Süddeutsche Zeitung

Hartz-IV-Debatte:Union und SPD feiern ihre Reformbaracke

Nach zermürbenden Verhandlungen wird die Hartz-IV-Reform Gesetz. Nun feiern sich Koalition und SPD dafür, "etwas Schönes gebaut" zu haben. Dabei ist ihr Reformhaus stark einsturzgefährdet.

Lena Jakat

Nach der namentlichen Abstimmung im Bundestag zitiert Familienministerin Ursula von der Leyen Goethe: "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen." Sie sei der Überzeugung, sagt die CDU-Politikerin, dass nun jeder Stein der Hartz-Reform an seinem Platz sei. "Mit dem Bildungspaket haben wir etwas Schönes gebaut."

Die acht Wochen, seit der Bundesrat die Reform im Dezember abgelehnt hatte, lieferten jedoch mitnichten ein Meisterstück politischer Bauwerkskunst: In nächtlichen Marathonsitzungen verbissen sich Bundesregierung und Opposition, Bund und Länder in Details wie Warmwasserkosten. Sie eröffneten mit der Lohnangleichung für Leiharbeiter und dem Mindestlohn für Wachmänner zusätzliche Baustellen, sodass das eigentliche Projekt - eine Neuregelung der gesetzlichen Grundsicherung - bisweilen vollkommen aus dem Fokus geriet. Ein schlechteres Bild von dem, was in den Lehrbüchern als Verhandlungsdemokratie gerühmt wird, hätten die Parteien kaum abliefern können.

Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass nach zwei Monaten zäher Verhandlungen alles ganz schnell geht: Bundesrat und Bundestag haben am Freitagvormittag die Änderungen zu den Hartz-Gesetzen verabschiedet, mit den Stimmen von Union, FDP und SPD.

Zumindest teilweise hat sich die Union die Steine, von denen von der Leyen im Bundestag spricht, selbst erst in den Weg gelegt. Erst vor zwei Wochen hatten CDU und CSU etwa die zusätzliche Regelsatzerhöhung um drei weitere Euro strikt abgelehnt und ein "unechtes Ergebnis" im Vermittlungsausschuss durchgedrückt. Dass das langwierige Verhandlungsverfahren bei den Wählern nicht sonderlich gut ankommen dürfte, verkauft die Familienministerin in rosarotem Pragmatismus: "Politik muss keinen Schönheitspreis gewinnen, sondern nachhaltig etwas bewegen."

Wie "nachhaltig" vor allem das 2,3 Milliarden Euro teure Bildungspaket für arme Kinder wirkt, bleibt abzuwarten. Der Teil des Kompromisses, der unmittelbar greift, ist die Erhöhung des Regelsatzes: Hartz-IV-Empfänger erhalten rückwirkend von Januar an fünf Euro mehr im Monat. Damit steigt der Satz auf 364 Euro. Zu Beginn des kommenden Jahres soll er um weitere drei Euro angehoben werden.

Die SPD, immerhin Erfinderin von Hartz-IV, gibt sich alle Mühe, den Kompromiss als ihren Verdienst darzustellen. "Es ist uns gelungen, den Gesetzesentwurf zu verbessern", sagt Verhandlungsführerin Manuela Schwesig und führt die Punkte auf, bei denen die Sozialdemokraten in den Verhandlungen erfolgreich gewesen seien: kommunale Verwaltung, Mindestlohn, Angleichung der Löhne für Zeitarbeiter. Doch das alles sind Nebenschauplätze, zumindest aus Sicht der Wähler.

Beim Hauptpunkt der Reform, der Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 der Bundesregierung auferlegte, will die SPD aber mit der Reform doch nicht so viel zu tun haben: Sie stimmt der Regelsatzerhöhung in Bundestag und Bundesrat zwar zu, zweifelt aber daran, dass die Berechnung verfassungsrechtlich einwandfrei ist. Schwesig formuliert das so: "Die Bedenken sind nicht vollständig ausgeräumt."

Das Hartz-IV-Bauwerk von Regierung und SPD mag stehen, doch es ist wackelig bis einsturzgefährdet.

Keine Partei hat das so lautstark beschworen wie die Linkspartei. So spricht der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi denn auch nach der erfolgreichen Abstimmung im Bundestag von einem "verfassungswidrigen Gesetz", das das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ignoriere. Das Vermittlungsergebnis sei zudem in "illegalen Kungelrunden" zustande gekommen, wettert Gysi. Es klingt fast wie eine Drohung als er seine Rede schließt: "Wir sehen uns vor dem Bundesverfassungsgericht wieder."

Bedenken an der Verfassungskonformität haben die Grünen dazu veranlasst, in letzter Minute aus den Verhandlungen auszusteigen. Die SPD ist geblieben, wohl auch weil die SPD-geführten Länder erheblich von den Zugeständnissen des Bundes bei der Grundsicherung im Alter profitieren. Für die Verfassungsmäßigkeit der Reform soll nach Willen der SPD allerdings Schwarz-Gelb geradestehen. "Die Verantwortung über die Rechtmäßigkeit liegt bei der Bundesregierung", sagt Schwesig. Sie betont noch einmal die Einmütigkeit, mit der Grüne und SPD in den Verhandlungen aufgetreten seien und vergisst auch nicht, dem "lieben Fritz Kuhn", der für die Grünen in den Verhandlungsrunden saß, zu danken. Nach ihrer Rede kommt der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin nach vorne und schüttelt ausdauernd Schwesigs Hand: demonstrative rot-grüne Einigkeit.

Davon, dass ihr schönes Bauwerk vom Bundesverfassungsgericht möglicherweise bald wieder eingerissen werden könnte, will Familienministerin von der Leyen derzeit allerdings nichts wissen. Die Bedenken der Grünen erklärt sie zur "Flucht aus der Verantwortung". Von der Leyen nutzt die Gelegenheit, dass seit der Hamburg-Wahl wieder moderne Argument der "Dagegen-Partei" der Grünen noch einmal hervorzuholen. Der Vermittlungsausschuss ist zu Ende, das Wahljahr geht weiter.

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