Schon kurz nach dem Haushaltskompromiss ist die Ampelkoalition erneut tief zerstritten. Auslöser eines neuen Koalitionskrachs sind Pläne, der Ukraine über die bereits beschlossenen Hilfen hinaus militärische Unterstützung nur zu gewähren, wenn sie anderweitig finanziert werden kann, etwa über Zinserträge aus eingefrorenen russischen Vermögen. Das beim vergangenen G-7-Gipfel besprochene Instrument ist aber bisher nicht umgesetzt und rechtlich umstritten. Verteidigungs-, Außen- und Haushaltspolitiker warnen vor einem falschen Signal. Im laufenden Jahr hat die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland militärische Unterstützung in Höhe von sieben Milliarden Euro von Deutschland erhalten, für 2025 sind vier Milliarden geplant.
Den Sparmaßnahmen von Kanzleramt und dem Finanzministerium zufolge wird bereits bewilligtes militärisches Material noch geliefert und man wolle zudem zweitgrößter militärischer Unterstützer der Ukraine nach den USA bleiben. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat in einem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium angewiesen, dass neue Maßnahmen nur noch beschlossen werden können, wenn „eine Finanzierung gesichert ist“. Etwa über neue internationale Kredite oder eben das Verwenden der genannten Zinserträge. Das Verteidigungsministerium von Boris Pistorius (SPD) betonte, „die Bindung der uns aktuell zur Verfügung stehenden Mittel erlaubt uns derzeit nicht, neue Projekte zu beginnen“. Nach Angaben aus Parlamentskreisen liegt die Lieferung eines kurzfristig verfügbaren und von einem anderen Staat überlassenen Luftverteidigungssystems auf Eis.
Auch in der Ampelkoalition löste das Vorhaben von Lindner und Kanzler Olaf Scholz (SPD) Widerspruch aus. „Der Haushalt 2025 muss die sicherheitspolitische Lage adäquat berücksichtigen“, sagte die Grünen-Verteidigungsexpertin Sara Nanni der SZ. Es dürfe nicht zu einer Lücke bei der Unterstützung kommen. Der SPD-Politiker Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, sagte der SZ, es wäre fatal, „wenn jetzt der Eindruck entsteht, dass uns die Sicherheit und Freiheit der Ukraine künftig nichts mehr wert ist“. Man dürfe das Schicksal der Ukraine „nicht auf dem Altar der Schuldenbremse opfern“. Zugleich betont er, Zinserträge aus eingefrorenen russischen Vermögen für die Militärhilfe der Ukraine zu nutzen, sei ein Schritt in die richtige Richtung. „Jedoch sollte das gesamte eingefrorene russische Staatsvermögen der Ukraine zur Verfügung gestellt werden.“ Bis das alternative Finanzinstrument steht, an dem eine internationale Koalition arbeitet, kann es dauern. Die Ukraine mahnte ebenfalls Nachbesserungen an.
Die Ampelregierung hatte sich erst am Freitag nach wochenlangen Verhandlungen auf einen gemeinsamen Haushalt für das Jahr 2025 geeinigt; allerdings war das schon so schwierig, dass immer noch eine Lücke von zwölf Milliarden Euro bleibt – die Hoffnung ist, dass eine Summe in dieser Größenordnung am Ende im Haushalt nicht gebraucht wird. Lindner und die FDP hatten zuvor immer wieder das Ansinnen von SPD und Grünen abgeblockt, wegen der Folgekosten des Kriegs in der Ukraine die Schuldenbremse zu lockern.
Auch in anderen Bereichen löst die Haushaltseinigung Debatten aus. So sollen Mittel für die Bahn umgeschichtet werden. Teile der Grünen, aber auch Bahnverbände sehen das kritisch. Die Pläne verteuern laut Allianz pro Schiene die Nutzung der Schieneninfrastruktur. Mit dem Finanzierungsmodell drohe die Bahn für die Wirtschaft im Güter- und Reisende im Personenverkehr „erheblich teurer“ zu werden, warnte der Verband.
Der neuerliche Streit macht klar, wie angespannt das Verhältnis innerhalb der Koalition längst ist. Koalitionäre zeigen sich erschrocken vom Erscheinungsbild und dem fortgesetzten Theater selbst in der parlamentarischen Sommerpause. „Die Ampel leuchtet nicht mehr“, sagen Wegbereiter des Bündnisses, die anfangs auf eine Koalition des Aufbruchs und Fortschritts gesetzt hatten. Der Grünen-Co-Chef Omid Nouripour sieht die Ampel gar als Auslaufmodell. „Diese Koalition ist eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel“, sagte er in dem am Sonntag in der ARD ausgestrahlten Sommerinterview. Er wolle zwar für die Zukunft nichts ausschließen. Doch sei es in der jetzigen Konstellation mit FDP und SPD offensichtlich, dass das Vertrauen an Grenzen gekommen sei.
Die Nerven liegen spürbar blank, im September drohen herbe Wahlniederlagen, die gerade auch zu der Frage an den Kanzler führen könnten, ob noch eine Basis für ein weiteres Regierungsjahr bis zur Bundestagswahl 2025 besteht. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (1. September) sowie Brandenburg (22. September) müssen SPD, Grüne und FDP mit hohen Verlusten rechnen. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage kommen sie in Sachsen zusammen nur noch auf zwölf Prozent. Alle drei Parteien drohen hier sogar an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Die FDP kommt laut Umfragen in allen drei Bundesländern nur noch auf zwei bis drei Prozent.