Süddeutsche Zeitung

Bundeshaushalt:Explodierende Ausgaben

Die Wunschzettel der Ampelminister sprengen den Bundeshaushalt. Selbst FDP-Kollegen bringen den Finanzminister in Not. In der Koalition droht der erste große Streit ums Geld - dies sind die wichtigsten Streitpunkte.

Von Markus Balser, Constanze von Bullion, Roland Preuß, Angelika Slavik und Mike Szymanski, Berlin

Neue Bundeswehrjets, Bahnausbau, besserer Katastrophenschutz und der Kampf gegen den Wohnungsmangel: In den laufenden Verhandlungen über den Bundeshaushalt haben die Ampelministerinnen und -minister lange Wunschlisten an den Finanzminister geschickt. Den bringen die Forderungen in Not. Um alle zu erfüllen, bräuchte Christian Lindner (FDP) allein in diesem Jahr 70 Milliarden Euro mehr als geplant. Bis zum 9. März müssen sich die Ressorts nun einigen, wer welche Projekte realisieren kann. Wofür die Ministerien mehr Geld wollen und wo die wichtigsten Streitpunkte liegen:

Verteidigung: Bessere Ausrüstung für die Bundeswehr

Der Ukraine-Konflikt hat die Verteidigungsausgaben wieder in den Blickpunkt rücken lassen: Obwohl der Etat in den Jahren der großen Koalition kontinuierlich gestiegen ist und mittlerweile 50 Milliarden Euro umfasst, hat die Bundeswehr Mühe, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Es fehlt an einsatzbereiten Schiffen, Flugzeugen und Panzern. Die Bundeswehr schiebt einen enormen Modernisierungsbedarf vor sich her. Für die altersschwachen Tornado-Kampfjets müssen spätestens bis 2030 Nachfolger her, auch neue, große Transporthubschrauber werden dringend gebraucht. Auf Angriffe mit Drohnen ist die Bundeswehr so gut wie kaum technisch vorbereitet.

Das Ministerium unter Führung von Christine Lambrecht (SPD) hat für die Jahre bis 2026 einen zusätzlichen Bedarf allein für Rüstungsvorhaben von gut 27 Milliarden Euro angemeldet. Ginge es nach ihrem Haus, dann müsste der Etat bereits im kommenden Jahr um mindestens drei Milliarden Euro ansteigen. Dies geht aus Dokumenten hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Die Bundeswehr erfülle "mit der Wahrung der äußeren Sicherheit" Deutschlands schließlich eine "staatliche Kernaufgabe", heißt es darin.

Kanzler Olaf Scholz hat bereits zu erkennen gegeben, dass die Bundeswehr auch weiterhin mehr Geld bekommen soll. Klar ist aber auch: Es stehen viel mehr Projekte auf der Wunschliste, als finanziert werden können. Längst läuft eine Debatte, wie groß die Bundeswehr in Zukunft noch sein muss.

Digitales und Verkehr: Milliarden für schnellere Züge und bessere Netze

In Bedrängnis bringt Finanzminister Lindner ausgerechnet Parteifreund Volker Wissing (FDP). Nach Informationen der SZ würde Wissing gerne allein 2022 rund fünf Milliarden Euro mehr ausgeben als bislang veranschlagt. Neben dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe Wissing eine der umfangreichsten Wunschlisten vorgelegt, heißt es in Regierungskreisen. Wissing will die Modernisierung der Digital- und Verkehrsinfrastruktur vorantreiben.

Im Koalitionsvertrag ist verankert, dass die Regierung sowohl beim schnellen Internet als auch beim neuesten Mobilfunkstandard eine flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau erreicht. Auch die Ausgaben in den Umbau des Verkehrs sollen steigen. Mit den bisher eingeplanten 33 Milliarden Euro hätte Wissing jedoch nicht mehr, sondern weniger Spielraum. Allerdings winken ihm von 2023 an auch höhere Einnahmen aus der Lkw-Maut zwischen drei und knapp sieben Milliarden Euro. Das könnte zusätzliche Spielräume schaffen.

Das Ministerium wollte sich zu konkreten Forderungen nicht äußern. Die Haushaltsverhandlungen dauerten an, sagte eine Sprecherin. Die Ergebnisse würden Anfang März im Kabinett festgezurrt.

