Hass im Netz:"Dafür muss man kein Held sein"

Lesezeit: 2 Min.

Sawsan Chebli, 41, ist Staatssekretärin für Bürgerliches Engagement beim Berliner Senat. Wegen der Herkunft ihrer Eltern aus den Palästinensergebieten und ihrer Arbeit als SPD-Politikerin wird Chebli regelmäßig angefeindet. (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli über Bedrohungen und demokratische Pflichten.

Interview von Jan Heidtmann

SZ: Frau Chebli, Anfang der Woche posteten Sie auf Twitter ein Schreiben mit Morddrohungen, das Sie erhalten hatten. Warum haben Sie es öffentlich gemacht?

Chebli: Die Hater sind wahnsinnig laut. Durch die Veröffentlichung erhoffe ich mir, dass noch mehr Menschen ihre Stimme erheben, dass die demokratische Zivilgesellschaft aus ihrem Tiefschlaf erwacht. Wir sind meines Erachtens viel zu leise.

Was meinen Sie genau?

Ich kann jeden verstehen, der sagt, ich halte diesen Hass im Netz nicht aus, deshalb halte ich mich von sozialen Medien fern. Aber ich erwarte von jedem, der sich als Demokrat sieht, dass er sich engagiert. Dass er etwas für den Zusammenhalt der Gesellschaft tut. Dafür muss man kein Held sein. Das zeigen auch die Reaktionen auf die Veröffentlichung: Ich habe jede Menge Zuspruch bekommen, viele Menschen, die sich gemeldet haben, sagten, für sie sei nun der Punkt erreicht, an dem sie sich engagieren wollten. Wir alle tragen eine Verantwortung dafür, dass dieses Land ein demokratisches, tolerantes, offenes Land bleibt.

Sie sind seit 2016 Staatssekretärin, haben aber schon vorher in der Politik gearbeitet. Haben die Beleidigungen und Drohungen zugenommen?

Ich habe noch nie so viele Anfeindungen erlebt wie zurzeit. Das geschieht ja nicht nur im Netz, sondern in allen möglichen Situationen. Ein Freund von mir, er ist schwarz, erzählte mir gestern, bei ihm vergehe kein Tag, an dem er keinen Rassismus erlebe. Auf der Straße, in der Warteschlange, bei der Wohnungssuche, im Job, überall. Das Klima ist vergiftet. Und nicht nur der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke hat gezeigt, dass der Weg vom Wort zur Tat nicht so weit ist. Die Morde des rechtsextremen NSU haben gezeigt, wie verbreitet der Rechtsterrorismus auch hierzulande ist.

Sie haben die Absender des Schreibens angezeigt. Das haben Sie auch schon in früheren Fällen gemacht. Bringt das etwas?

Wie bei allen anderen rassistischen, islamfeindlichen, sexistischen Beleidigungen habe ich auch hier Anzeige erstattet. Aber dass wirklich einmal Täter ermittelt und zu Geldstrafen verurteilt werden, das ist sehr selten. Ich setze auf die vielen juristischen Handhaben, die jetzt in Bundestag und Bundesrat beschlossen wurden. Denn wir müssen alles tun, damit der Staat nicht wehrlos erscheint. Das wäre eine Kapitulation, die die Demokratiefeinde erst recht ermuntert.

Diese Leute drohen, Sie zu ermorden. Macht Ihnen das Angst?

Früher war das bestimmt so. Aber bei mir kommt jeden Tag so viel Hass rein, ich bin da heute abgehärteter. Inzwischen spornt mich das auch eher an, es weckt meinen Kämpfergeist. Was mich viel mehr beunruhigt, sind Demokraten, die schweigen, wenn sie Unrecht sehen. In Freiburg wurde vor Kurzem ein Jude im Fitnessstudio angegriffen und keiner von denen, die dort trainiert haben, hat etwas gesagt - das macht mir mehr Angst als die Morddrohungen gegen mich.

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: