Süddeutsche Zeitung

Hariri-Mordfall:"Haftbefehl gegen deutschen UN-Ermittler"

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Syrien will offenbar die Festnahme des deutschen Staatsanwalts Mehlis. Er untersuchte das Attentat auf Libanons Ex-Premier Hariri.

T. Avenarius, Kairo

Die syrische Justiz sucht angeblich den deutschen Oberstaatsanwalt und Terrorermittler Detlev Mehlis per Haftbefehl. Der Berliner Jurist hatte 2005 im Auftrag der UN in Beirut nach den Mördern des libanesischen Ex-Premiers Rafik al-Hariri gefahndet. Nun behauptet der libanesische Ex-General Dschamil al-Sayed, der im Zusammenhang mit den Hariri-Ermittlungen vier Jahre inhaftiert war und inzwischen frei ist, er habe einen Haftbefehl gegen Mehlis erwirkt. Ins Gefängnis gebracht worden war Sayed von Mehlis, der auch drei weitere hohe libanesische Offiziere inhaftieren ließ. Sie kamen erst 2009 frei, mangels Tatverdacht.

Eine Bestätigung der syrischen Justiz für die Haftbefehle gegen Mehlis und 32 andere Personen fehlt bisher. Bei den anderen Gesuchten soll es sich nach den Angaben von Sayeds Anwalt um libanesische Politiker, Juristen, Offiziere und Journalisten handeln. Sollten die Haftbefehle existieren, dürfte dies das syrische Verhältnis zu Deutschland und Libanon belasten. Zugleich würde die Arbeit des im UN-Auftrag arbeitenden Hariri-Tribunals entwertet werden. Das Tribunal steht ohnehin unter Beschuss: Die Hisbollah, Syrien und Iran sprechen dem Tribunal seine unparteiische Haltung ab.

Sayeds Anwalt Fasih al-Aschi sagte der Nachrichtenagentur AP, Begründung für die Haftbefehle sei, dass die Ermittlungen im Fall Hariri manipuliert worden seien. In einer "Verschwörung" seien "falsche Zeugen" eingeführt worden. Sayed habe seine Klage gegen dieses Vorgehen nicht im Libanon eingereicht, da die Justiz dort "parteiisch" sei. Deshalb habe man im Nachbarland Syrien geklagt. Dies legt nahe, dass Sayeds Vorgehen selbst politisch motiviert ist: Das syrische Regime gilt bis heute als möglicher Strippenzieher des Mordanschlags auf Hariri.

Bei dem Attentat in Beirut im Februar 2005 starben neben Hariri 22 Menschen. Der Mord hatte die politische Landkarte des Nahen Ostens verändert: Es kam im Libanon zu Massenprotesten gegen die Schutzmacht Syrien. Damaskus musste seine Truppen abziehen und verlor für mehrere Jahre die früher fast vollständige politische und wirtschaftliche Kontrolle im Nachbarland. Mehlis hatte bei seinen Ermittlungen angedeutet, dass er die Hintermänner des Mordes in Damaskus vermute. De Facto hatte sein Bericht an den Sicherheitsrat im Oktober 2005 das Regime von Präsident Baschar Al-Assad mit einer möglichen Täterschaft belastet. Dies trug dazu bei, dass Syrien jahrelang international isoliert war. Erst in den letzten zwei Jahren haben sich die Beziehungen zum Libanon, zu den USA und zu Europa verbessert. Mehlis hatte seinen Posten Ende 2005 "aus persönlichen Gründen" niedergelegt. Da einer seiner Kronzeugen unglaubwürdig war, war seine Arbeit kritisiert worden.

Mehlis arbeitet derzeit auf den Philippinen im EU-Auftrag an einem Projekt zur Rechtsreform, er war telefonisch nicht erreichbar. Sollten die Haftbefehle existieren, bliebe die Frage, wer sie ausführt. Die meisten Betroffenen sind Libanesen. Libanons Polizeichef Aschraf Rifi, der selbst auf der Liste stehen soll, sagte: "Wir tun alles, die Umsetzung zu verhindern. Die Haftbefehle verletzen Libanons Souveränität."

Das Hariri-Tribunal im niederländischen Den Haag soll Ende 2010 beginnen. Die UN-Untersuchung war von Anbeginn an politisch belastet. Seit bekannt ist, dass auch gegen Mitglieder der libanesischen Hisbollah-Miliz ermittelt wird, hat sich die Kritik von Seiten Syriens, der Hisbollah und Irans zu einer Kampagne entwickelt. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah nannte das Tribunal ein "zionistisches Projekt". Er untersagte Hisbollah-Mitgliedern, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Zugleich legte er Videomaterial vor, das seinen Worten zufolge Israel für den Hariri-Mord verantwortlich macht.

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SZ vom 05.10.2010
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