mit Abstand größten Fraktion im deutschen Bundestag? Spricht über Wohnungseinbrüche. Hunderte Menschen seien davon betroffen. Jeden Tag! Das könne nicht hingenommen werden, dass Banden durch die Lande ziehen und Häuser aufbrechen. Stimmt schon. Schlimm ist das.

Und nun? Nix nun. Kauder wollte das halt mal ansprechen. Warum auch immer. Aber das passt zu dieser Haushaltsdebatte.

Zunächst zu Angela Merkel. Die ist schließlich Kanzlerin und kann in der Generaldebatte für ihre Politik werben. Sollte sie jedenfalls. Doch stattdessen reiht sie Zahlenkolonnen aneinander. Milliarden hierfür, Milliarden dafür. Oder spricht typische Merkel-Sätze wie diesen: "Die Welt beneidet uns um unser duales Bildungssystem."

Alles Tippitoppi für Merkel

Gute Lage am Arbeitsmarkt, stabile Binnenkonjunktur, Wirtschaftswachstum 1,2 Prozent. Rentenbeiträge sinken. Alles Tippitoppi für ‪Merkel. Der Überblick ist schnell weg. Im Parlament sitzen sie wie gelähmt da. Manche gähnen. Tippen in ihre Smartphones. Alles ist spannender als diese Rede.

Manche Minister sitzen auf ihren Plätzen und hören dennoch aufmerksam zu. Alexander Dobrindt vor allem, der Verkehrsminister von der CSU. Er sitzt weit vorgebeugt in der ersten Reihe der Regierungsbank. Er wartet wohl auf ein Lob der Kanzlerin oder wenigstens eine Erwähnung. Merkel spricht endlich über Verkehrsinfrastruktur. Auch hier stellt sie ein paar Milliarden mehr in Aussicht.

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In der sogenannten "Generaldebatte zum Kanzleretat" greift die Opposition traditionell den Regierungskurs an. Es wird erwartet, dass sich Bundeskanzlerin Merkel zu den Beschlüssen aus dem Koalitionsausschuss äußert. Frauenquote, Haushalt und Flüchtlingspolitik werden die Themen sein.

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Aber Dobrindts Namen nennt sie nicht. Und auch sein Chef-Projekt nicht, die Ausländer-Maut. Die ist jetzt Bäh, weil die Deutschen das verkorkste Ding nicht mehr wollen. Und was Bäh ist, damit will Merkel sich nicht belasten. Ihr letzter Satz ist auch wieder so ein Merkel-Satz und zugleich Programm: "Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen unseres Landes bewusst." Was für eine Überraschung.

Ähnlich belanglos klingen die Agentur-Meldungen zu Merkels Rede: Kanzlerin "bekräftigt" Haltung zum Ukraine-Konflikt. Oder sie titeln, dass der ausgeglichene Haushalt mit der schwarz-roten Null ein "Wendepunkt" sei. Was sollen sie auch sonst schreiben?

Manchmal stellt Merkel längst Entschiedenes als ihre harte Haltung dar: " Die Frauenquote ist beschlossen, sie wird kommen!" Klar, steht ja auch so im Koalitionsvertrag. Zuletzt ging es auch nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie der Quote.

Dem Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter fällt dazu nicht mehr viel ein. Er empfiehlt der großen Koalition: "Schmeißen sie ihren Koalitionsvertrag weg. Fangen Sie noch mal neu an." Ernsthaft? Ein Neuanfang mit der Groko? Klingt wie: "Sie können es besser, Frau Merkel. Sie müssen sich nur mal trauen." Zu nett vom Hofreiter.

Ansonsten versucht Hofreiter, das neue Lieblingsthema der Grünen zu platzieren: Landwirtschaft und Ernährung. Milchbauern lasse die Regierung "konstant hops gehen". Es sei "ekelhaft", wie immer noch Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt werden. Außerdem bremse die Regierung den Ökolandbau aus. Wichtige Themen. Für Merkel dürften sie ähnliche Priorität haben wie Kauders Türschlosssicherheit.

Stoff für russischen Propagandasender

Für die Linke hat Fraktionsvize Sahra Wagenknecht die Debatte eröffnet - Gysi lässt sich entschuldigen. Wagenknecht gehört für manche in der Fraktion zum "Ihr sprecht nicht für uns"-Lager. Vor allem in der Außenpolitik. Wagenknecht macht es wieder: Viel Kritik an den USA. Kein böses Wort über Putin.

Merkel, Hofreiter und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verurteilen die Annexion der Krim in ihren Reden immerhin noch. Wagenknecht sagt dazu: nichts. Sie spricht lieber von den angeblichen "ausgewiesenen Nazis" im ukrainischen Regierungsapparat. Und dass Merkel "Europa in einen kalten Krieg mit Russland hineingetrieben" habe. "Sie warnen vor einem Flächenbrand, aber Sie gehören doch zu denen, die mit brennendem Zündholz herumlaufen", sagt Wagenknecht zu Merkel. Der neue russische Propagandasender RT deutsch kann sich diese Stelle für die Berichterstattung vormerken. Die hier geht auch: "Mögen Pflegebedürftige sterben, Hauptsache die schwarze Null steht", sagt Wagenknecht. Linke Brachialrhetorik.

Nur SPD-Fraktionschef Oppermann nimmt einmal Bezug auf die Linke: Kritik an USA und Israel, aber Putin loben, damit stelle sich die Linke "ins Abseits", warnt er. Er belässt es dabei. Die Linke zerfetzt sich eh gerade selbst. Das Toilettengate um Fraktionschef Gysi macht ihr zu schaffen.

Kauder wird dann doch noch deutlich

Kauder kriegt noch die Kurve. Übergangslos wechselt er vom offenbar drängenden Problem der Wohnungseinbrüche auf die Ukraine und auf den Irak und den IS. Er spricht über Religionsfreiheit. Eines seiner Leibthemen. Die Rede wird zu einem Plädoyer für die Aufnahme von Flüchtlingen. Das müsse Deutschland tun. Er formuliert es als Pflicht, als christliche Pflicht. 200 000 sollen es werden. Zu viele? Kauder lässt das nicht gelten. Wenn die Kurden im Nordirak Millionen Flüchtlinge aufnehmen könnten, dann könne Deutschland auch 200 000 aufnehmen, sagt er.

So deutlich hätte das Merkel auch mal sagen können.

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