Hass im Netz:Volle Härte

Volksverhetzung, Nazisymbole, Drohungen: Lange wirkte der Staat überfordert. Die Terroranschläge von 2019 haben aber belegt, wie leicht aus Worten Taten werden können. Jetzt will die Politik handeln. Das Internet soll kein rechtsfreier Raum mehr sein.

Von Wolfgang Janisch

JRB 2019 Claas Relotius

Der Staat hat sich selbst wiederentdeckt. Er will seine Rolle als Hüter und Verteidiger des Rechts entschiedener wahrnehmen, und zwar auch dort, wo er in den vergangenen Jahren eher resigniert wirkte, auf den Internetportalen, in den Chatrooms, in den sozialen Medien. Vielleicht wird man im Jahr 2019 einmal den Wendepunkt im Kampf gegen Hass und Hetze im Netz verorten. Blickt man auf die Aktivitäten und Maßnahmepläne, die Bund und Länder hervorgebracht haben, dann gewinnt man den Eindruck: Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, und diese gern und häufig bemühte Parole soll in die Tat umgesetzt werden.

Beschleuniger der Entwicklung war der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, erschossen am 2. Juni, wahrscheinlich vom hessischen Rechtsextremisten Stephan E. Der Mord wurde als bedrückendes Indiz dafür gewertet, dass aus aggressiven Worten eben doch brutale Gewalttaten werden können. Inzwischen mehren sich die Nachrichten über Morddrohungen gegen Polit- Prominente wie Claudia Roth und Cem Özdemir. Aber auch die schiere Beleidigung von Personen des öffentlichen Lebens hat einen traurigen Höhepunkt erreicht: In einem heftig kritisierten Beschluss vom 9. September 2019 entschied das Landgericht Berlin, die Grünen- Politikerin Renate Künast müsse sich übelste Beschimpfungen gefallen lassen ("Drecksfotze", "Stück Scheiße") - das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt Künast geht gegen den Beschluss vor.

Mehrere Länder wollen dieser Entwicklung mit einer entschiedenen Verfolgung der Hetzer begegnen. Denn Volksverhetzung, Beleidigung oder Verwendung von Nazisymbolen sind Straftaten, die nun mal von Straftätern begangen wurden - also von Menschen, die man dafür haftbar machen kann. Die Projekte heißen etwa "Konsequent gegen Hass" (Bayern), "Hessen gegen Hetze" oder "Resignation ist keine Option" (Bremen) und folgen dem Vorbild Nordrhein-Westfalens, das mit "Verfolgen statt nur Löschen" Vorreiter dieser Entwicklung war. In Zusammenarbeit mit Medienhäusern, in deren Online- Portalen Hasskommentare auflaufen, bieten sie internetbasierte Möglichkeiten, um Strafanzeigen zu stellen. Strafverfolgung im Netz bleibt zwar mühsam, etwa wegen der Schwierigkeit, anonyme Urheber hinter sorgsam getarnten Accounts ausfindig zu machen. Trotzdem ist eine klare Trendwende erkennbar. Die bloße Beseitigung von Hassposts, die mit dem nur halb geglückten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2017 vorangebracht werden sollte, reicht nicht aus. Löschen ist nicht genug, um Hetze im Netz einzudämmen.

In diese Richtung gehen auch die Bemühungen der Bundesregierung. Mit einer Reform des NetzDG will sie eine Meldepflicht für Onlineplattformen schaffen, vor allem bei Morddrohungen und Volksverhetzung. Zudem soll die Strafbarkeit von Beleidigungen und Drohungen nachgeschärft und ein Auskunftsanspruch für Strafverfolger sowie, für eine wirksamere Verfolgung von Hasskriminalität, eine neue Zentralstelle beim Bundeskriminalamt geschaffen werden.

Nachdem die Länder vorgelegt haben - übrigens ein schönes Beispiel für die Innovationskraft des Föderalismus -, zieht nun also der Bund nach. Einige der Änderungen muten eher kleinteilig an, zugleich aber bringt die Regierung eine schlagkräftige Institution ins Spiel, das Bundeskriminalamt. Vor allem aber macht der Gesetzentwurf vom Dezember dort weiter, wo das NetzDG aufgehört hat: Es nimmt die großen Onlineplattformen stärker in die Verantwortung.

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