Hans-Peter Bartels:"Wir haben über ein Zerrbild der Bundeswehr geredet"

Von der Leyen besucht Bundeswehrsoldaten in Litauen

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die Präsidentin von Litauen, Dalia Grybauskaite, begrüßen in Litauen Bundeswehrsoldaten.

(Foto: dpa)

Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, über die jüngsten Skandale in der Truppe und das gestörte Vertrauen zwischen Verteidigungsministerin und Soldaten.

Interview von Christoph Hickmann

SZ: Herr Bartels, wünschen Sie sich, dass Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin bleibt?

Bartels: Das Amt ist ein Höllenjob. Ich nehme an, Frau von der Leyen dürfte erst einmal froh sein, dass sie die letzten vier Jahre mit allen Höhen und Tiefen überstanden hat. Wenn sie sagt, sie würde gern weitermachen, signalisiert das vielleicht, dass sie doch Vertrauen in die Bundeswehr hat - in einer Situation, in der noch viele Soldatinnen und Soldaten glauben, dass die Ministerin ihnen eben nicht traut. Das geht tief.

Was ist von der Vertrauenskrise zwischen der Ministerin und der Truppe zurückgeblieben, die in von der Leyens Satz gipfelte, die Bundeswehr habe ein Haltungsproblem und eine Führungsschwäche?

Die Ministerin bemüht sich ja, mit vielen Begegnungen wieder ein Vertrauensverhältnis herzustellen. Aber das Problem geht inzwischen über die politische Ebene hinaus. Ich höre aus der Bundeswehr auch Kritik an der militärischen Führung, weil sie der Ministerin nicht deutlich widersprochen habe.

Ist das gestörte Verhältnis zwischen Truppe und Ministerin noch einmal zu kitten?

Das käme auf den Versuch an.

Hat die Bundeswehr denn ein Haltungsproblem?

Nein, sie hat kein Haltungsproblem, sondern ziemlich genau immer wieder die Art Probleme, die im Militär nun mal zu erwarten sind. Weil man das weiß und auch bei Gründung der Bundeswehr schon wusste, gibt es eine Wehrdisziplinarordnung, Wehrdisziplinaranwälte und Truppendienstgerichte, den Militärischen Abschirmdienst und den Wehrbeauftragten. Dass kleine und große Regelverstöße vorkommen, damit muss man in allen Armeen der Welt rechnen. Ich glaube, wir sind in Deutschland vergleichsweise gut darin, solche Dinge zu merken und abzustellen. Aber die perfekte Bundeswehr wird es trotzdem nie geben.

Vorstellung des Jahresberichts des Wehrbeauftragten

Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages.

(Foto: dpa)

Das sagen Sie trotz der Vorwürfe, die in diesem Jahr hochkamen? Da ging es um sadistische Aufnahmerituale und fragwürdige Ausbildungspraktiken.

Und Rechtsextremismus und angebliche Putschversuche und Sexismus und Vorgesetzte, die nicht den Prinzipien der Inneren Führung folgen. Aber das ist nicht alles das Gleiche, und manches ist auch nicht so gewesen, wie es dargestellt wurde. Wir haben in diesem Jahr teilweise über ein Zerrbild der Bundeswehr geredet. Natürlich muss man handeln, wo Fehlentwicklungen zu korrigieren sind. Aber mit dem richtigen Maß. Und es ist gut, dass öffentlich über innere Probleme der Bundeswehr diskutiert wird - die Frage ist nur, wie.

Klingt nach Kritik an der Ministerin.

Mir scheint, dass das Ministerium aus Schaden klüger geworden ist und mittlerweile umsichtiger damit umgeht, wenn in der Truppe etwas vorfällt. Aber um mal zum Positiven zu kommen, die Ministerin hatte ja durchaus bemerkenswerte Erfolge. Sie hat klare Trendwenden eingeleitet, was Material und Personal angeht. Die objektiven Defizite werden nicht mehr geleugnet, sondern sind erkannt, wichtige Grundsatzentscheidungen sind getroffen. Das ist eine Leistung. Dazu die großen Schritte Richtung europäische Verteidigung. Da gab es einen breiten Konsens in der großen Koalition, der jetzt hoffentlich auch in der kommenden Konstellation hält.

