Auf der Straße angepöbelt, belästigt bis ins private Umfeld und beschimpft auf Facebook. Wiebke Schwarzweller kennt all das. "Stellenweise sind wir in den sozialen Netzwerken ja völlig ausgeliefert", sagt sie. Mit wir meint sie Menschen, die sich in ihren Kommunen politisch engagieren. Von Lügen bis hin zu verletzenden Beleidigungen sei schon so gut wie alles über sie verbreitet worden. seit sie vor gut eineinhalb Jahren als Bürgermeisterin kandidierte.
Im September 2019 wurde Schwarzweller (FDP) zum Stadtoberhaupt von Zossen gewählt. Etwa 40 Kilometer südlich von Berlin, in Brandenburg, gerade noch so eine Kleinstadt mit seinen knapp 20 000 Einwohnern. Dass sie derart persönlich angegriffen werden würde, hätte sie vor ihrer Kandidatur nicht erwartet, sagt Schwarzweller. "Das kann sich keine vorstellen, die sagt, ich kandidiere als Bürgermeisterin und setze mich mal für meine demokratischen Grundwerte ein." Doch Hass, Hetze und Gewalt gegen Bürgermeister, Landrätinnen, Ehren- und Hauptamtliche nehmen zu.
Corona und die Folgen:Mehr Straftaten gegen Politiker seit Pandemie-Ausbruch
Die Zahl der Bedrohungen gegen Amtsträger ist offenbar deutlich gestiegen. Das Bundesinnenministerium zählte Hunderte Straftaten mit Corona-Bezug.
In der Kriminalstatistik des Bundesinnenministeriums sind politisch motivierte Straftaten seit 2019 auch danach aufgeführt, gegen wen sie sich richten. Für das Jahr 2019 meldeten die Landeskriminalämter 1674 Straftaten gegen Amts- oder Mandatsträger. 2020 waren es vorläufigen Zahlen zufolge 2629. Ein Anstieg um 57 Prozent. Doch wie häufig treffen Beleidigungen oder tätliche Angriffe Kommunalpolitiker wie Wiebke Schwarzweller, die qua Amt nah am Bürger sein müssen?
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der gemeinnützigen Körber-Stiftung hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der mehr als 1600 befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister schon einmal wegen ihres Amtes Beleidigungen, Drohungen oder tätliche Angriffe erlebt haben. Gegen sich selbst, aber auch gegen ihr Umfeld.
Zwei Drittel der Bürgermeister geben an, sich aus Sorge vor Anfeindungen anders zu verhalten
Hätte sie gewusst, was auf sie zukommt, sagt Wiebke Schwarzweller, "ganz ehrlich, ich hätte mir das nicht angetan". Sie hätte ihren alten Job als Unternehmensberaterin und Geschäftsführerin einer Firma nicht gegen die Politik getauscht. Doch, und das ist ihr wichtig zu betonen, sie bereue ihre Entscheidung trotzdem nicht. Sie sei daran gewachsen und habe irgendwann die Flucht nach vorne angetreten: "Das hat viel Aufklärung und Transparenz erfordert - und jede Menge Nerven." Sie habe viel erklärt und versucht zu zeigen, dass an verbreiteten Gerüchten nichts dran sei, "und wir beispielsweise keine Moschee im Gemeindeteil Dabendorf bauen".
Die Debatten in der Stadt hätten sie noch angespornt, sich gerade für Toleranz und konstruktives Miteinander einzusetzen. Schwarzweller scheint es geschafft zu haben, nicht abzustumpfen oder aufzugeben.
Doch mehr als zwei Drittel der befragten Bürgermeister gaben an, ihr Verhalten aus Sorge vor Anfeindungen und Übergriffen verändert zu haben. Auf die Frage, ob sie sich seltener als früher zu bestimmten Themen äußerten, antwortete ein knappes Drittel mit Ja. Und wiederum 37 Prozent der Befragten sagten, sie verzichteten aus Sorge vor Anfeindungen weitgehend auf die Nutzung sozialer Medien wie Facebook. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die schon einmal bedroht wurden, empfanden ihre Erfahrung mit Hass und Gewalt als stark belastend.
Hass und Hetze hinterlassen bei den Betroffenen Spuren. Waren Bürgermeisterinnen und ihre Familie selbst bereits Opfer von Hetze oder Gewalt, dann sagt fast die Hälfte von ihnen, dass sie schon einmal konkret über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht hat.
Zu Wahlkampfzeiten habe sie Angst um ihre Sicherheit gehabt, sagt Bürgermeisterin Schwarzweller aus Zossen. Es habe Drohungen und Vorkommnisse im privaten Umfeld gegeben. Heute sei das nicht mehr so. "Mittlerweile fühle ich mich als Bürgermeisterin in Zossen ganz gut angekommen." Doch Hass und Hetze, die Schwarzweller in eineinhalb Jahren erlebt hat, dürften nicht einfach als Teil des politischen Geschäfts gesehen werden, den Menschen wie sie eben aushalten müssten.
"Man kann immer unterschiedliche politische Meinungen haben, dafür sind wir eine Demokratie", sagt Wiebke Schwarzweller, "aber, dass man so verletzend miteinander umgeht und versucht, andere mit allen Mitteln persönlich zu vernichten, das geht nicht". Geholfen habe ihr in dieser Zeit ihr Partner, aber auch die Unterstützung durch Ehrenamtliche und ihre Mitarbeiter im Rathaus. Trotzdem habe sie sich immer wieder professionelle Unterstützung gewünscht.
"Die Gesellschaft insgesamt muss auf die Verrohung reagieren."
Auf einer Onlineplattform sollen betroffene Kommunalpolitiker künftig genau das finden. Schnelle Hilfe und Adressen von Organisationen wie beispielsweise Hate Aid, die Opfer digitaler Gewalt beraten, oder die Stiftung deutsches Forum für Kriminalprävention, die dabei hilft, Risiken besser einzuschätzen. Stark im Amt heißt das Portal für Kommunalpolitiker, entwickelt von der Körber-Stiftung in Kooperation mit den kommunalen Spitzenverbänden. Ein Netzwerk soll es sein und ein Zeichen: Kommunalpolitiker sind mit Hass und Gewalt nicht allein. Das signalisiert auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er ist für Stark im Amt zum ersten Mal überhaupt Schirmherr eines rein digitalen Projekts.
Gegenwehr sei nötig, betonte Steinmeier bei der Präsentation der Plattform, denn auf kommunaler Ebene, in den Rathäusern laufe alles auf. "Der Hass kommt mal seitenlang begründet oder erschreckend kurz mit dem Wort: Verrecke!" Wenn Politiker ihr Verhalten änderten und qualifizierte Kandidatinnen sich aus Angst nicht zur Wahl stellten, sagte Steinmeier, "dann sind Hass und Hetze eine Gefahr für die Demokratie". Stark im Amt sei ein Anfang. "Die Gesellschaft insgesamt muss auf die Verrohung reagieren."
Bürgermeisterin Wiebke Schwarzweller wünscht sich, auf der Onlineplattform die richtigen Ansprechpartner zu finden, um gezielt gegen Hetze vorzugehen und mit anderen betroffenen Kommunalpolitikern ins Gespräch zu kommen. "Gehör zu finden und auf unsere Situation aufmerksam zu machen, ist ganz wichtig."