Inneres: 400 neue Stellen für den Katastrophenschutz

Begehrlichkeiten gibt es auch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das dem Bundesinnenministerium nachgeordnet ist, hat nach SZ-Informationen 400 neue Stellen gefordert. Das entspricht einem Budgetzuwachs von etwa 30 bis 40 Millionen Euro. Käme es so, würde sich die Mitarbeiterzahl der Bundesbehörde verdoppeln - ein ambitioniertes Ziel angesichts der Kassenlage. Faeser soll sich deshalb für zunächst 150 neue Stellen beim Bundesfinanzminister verwendet haben und für einen zeitlich gestreckten Ausbau der Behörde.

In nahezu allen Parteien ist die Überzeugung gewachsen, dass Deutschlands föderal aufgestellter Katastrophenschutz nicht handlungsfähig genug ist, auch mit Blick auf den Klimawandel. Nach Flutkatastrophen und Behördenchaos in der Pandemie hatte schon Faesers Vorgänger Horst Seehofer 2021 gefordert, die Kompetenzen in Krisenlagen zu bündeln. Im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das offiziell nur für Kriegsfälle zuständig ist, soll ein gemeinsames Kompetenzzentrum von Bund und Ländern entstehen, das auch Einsätze bei Naturkatastrophen und Gesundheitskrisen koordinieren kann. Neben einer rechtlichen Neuordnung ist auch eine bessere Schulung kommunaler Verantwortungsträger für Katastrophenfälle geplant, also etwa von Kommunalpolitikerinnen und -politikern oder Feuerwehrleuten.

Gesundheit: Kampf gegen Finanzlücken der Krankenkassen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat mit der Pandemie ein durchschlagendes Argument für erhöhten Finanzbedarf. Allerdings ist es vor allem der Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt an die gesetzlichen Krankenkassen, der scheinbar unaufhörlich steigt: Statt der ursprünglich festgeschriebenen 14,5 Milliarden Euro pro Jahr muss der Bund in diesem Jahr via Sonderzahlung das Doppelte zuschießen. In Berlin kursieren auch noch größere Summen, die Finanzlücke könnte bis zu 60 Milliarden Euro betragen, wenn es keine strukturellen Verbesserungen gebe, heißt es. Im Koalitionsvertrag stehen zudem weitere große Projekte, etwa die Neuordnung von Krankenhauslandschaft und Notfallversorgung sowie eine Verbesserung der Pflegesituation - auch dafür wird Lauterbach kräftig investieren müssen.

Bau: Mehr Geld für 400 000 zusätzliche Wohnungen

Auch Bauministerin Klara Geywitz braucht mehr Geld. Ihr wichtigstes Vorhaben, an dem sie gemessen werden dürfte, wird der Bau von 400 000 Wohnungen im Jahr sein, davon 100 000 Sozialwohnungen. Diese kosten am meisten Geld, weil sie ohne üppige Staatszuschüsse nicht entstehen werden. Wie gigantisch die Aufgabe ist, zeigt der Blick zurück: In den Jahren 2018 bis 2020 stellte der Bund gut vier Milliarden Euro bereit, mit deren Hilfe etwa 76 000 Sozialwohnungen erbaut wurden - in drei Jahren zusammen wohlgemerkt. Bisher stehen der Sozialdemokratin Geywitz, wie ihrem Vorgänger Horst Seehofer zuletzt auch, eine Milliarde im Jahr zur Verfügung, also viel zu wenig. Hinzu kommt eine "Klimamilliarde", sie soll Mehrkosten abdecken, die durch höhere Energiestandards bei Sozialwohnungen entstehen. Sie fließt allerdings nicht nur in den Neubau, sondern dient auch Sanierungen von Sozialbauten.

Dies sei "natürlich viel Geld", sagte Geywitz vor wenigen Tagen. "Aber wenn wir 100 000 Sozialwohnungen in Deutschland jährlich bauen wollen, werden wir deutlich mehr als diese zwei Milliarden brauchen." Sie verhandle gerade mit Finanzminister Lindner. Wie viele Milliarden ihr vorschweben, will sie nicht öffentlich sagen. Andere aber haben bereits Summen genannt, etwa das Pestel-Institut im Auftrag mehrerer Verbände aus Mieterschützern, Gewerkschaft und Baubranche: Demnach wären jedes Jahr 6,8 Milliarden Euro nötig, um 100 000 Sozialwohnungen nach dem Energieeffizienzstandard 55 (EFF 55) zu bauen. Dieser Standard könnte bereits 2023 für Neubauten verpflichtend werden.

Bei allen Sozialbau-Projekten müssten allerdings die Bundesländer mit an Bord kommen, denn sie sind zuständig dafür. Der Bund kann nur Geld zuschießen. Aber 30 Prozent der Kosten müssten die Länder übernehmen - auch solche, die mangels Geld die Taschen lieber zuhalten.

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