Hartz IV: Wie es weitergeht:Riskantes Spiel um die Mini-Mehrheit

Die Verhandlungen sind gescheitert, nun blickt Berlin auf den Bundesrat: Eine Stimme fehlt Schwarz-Gelb, um die Hartz-IV-Reform doch noch durchzudrücken. Die Regierung hofft auf Abtrünnige aus der Opposition - andernfalls geht es wieder vor Gericht.

Lena Jakat

Die vielgelobte Konsensdemokratie in Deutschland hat verloren: In der Nacht ließen Regierung und Opposition die Reform der Hartz-IV-Gesetze platzen. Es ist auf den Tag genau ein Jahr vergangen, seit das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber unmissverständlich dazu aufforderte, bei der gesetzlichen Grundsicherung, dem Arbeitslosengeld II, nachzubessern - mit besonderem Augenmerk auf die Kinder. Für Wohlfahrtsverbände und Hartz-IV-Empfänger war das damalige Urteil ein Etappensieg.

Am frühen Mittwochmorgen verkündete die Verhandlungsgruppe aus Opposition und Regierungskoalition, man habe sich nicht einigen können. Gestritten worden war bis zuletzt über drei Kernpunkte, bei denen SPD und Grüne Nachbesserungen verlangten: die Regelsätze für erwachsene Hartz-IV-Empfänger, das Bildungspaket sowie Mindestlöhne und Verbesserungen für Leiharbeiter. Schuld an den gescheiterten Verhandlungen ist - je nachdem wen man fragt - stets die andere Seite: Die Opposition ist schuld, weil sie auf das Angebot der Regierung, sich bei den Mindestlöhnen in Wachschutz, Leiharbeit und Weiterbildung zu bewegen, nicht reagierte. Die Regierung sei schuld, weil sie es von vornherein aufs Scheitern anlegte.

Tatsächlich erhöhte die schwarz-gelbe Koalition am Dienstag den Druck, indem sie für Mittwochmittag eine Sitzung des Vermittlungsausschusses einberief. In dem 32-köpfigen Gremium, je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat entsandt, verfügt die Koalition über eine eigene Mehrheit.

Beschließt der Vermittlungsausschuss mit den Stimmen von Schwarz-Gelb den von den SPD-Ländern am Dienstagabend noch abgelehnten Änderungsvorschlag und geht dieser bis Mitternacht beim Bundestag ein, werden ihn die Abgeordneten voraussichtlich schon am Freitag verabschieden. Noch am selben Tag soll der Gesetzesentwurf dann die Länderkammer passieren. Dort allerdings fehlt Schwarz-Gelb genau eine Stimme zur Mehrheit.

Die Koalition pokert hoch: Union und FDP setzen zumindest offiziell darauf, doch noch genügend Stimmen im Bundesrat zu sammeln. Das wäre möglich, sollte zum Beispiel das schwarz-gelb-grün regierte Saarland zustimmen.

Das allerdings ist unwahrscheinlich. Sind sich die Koalitionspartner uneins, enthalten sich die Vertreter des Landes üblicherweise, was wie eine Neinstimme wirkt - Partei- und Koalitionsfrieden gehen vor. So sagt denn auch Grünen-Verhandlungsführer Fritz Kuhn, er sei "zuversichtlich, dass die Regierung am Freitag für ihren Vorschlag keine Mehrheit findet". Die Koalition dürfte sich bemühen, SPD und Grüne als Blockierer darzustellen und so der Opposition die Schuld zuzuschieben.

Für die 4,8 Millionen Erwachsenen und mehr als zwei Millionen Kinder, die von Hartz IV leben, bedeutet das Scheitern der Reform: Alles bleibt beim Alten. Keine neue Berechnungsmethode, kein Bildungspaket. Wann immer sich Regierung und Opposition auf eine Erhöhung der Grundsicherung einigen, muss sie in jedem Fall rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres ausbezahlt werden.

Mit jeder Woche die vergeht, wächst für die Bundesagentur für Arbeit der Aufwand: In jedem Monat gibt es etwa 220.000 Zu- und Abgänge bei den Hartz-IV-Empfängern. Für sie alle muss, sobald es einen neuen Regelsatz gibt, einzeln nachgerechnet werden. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt eine Sprecherin zu sueddeutsche.de. "Wir sind auf alles vorbereitet."

Nach dem Scheitern der Gespräche droht den Sozialgerichten eine Klagewelle gegen Hartz-IV-Bescheide, die bis zum Bundesverfassungsgericht schwappen dürfte. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Karlsruher Richter demnächst erneut zur Grundsicherung urteilen werden.

Noch ist es nicht zu spät, selbst wenn der Vermittlungsausschuss am Mittag den Gesetzesentwurf der Regierung wie geplant verabschiedet: Mit einer Zweidrittelmehrheit kann der Bundestag den Entwurf an den Vermittlungsausschuss zurückgeben, auch für Sondersitzungen beider Kammern dürften problemlos Mehrheiten zu finden sein.

Lässt es die Koalition jedoch darauf ankommen, und scheitert das Gesetz am Freitag im Bundesrat, wird die Vermittlungsmaschinerie möglicherweise noch einmal angeworfen. Mit einer einfachen Mehrheit kann Schwarz-Gelb im Bundestag ein neues Vermittlungsverfahren beschließen. Dann beginnt das Geschacher um Inhalte und Positionen, eine neue Runde im Hartz-Poker.

Der Regierung bleibt in diesem Fall wenig zu lachen, auch wenn sie es schaffen sollte, die Schuld an der gescheiterten Reform von sich zu weisen: Die anstehenden Landtagswahlen dürften nach aktuellen Hochrechnungen die Opposition im Bundesrat weiter stärken. Wenn etwa Schwarz-Grün in Hamburg und Stefan Mappus in Baden-Württemberg abgelöst würden, fehlen Schwarz-Gelb insgesamt zehn Stimmen zur Mehrheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: