Süddeutsche Zeitung

Grünen-Politiker über Maaßen:"Wie ein Sprachrohr für russische Anti-Merkel-Propaganda"

Grünen-Politiker Konstantin von Notz findet, dass der Verfassungsschutzpräsident "diese abstrusen Verschwörungstheorien füttert". Ein Bauernopfer helfe niemandem - aber Konsequenzen müssten sein.

Interview von Stefan Braun, Berlin

Der Druck auf Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen nimmt zu. Nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den Ereignissen in Chemnitz muss er sich bis zu diesem Montag dem Innenministerium erklären. Grünen-Politiker Konstantin von Notz hält Maaßens Äußerungen für verheerend und verlangt Konsequenzen.

SZ: Im sachsen-anhaltischen Köthen hat es offenbar einen ähnlichen Fall gegeben wie in Chemnitz. Welche Angst ist jetzt Ihre größte?

Konstantin von Notz: Wir dürfen gar keine Angst haben. Wir müssen klar und entschlossen sein. Klar auf den Rechtsstaat vertrauen, der solche Straftaten ebenso objektiv wie konsequent verfolgt und auch bestraft. Und uns entschlossen den Hetzern und Spaltern entgegenstellen, die auf das Widerwärtigste versuchen, schlimme Straftaten zu instrumentalisieren, um aus ihnen politisches Kapital zu schlagen.

Seit Tagen steht der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in der Kritik, weil er behauptet hatte, es gebe keine Belege für Hetzjagden in Chemnitz. Warum fordern die Grünen seinen Rücktritt?

Hans-Georg Maaßen ist mit dem Versprechen zum Präsidenten des Bundesamtes ernannt worden, nach der NSU-Mordserie verloren gegangenes Vertrauen in die Arbeit der Behörde wiederherzustellen. Das war auch das Versprechen von Bundesinnenministerium und Bundesregierung. Aus heutiger Perspektive ist man mit diesem Versprechen und dem eigenem Anspruch gescheitert - und zwar auf ganzer Linie. Von Vertrauen in die Objektivität der Arbeit der Behörde ist man heute weiter entfernt denn je, vor allem wenn man mit unbelegten Äußerungen wie ein Sprachrohr für russische Anti-Merkel-Propaganda agiert. Das ist auch aus rechtsstaatlicher und sicherheitspolitischer Perspektive verheerend und verlangt nach entsprechenden Konsequenzen.

Was meinen Sie, wenn Sie behaupten, Maaßen mache sich zum Sprachrohr der russischen Propaganda?

Nach den Ereignissen von Chemnitz lief eine breite Kampagne in russischen Medien, die rechtsextremen Ausschreitungen- und Hetzjagddiskussionen seien nur ein Ablenkungsmanöver von der durch Migranten begangenen Straftat. Es spottet doch einfach nur jeder Beschreibung, wenn nun ausgerechnet der Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz mit derart vagen und bisher gänzlich unbelegten Behauptungen rausreitet und damit diese abstrusen Verschwörungstheorien füttert.

Was sagen Sie denen, die behaupten, die Opposition wolle halt mal wieder einen Rücktritt?

Darum geht es uns gewiss nicht. Aber die im Raum stehenden, bis heute nicht ausgeräumten Vorwürfe wiegen extrem schwer. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Agieren des Bundesamtes und seiner Leitung vor und nach dem schrecklichen Anschlag auf den Breitscheidplatz bleibt dubios. Es erinnert fatal an die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex. Die Bundesregierung und Kanzlerin Merkel haben rückhaltlose Aufklärung versprochen, auch den Angehörigen der Opfer vom Berliner Breitscheidplatz. Statt dieses Versprechen einzulösen, hat man sich bei der Beantwortung aller unserer parlamentarischen Fragen in diesem Bereich die Aussagen von Hans-Georg Maaßen zu eigen gemacht, das Bundesamt hätte in dem Fall keinerlei Rolle gespielt und es handele sich allein um eine Angelegenheit der Polizeien der Länder. Das rächt sich nun. Denn das Parlament ist über die Existenz von V-Leuten im Umfeld von Anis Amri offenkundig mehrfach belogen worden.

Der Vorgang ist außergewöhnlich. Sind alle Probleme gelöst, wenn Maaßen geht?

Nein, natürlich nicht. Doch die Melange eines sich als Politiker verstehenden Behördenchefs und eines mit der Aufsicht sichtbar überforderten Innenministers ist hoch problematisch. Gleichzeitig sagen wir: Ein Bauernopfer hilft niemandem! Die Probleme sind durchaus struktureller Art. Und die Latte an ganz verschieden gelagerten Vorwürfen gegen das BfV und seine Leitung wird jeden Tag länger. So brauchen wir beispielsweise auch endlich Klarheit bezüglich der Frage, ob Hans-Georg Maaßen tatsächlich Presseberichte über V-Leute im Umfeld von Anis Amri hat anwaltlich unterdrücken lassen und selbst als vertraulich und geheim eingestufte Dokumente immer wieder bewusst an die Presse durchstach, um die eigene politische Agenda voranzutreiben. Auch die genauen Hintergründe der Treffen des BfV-Präsidenten mit Vertreterinnen und Vertretern der AfD bedürfen der weiteren Aufklärung. Die bisherigen Aussagen von Hans-Georg Maaßen hierzu waren leider sehr dünn und konnten den Eindruck nicht entkräften, hier könnte ein Behördenchef Politikberatung betreiben und AfD-Politikern Tipps geben, wie eine Beobachtung der Partei verhindert werden könnte.

Muss man Herrn Maaßen nicht die Chance geben, sich zu erklären?

Selbstverständlich werden wir Herrn Maaßen nochmals die Gelegenheit geben, sich zu erklären. Wir waren es ja, die in den vergangenen Wochen immer wieder entsprechende Berichtsbitten in den jeweiligen Gremien aufgesetzt haben. Herr Maaßen hat es jedoch vorgezogen, sich über die Bild-Zeitung zu erklären. So wird immer deutlicher: Das Amt ist unter dieser Leitung und in seiner jetzigen Struktur kein Garant für die Sicherheit Deutschlands. Das können wir uns aber nicht leisten. Dafür gibt es zu viele Gruppen und Personen da draußen, die rechtsstaatliche und liberale Errungenschaften abschaffen und unser bestehendes, demokratische System überwinden wollen.

Was müsste aus Ihrer Sicht jetzt geschehen?

Es braucht eine klare Zäsur und echten Neustart beim Verfassungsschutz - und jetzt ist der richtige Zeitpunkt für einen solchen Schnitt. Mit einem Behördenchef, der es, statt seine Arbeit zu machen, vorzieht, sich zum Sprachrohr der russischen Anti-Merkel-Propaganda zu machen, der journalistische Arbeit behindert, der dem Parlament wissentlich die Unwahrheit sagt und der AfD derartige Freundschaftsdienste leistet, ist ein solcher Neustart aus heutiger Perspektive für uns nicht denkbar. Das muss auch die Bundesregierung erkennen. Sie muss, um ihr Versprechen einzulösen und Vertrauen wiederherzustellen, ein personell und strukturell neues "Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr" gründen, das mit nachrichtendienstlichen Mitteln klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeitet. Um die Strukturen und genauen Zusammenhänge demokratie- und menschenfeindlicher Bestrebungen analysieren zu können, brauchen wir zudem ein unabhängiges Institut zum tatsächlichen Schutz unserer Verfassung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4123268
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/fued/jsa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.