Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Schwerer Schlag für Labour

Seit 1974 war Hartlepool fest in der Hand der Sozialdemokraten. Doch nun haben die Tories den nordenglischen Wahlkreis erobert, wie auch viele andere. Dank Brexit und Impfkampagne.

Von Alexander Mühlauer, London

Der Freitag begann für Boris Johnson sehr erfreulich. Der Konservativen Partei des britischen Premierministers gelang es, das Unterhaus-Mandat bei der Nachwahl in Hartlepool zu erobern. Und damit einen Sitz im Nordosten Englands, der seit seiner Gründung im Jahr 1974 fest in Labour-Hand gewesen war. Für Johnson ist dies ein Sieg von hoher Symbolkraft und zugleich ein persönlicher Erfolg. Gleich drei Mal war er im Wahlkampf nach Hartlepool gereist, um die siegreiche Kandidatin Jill Mortimer zu unterstützen. Sein Einsatz hat sich ausgezahlt.

Der Abstand zwischen Mortimer und dem Labour-Kandidaten Paul Williams ist so deutlich wie es viele Meinungsumfragen prognostiziert hatten. Die Konservative bekam 15 529 Stimmen, der Sozialdemokrat lediglich 8589. Die Nachwahl in Hartlepool wurde deshalb notwendig, weil der bisherige Labour-Abgeordnete Mike Hill nach Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs zurückgetreten war. Doch dieser Skandal war längst nicht der alleinige Grund für die Niederlage von Labour.

Nach Auffassung von Meinungsforschern waren vor allem zwei weitere Themen ausschlaggebend für den Sieg der Tories. Erstens: die erfolgreiche Impfkampagne der britischen Regierung. Und zweitens: der Brexit. In Hartlepool hatten beim Referendum 2016 knapp 70 Prozent für den EU-Austritt gestimmt. Die jüngste Affäre um die kostspielige Renovierung von Johnsons Dienstwohnung spielte in Hartlepool offenbar keine große Rolle.

Auch bei den englischen Kommunalwahlen, deren Ergebnisse am Freitag erst schleppend bekanntwurden, gab es einen ähnlichen Trend zu beobachten. In Gegenden, die mehrheitlich für den Brexit gestimmt hatten, zeigte sich eine Wählerbewegung zu den Konservativen. Und so setzte sich im Grunde das fort, was schon bei der Unterhaus-Wahl 2019 deutlich wurde: In vielen Wahlkreisen, die Labour über Jahrzehnte fest im Griff hatte, lagen die Konservativen vorn.

Labour fehle ein klarer Kurs, sagt der Politologe

Für Keir Starmer, der seit gut einem Jahr an der Spitze der Labour Party steht, ist das Ergebnis in England eine schwere Niederlage. Offensichtlich ist sein Versuch, Johnson und seine Tories als korrupte und opportunistische Truppe darzustellen, gescheitert. Starmer hatte dem Premier in den Wochen des Wahlkampfs vorgeworfen, nichts gegen den angeblichen "Tory-Filz" zu unternehmen, der in der Konservativen Partei verbreitet sei.

Der Labour-Chef versuchte immer wieder, Johnson in Erklärungsnot zu bringen, nachdem dieser sich geweigert hatte, ein für alle Mal offenzulegen, woher das Geld für die Renovierung seiner Dienstwohnung gekommen war. Laut Medienberichten soll Johnson die Kosten mithilfe einer Parteispende zwischenfinanziert haben. Doch viele Wähler finden offenbar, dass dies nicht so dramatisch sei, solange Johnson dafür keine Steuergelder genommen habe.

Der Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow ist der Meinung, dass Labour ein klarer Kurs fehlt. Die Partei verstehe sich immer noch als Stimme der Arbeiterschaft, aber dies schlage sich nicht an den Wahlurnen nieder. "Labour muss entweder eine Strategie finden, die Arbeiter trotz Brexit wiederzugewinnen oder akzeptieren, dass sie jetzt die Partei der jungen Leute, Akademiker und Sozialliberalen ist", sagte Curtice der BBC.

Während viele Konservative ihr Abschneiden in England ausgiebig feierten, gab sich Johnson eher zurückhaltend. Der Premier bezeichnete die bisherigen Ergebnisse am Freitagnachmittag als "sehr ermutigend". Sie zeigten, dass sich seine Regierung auf die Prioritäten der Menschen konzentriert habe und darauf, so schnell wie möglich aus der Pandemie zu kommen.

In Schottland war Johnson im Wahlkampf kein einziges Mal

Zu dem Zeitpunkt, als Johnson das sagte, standen allerdings noch einige Ergebnisse aus, die nicht nach seinem Geschmack sein dürften. So wurde etwa bei der Bürgermeisterwahl in London ein deutlicher Sieg von Labour-Mann Sadiq Khan erwartet; auch in Greater Manchester und in der Liverpool City Region dürften die Labour-Bürgermeister im Amt bleiben.

In Wales konnte der amtierende Labour-Regierungschef Mark Drakeford laut Umfragen auf eine Mehrheit im Regionalparlament hoffen. Und in Schottland wurde mit Spannung erwartet, ob die Scottish National Party (SNP) von Nicola Sturgeon eine absolute Mehrheit erreicht hat; ein Ergebnis wird an diesem Wochenende erwartet. Die SNP hofft, den Druck auf Johnson zu erhöhen, einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum zuzustimmen. Der Premier lehnt das strikt ab. Und so dürfte er auch nach der Wahl weiter von der SNP beschuldigt werden, sich nicht um schottische Interessen zu kümmern. Im Wahlkampf war Johnson jedenfalls kein einziges Mal dort. Er weiß offenbar, dass er in Schottland alles andere als beliebt ist.

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