Bis zum frühen Mittwochmorgen hatten Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) miteinander gerungen, dann waren der Bundeskanzler, sein Vize und der Finanzminister sich endlich einig, wie sich der wochenlange Haushaltsstreit der Ampelkoalition auflösen lässt. Geplant ist ein Mix aus Einsparungen, Umschichtungen und Subventionskürzungen, der insgesamt 17 Milliarden Euro einbringen und damit die Lücke schließen soll, die das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts in den Etatentwurf für 2024 gerissen hatte.
Die Regierung hatte kreditfinanzierte Corona-Hilfen, für deren Beschaffung die Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgesetzt worden war, einfach in Klimasubventionen umgewidmet und über Jahre gestreckt. Die Karlsruher Richter erklärten derlei Praktiken jedoch im November für verfassungswidrig. Die SZ erläutert im Folgenden, was die Ampel nun stattdessen vorhat.
Wird die Schuldenbremse 2024 zum fünften Mal in Folge ausgesetzt, um für mehr Verschuldungsspielraum zu sorgen?
SPD und Grüne hatten dies gefordert und argumentiert, Deutschland befinde sich wegen der völlig unklaren Kosten der Hilfen für die Ukraine weiterhin in einer Notlage. Eine solche Notlage würde Ausnahmen von der Schuldenregel erlauben. Lindner wehrte dieses Vorhaben jedoch ab. Die Regierung behält sich allerdings vor, die Schuldenregel im Laufe des Jahres doch noch auszusetzen, sollte der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland weiter eskalieren oder aber wichtige Ukraine-Unterstützer wie die USA aufgrund innenpolitischer Probleme ihre Hilfen einstellen müssen. Zweite kleine Ausnahme: Die Koalition will ausloten, ob sie nach dem Karlsruher Richterspruch für die Flutopfer an der Ahr ein neues Sondervermögen einrichten und von der Schuldenregel ausnehmen darf, damit die für 2024 zugesagten Hilfen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro ausbezahlt werden können.
Die Schuldenbremse greift also erstmals wieder - zumindest im Prinzip. Wo sollen die fehlenden 17 Milliarden Euro stattdessen herkommen?
Die Regierung will zum einen klimaschädliche Subventionen in Höhe von drei Milliarden Euro abbauen. Betroffen ist unter anderem die EU-Plastikabgabe im Umfang von 1,4 Milliarden Euro, die bisher vom Bund nach Brüssel überwiesen wird. Künftig sollen stattdessen Firmen zur Kasse gebeten werden, die Plastik herstellen. Zudem soll auch auf innerdeutsche Flüge eine Kerosinsteuer erhoben werden, auch müssen Landwirte um ihren preisvergünstigten Agrardiesel fürchten. Darüber hinaus will die Ampel einige Einzeletats, darunter die Haushalte des Bau- und des Verkehrsministeriums, geringfügig kürzen. Auch das Sozialministerium soll 1,5 Milliarden Euro beisteuern, indem Mittel etwa für die Arbeitsvermittlung ukrainischer Geflüchteter "treffsicherer" eingesetzt werden.
Was geschieht mit dem Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem die Regierung das Gros ihrer Subventionen für den klimagerechten Umbau des Landes bezahlt?
Durch den Richterspruch fehlen dem Fonds allein kommendes Jahr rund zwölf Milliarden Euro. Dennoch will die Regierung alle großen Förderprogramme in voller Höhe fortführen. So soll etwa der Einbau moderner Heizungen ebenso planmäßig bezuschusst werden wie der Aufbau eines deutschlandweiten Wasserstoffnetzes oder die Errichtung moderner Chipfabriken in Ostdeutschland. Kürzungen nimmt Wirtschaftsminister Habeck dagegen bei der Förderung von Elektroautos und der Solarindustrie vor, zudem soll der Zuschuss für die Stromnetzentgelte der Unternehmen entfallen. Umgekehrt soll der KTF mit höheren Einnahmen aus der CO₂-Steuer ausgestattet werden: Der Preis für den Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid soll 2024 statt um zehn um 15 Euro auf dann 45 Euro angehoben werden, der Liter Benzin könnte damit an der Tankstelle um fünf Cent teurer werden.
Was geschieht mit den Subventionen für die Bahn, die ja auch aus dem KTF finanziert werden sollten?
Die Bahn sollte über mehrere Jahre insgesamt 12,5 Milliarden Euro aus dem Sondertopf erhalten. Allein für 2024 waren mehr als fünf Milliarden vorgesehen. Diese Mittel werden auch fließen, allerdings nicht aus dem KTF. Lindner nannte stattdessen Privatisierungserlöse als mögliche Finanzierungsquelle. Welche Staatsbetriebe er dafür verkaufen will, sagte er aber nicht.
Werden Sozialleistungen gestrichen?
Nein - obwohl der Etat von Minister Hubertus Heil (SPD) der mit Abstand größte im Bundeshaushalt ist und Vertreter von FDP wie Wirtschaftsverbänden auf Kürzungen gedrungen hatten. Ausgerechnet Lindner verkündete stattdessen, es werde "keine Reduzierung von sozialen Standards geben". Im Gegenteil: Es bleibt dabei, dass 2024 sowohl das Bürgergeld erhöht wird als auch die Voraussetzungen für die Einführung eine Kindergrundsicherung geschaffen werden sollen.
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Wie geht es weiter?
Schon in der vergangenen Woche hatten die Ampelparteien eingeräumt, dass es für eine endgültige Verabschiedung des Haushalts 2024 noch in diesem Jahr zu spät ist. Dies liegt an den Fristen für die Beratungen im Bundestag. Bis zur endgültigen Verabschiedung des Etats wird deshalb im Januar zunächst eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung beginnen. Streng genommen sind dann erst einmal nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann Lindner den Ministerien jedoch auch gestatten, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen. Auch die Auszahlung der Renten und von Sozialleistungen ist gesichert.
Was sagen Ökonomen zur Haushaltseinigung?
Wie so oft gilt: Zwei Volkswirte, drei Meinungen. Während der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, den Ampelkompromiss als "Schritt in die richtige Richtung" bezeichnete, warnte der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Sebastian Dullien, vor erheblichen Konsequenzen: "Es wird das getan, was wirtschaftswissenschaftliche Lehrbücher unisono als falsch darstellen: Es wird in einen Abschwung hinein das staatliche Defizit gesenkt."