Wäre es da nicht sinnvoll, dass diejenige, die diese Dinge angestoßen hat, für die Umsetzung verantwortlich bleibt - also vollendet, was sie auf den Weg gebracht hat?

Was ich mir wünsche, ist, dass es tatsächlich vollendet wird und nicht mit einer neuen Regierung wieder bei Null losgeht. Die Analysen sind da, jetzt muss man sich beim Finanzbedarf mal für die nächsten vier Jahre ehrlich machen: Was plant man tatsächlich, und was wird das kosten?

Ihr Amt ist ein überparteiliches, aber Sie sind nach wie vor Sozialdemokrat. Ihre Partei hat im Wahlkampf heftig gegen das Nato-Ziel polemisiert, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Zu Recht?

Ich kenne niemanden im Verteidigungsministerium, der derzeit eine Zwei-Prozent-Bundeswehr plant. Eine solche Bundeswehr müsste ja wohl sehr viel größer sein als die Zielgröße von 198 000 Soldaten, die jetzt angestrebt wird. Was wir wirklich brauchen, ist die Vollausstattung der existierenden Bundeswehr, materiell und personell. Um das zu erreichen, müsste man nach dem, was mir die Fachleute sagen, bei 1,5 Prozent landen. Heute geben wir 1,2 Prozent aus.

Das heißt, die SPD hat sich im Wahlkampf an einer Schimäre abgearbeitet?

Alle können wissen, dass es mittelfristig die zwei Prozent nicht braucht und dass sie nicht kommen werden. Es geht jetzt darum, die großen Lücken zu schließen für die Aufgaben, die unsere Streitkräfte heute schon haben: im Auslandseinsatz wie für unseren Beitrag zur kollektiven Verteidigung in Europa.

Wo mangelt es derzeit besonders?

Materiell trifft meine Analyse von vor zwei Jahren nach wie vor zu: Es ist von allem zu wenig da. Ein Beispiel dafür, wie schwerfällig das gegenwärtig noch läuft, ist der beschlossene Zulauf von 100 zurückgekauften, zu modernisierenden Leopard-Panzern. Wenn es sieben Jahre dauert, diese Lücke zu schließen, dann müssen beide Seiten schneller werden, sowohl die Amtsseite als auch die Industrie.

Und personell?

Hier fehlen Fachkräfte vor allem in der IT, Techniker für Schiffe, Flugzeuge, Hubschrauber. Konkurrenz kommt von der boomenden Wirtschaft und auch von der Polizei, die zurzeit kräftig aufstockt.

Da geht es aber nicht nur um Geld.

Nein, sondern zum Beispiel um die Perspektive einer unbefristeten Einstellung. Natürlich kann man mit mehr Geld nicht alles lösen. Wollen wir für eine Freiwilligenarmee angesichts kleiner werdender Jahrgänge genügend Leute bekommen, müssen wir auch stärker gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen. Wenn von einem Jahrgang heute mehr als 50 Prozent ein Studium anstreben, in der Bundeswehr aber nur Platz für 13 Prozent Akademiker ist, dann könnte da nachzusteuern sein.

Wie?

Warum sollte ein Teil der Feldwebel nicht auch einen akademischen Abschluss machen können, zum Beispiel einen Bachelor, während die Offiziere den Master machen? Viele Bundesländer bilden ihre Polizeibeamten inzwischen an einer FH aus, das ist attraktiv, auch finanziell. Solche Überlegungen könnten Aufgabe einer Kommission sei, die das ganze vielfältige Ausbildungssystem der Bundeswehr daraufhin überprüfen sollte, ob es noch in allen Bereichen zeitgemäß ist.

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