Ampel-Koalition:Wo der Haushalt noch wackelt

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Die Deutsche Bahn erwartet mehr als 40 Milliarden Euro für die Sanierung der wichtigsten Trassen. Die Mittel sind noch nicht voll gesichert. (Foto: Jochen Eckel/Imago)

Bürgergeld-Sanktionen, Kinder in Not und Deutsche Bahn: Nach der Regierungseinigung wird klar, dass ab Herbst weiter hart gestritten werden wird – diesmal im Bundestag.

Von Markus Balser, Berlin

Was in unsicheren Zeiten zählt? Als der Bundeskanzler am Freitag in der Berliner Bundespressekonferenz die Einigung im Haushaltsstreit präsentierte, sollte gleich glasklar werden, was Olaf Scholz in den wochenlangen Gesprächen angetrieben hat. Soziale Sicherheit sei „kein verzichtbares Extra aus alter Zeit“, sagte der sozialdemokratische Kanzler. Sie sei die Grundlage für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Doch genau den sehen Sozialverbände nach den Beschlüssen der Ampelkoalition zumindest in Teilen in Gefahr. Heftige Diskussionen lösten vor allem deutlich härtere Regeln beim Bürgergeld aus. „Einmal mehr wird bei denen gekürzt, die ohnehin schon zu wenig haben“, sagt Joachim Rock, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Europa und designierter Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Die Zahl der Verstöße sei so gering, dass dies höchstens Kleingeld in den Bundeshaushalt spülen werde. Die weitgehend faktenfrei geführte Sanktionsdebatte drohe vor allem, Ressentiments zu stärken.

Sanktionen sollen dazu führen, dass Jobs seltener abgelehnt werden

Ausgelöst werden die scharfen Reaktionen durch geplante härtere Regeln. Die Bundesregierung will Bürgergeldbezieher mit mehr Druck zur Aufnahme einer Arbeit bewegen. Möglich werden sollen etwa längere Arbeitswege. Bei einer täglichen Arbeitszeit von bis zu sechs Stunden wird nun eine Pendelzeit von bis zu zweieinhalb Stunden möglich. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden sollen sogar drei Stunden Hin- und Rückfahrt möglich sein. Die Jobcenter sollen in einem Umkreis von 50 Kilometern nach einer Stelle suchen. Zudem sollen Sanktionen dazu führen, dass Jobs seltener abgelehnt werden. Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, muss damit rechnen, für drei Monate 30 Prozent weniger Geld zu bekommen.

Auch die Zweifel am Prestigeprojekt der grünen Familienministerin Lisa Paus wachsen. Immer fraglicher wird, ob die Kindergrundsicherung, wie einst geplant, zum 1. Januar starten kann. Während das Vorhaben in den Einigungsbeschlüssen kaum Erwähnung findet, haben die Koalitionäre entschieden, den Kindersofortzuschlag und das Kindergeld um fünf Euro zu erhöhen. Für den Sozialverband VdK bedeutet das eine Verschiebung des Vorhabens „auf unbestimmte Zeit. Das ist ein Schock für alle armen Familien“, sagt Verena Bentele, die Präsidentin des Verbands. Die angekündigten Erhöhungen seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Kindergrundsicherung als das größte Sozialreformvorhaben der Ampelkoalition soll eigentlich das Kindergeld, den Kinderzuschlag für einkommensarme Familien sowie die Sozialleistungen für Kinder bündeln. 

Die von der Bahn erwarteten Mittel sind noch nicht voll gesichert

Angesichts vieler strittiger Punkte gehen längst auch im Bundestag die Diskussionen über die Einigung weiter. So wünschen sich vor allem die Grünen, dass das Parlament, das die Etatplanung nun von der Bundesregierung übernimmt, in den weiteren Verhandlungen von Herbst an bei den nötigen Investitionen nachlegt. „Deutschland kann sich Kaputtsparen nicht leisten“, sagt Grünen-Fraktionsvizechef Andreas Audretsch der Süddeutschen Zeitung. Alle Wege für mehr Investitionen müssen nun tatsächlich maximal ausgeschöpft werden, „ob in den einzelnen Etats, bei der Bahn oder über die KfW“, sagt Audretsch.

Die Grünen signalisieren, dass sie Nachbesserungen aushandeln wollen. „Die Arbeit am Haushalt hat gerade erst begonnen. Jetzt geht’s in die Details. Das letzte Wort haben wir dann im Herbst im Deutschen Bundestag“, so Audretsch. Deutschland brauche endlich eine ehrliche Debatte über nötige Investitionen „in unsere Zukunft. Wir werden mehr investieren müssen, um mit den Bedrohungslagen umzugehen, unsere Demokratie zu schützen und unseren Wohlstand zu sichern“.

Ob etwa die Bahn mit den Beschlüssen wirklich die benötigten Milliarden bekommt, ist noch immer völlig offen. Innerhalb von vier Wochen soll jetzt geprüft werden, ob der Konzern bereits zugesagtes Geld jetzt über Darlehen bekommen kann. „Die Bahn muss besser finanziert werden“, fordert Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen. Die Regierung müsse die Sanierung der wichtigsten Trassen garantieren. „Ich verstehe nicht, warum der Finanzminister nicht alle Möglichkeiten im Rahmen der Schuldenbremse nutzt, um mehr Investitionen für die Schieneninfrastruktur zu ermöglichen. Das ist ein Fehler.“ Die von der Bahn erwarteten Mittel von mehr als 40 Milliarden Euro für die Sanierung der wichtigsten Trassen sind noch nicht voll gesichert. Die Bahn selbst wollte am Sonntag kein Öl ins Feuer gießen. Die Sanierung könne nun beginnen, sagt eine Sprecherin. Zur Frage, ob die Mittel wirklich für alle geplanten Projekte reichen, äußert sich die Bahn nicht.

Heftige Diskussion in der Bundeswehr

Heftig diskutiert wird die Haushaltsentscheidung auch in der Bundeswehr. „Die Truppe ist verwundert, größtenteils schockiert“, sagte der Verbandsvorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner. Nach der Aussage des Bundeskanzlers „Ohne Sicherheit ist alles nichts“ während der Münchner Sicherheitskonferenz hätte niemand mit einer derartigen Unterdeckung des Verteidigungsetats gerechnet. Ein Zuwachs von 1,2 Milliarden Euro werde der aktuellen Bedrohungslage keinesfalls gerecht, sagte Wüstner der Deutschen Presse-Agentur. Die Regierung wolle sich mit dem Haushalt durch diese Legislaturperiode hangeln. Den Preis dafür zahle die Bundeswehr.

Laut Ampelkoalition soll der Verteidigungshaushalt von rund 52 Milliarden Euro um etwa 1,2 Milliarden Euro wachsen – Minister Boris Pistorius (SPD) hatte jedoch sechs Milliarden Euro mehr gefordert. Scholz kündigte allerdings an, dass der Verteidigungshaushalt ab 2028, wenn das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht sein wird, auf 80 Milliarden Euro steigen werde. Ein leichtes Versprechen, denn darum muss sich dann die nächste Bundesregierung kümmern.

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