Harkis:Frankreichs Fehler

Auf jeden Schritt nach rechts folgt einer nach links. Nun nimmt sich Präsident Macron der Kolonialvergangenheit an und würdigte die Harkis, die ehemalige Hilfstruppe in Algerien, die in Frankreich miserabel behandelt wurde.

Von Nadia Pantel, Paris

Diesmal gibt es nicht die eine, große Rede, die alles erklären könnte. Stattdessen nähert sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Schritt für Schritt "den Ereignissen in Algerien". Früher war dies die offizielle französische Bezeichnung für den Algerienkrieg, und sie sagt viel über französische Wegducken vor dieser dunklen Vergangenheit aus. Nach beinahe 60 Jahren Schweigens und Lavierens hat nun eine offensivere Auseinandersetzung mit dem eigenen Vorgehen in der ehemaligen Kolonie Algerien begonnen.

Vor zwei Wochen hatte Macron sich bei der Witwe des von Franzosen gefolterten und getöteten Mathematikers Maurice Audin entschuldig. Audin setzte sich in den 1950er Jahren in Algier für die Unabhängigkeit seines Heimatlandes ein. Er verschwand 1957 unter ungeklärten Umständen. Mit seiner Entschuldigung erkannte Macron an, dass die französischen Besatzer in Algerien systematisch folterten, um Menschen wie Audin zum Schweigen zu bringen.

Nun widmet sich der Präsident der anderen Seite, den Harkis, die im Unabhängigkeitskrieg als Algerier auf französischer Seite kämpften. Viele erkennen in Macrons Umgang mit der Vergangenheit dieselbe Strategie wie in seiner Reformpolitik. Es ist die Strategie der Gleichzeitigkeit, das berühmte "en même temps", das in jeder von Macrons Reden vorkommt. In der Theorie folgt auf jeden Schritt nach rechts ein Schritt nach links. Auf den Algerienkrieg übertragen bedeutet das: Das Leid der Kolonisierten wird ebenso anerkannt wie das derer, die die Kolonisatoren unterstützten.

Paris empfing seine ehemaligen algerischen Hilfstruppen erbärmlich

Schon im 19. Jahrhundert begann die französische Armee, algerische Hilfssoldaten anzuwerben, beziehungsweise zwangszurekrutieren. Die sogenannten Harkis kämpften später im Ersten und im Zweiten Weltkriegs auf Seiten Frankreichs und schließlich im Algerienkrieg gegen ihre Landsleute. Viele von ihnen nahmen ihren Dienst für Frankreich nicht aus Überzeugung sondern aus wirtschaftlicher Not oder unter Druck der Besatzer auf. Als Frankreich Algerien 1962 in die Unabhängigkeit entließ, zahlten die rund 150 000 Harkis für ihre Kollaboration einen hohen Preis. Zwischen 55 000 und 75 000 von ihnen wurden in Algerien ihrem Schicksal überlassen. Sie galten dem dortigen neuen Regime als Verräter, Tausende wurden umgebracht.

Die Harkis, denen es gelang nach dem Krieg nach Frankreich überzusiedeln, wurden erbärmlich empfangen. Das Camp Rivesaltes in den Pyrenäen ist heute zum Symbol dieses Elends geworden. Von 1962 an lebten dort 22 000 algerische Muslime ohne fließend Wasser und Elektrizität. Innerhalb von zwei Jahren starben 130 Personen, vor allen Dingen Kinder. Das Camp war so abgelegen, dass die Harkis und ihre Familien weder Französisch lernen noch Arbeit finden konnten.

Macron wirbt nun in drei Etappen um die Gunst der Harkis. Vergangenen Freitag erhob er 37 Harkis und deren Nachkommen in den Rang der Ehrenlegionäre. Am Dienstag, dem nationalen Gedenktag für die Harkis, ließ er durch das Verteidigungsministerium eine Gedenkfeier ausrichten. Dort wurden nicht nur "die Fehler Frankreichs" anerkannt. Den Harkis wurden auch 40 Millionen Euro versprochen. Sie sollen vor allen Dingen den Nachfahren der zweiten Generation helfen, in Frankreich besser Fuß zu fassen. Der Schlusspunkt von Macrons Harki-Politik wird im Dezember erwartet, dann will der Präsident sich mit "einer starken Geste", wie es aus dem Élysée heißt, an die ehemaligen Soldaten wenden. Wie die Geste aussieht ist noch nicht bekannt.

Der Vorsitzende des Nationalen Komitees der Harkis, Boaza Gasmi, zeigte sich in einem Interview mit dem Sender Franceinfo von dem bisherigen Engagement des Präsidenten nicht beeindruckt. "Der jüngste Harki ist heute 80 Jahre alt. Es ist ein bisschen spät." Schon Macrons Vorgänger François Hollande hatte anerkannt, dass Frankreich die Harkis im Stich gelassen hatte. Eine offizielle Entschuldigung hat bislang jedoch noch kein französische Präsident formuliert.

Macron bezog schon im Wahlkampf 2017 Stellung zu Frankreichs Kolonialvergangenheit, er sagte in Algier, der Kolonialismus sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Auf die folgende Kritik von Veteranen antwortete der damalige Präsidentschaftskandidat: "Ich nenn nicht diejenigen kriminell, die sich an der Kolonialisierung beteiligt haben. Aber das Phänomen der Kolonialisierung hat böse Wurzeln. Es nährt sich vom Massaker und vom Unglück."

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