MigrationBamf-Chef provoziert mit Forderung nach Asylwende

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Beamte der Bundespolizei beobachten an der Grenze zu Polen den einreisenden Fahrzeugverkehr. Seit Herbst 2024 finden dort vorübergehend stationäre Grenzkontrollen statt.
Beamte der Bundespolizei beobachten an der Grenze zu Polen den einreisenden Fahrzeugverkehr. Seit Herbst 2024 finden dort vorübergehend stationäre Grenzkontrollen statt. (Foto: Frank Hammerschmidt/dpa)

Mitten in die Koalitionsverhandlungen platzt ein ungewöhnlicher Vorstoß des Chefs des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Die Union pflichtet ihm bei, ein SPD-Mann legt den Rücktritt nahe.

Von Georg Ismar und Robert Roßmann, Berlin

Es mag Zufall sein, dass der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seinen Angriff auf das aktuelle Asylrecht nur wenige Meter vom Ort der Koalitionsverhandlungen entfernt formuliert hat. Für die SPD passt es aber ins Bild. Die Konrad-Adenauer-Stiftung liegt schräg gegenüber der CDU-Zentrale, in der sich die Verhandler gerade treffen. Ralf Stegner, der für die SPD in der Migrationsarbeitsgruppe mitverhandelt hat, hält den Vorstoß von Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer in jedem Fall für eine Grenzüberschreitung.

„Sommers Aufgabe ist es nicht, die Grundrechte im Grundgesetz infrage zu stellen“, sagt Stegner der Süddeutschen Zeitung. Dass der Bamf-Chef betont habe, nur seine Privatmeinung kundzutun, mache die Sache nicht besser. „Normalerweise hat das personelle Konsequenzen, wenn jemand seine Dienstpflichten verletzt“, findet Stegner – und fordert damit indirekt den Rücktritt Sommers.

Der Bamf-Chef hält eine grundsätzliche Änderung der EU-Asylpolitik für möglich

Der Bamf-Chef hatte am Montagabend in der CDU-nahen Adenauer-Stiftung an einer Veranstaltung zur „Zukunft des deutschen und europäischen Asylrechts“ teilgenommen. Dabei hat Sommer einen radikalen Kurswechsel verlangt. Es sei falsch, am individuellen Grundrecht auf Asyl festzuhalten und auf positive Effekte der beschlossenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu hoffen, sagte er. Diese sieht etwa mehr Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und an Flughäfen vor.

Sinnvoller wäre es, das System durch humanitäre Aufnahmen „in beachtlicher Höhe“ zu ersetzen, sagte Sommer. Neben humanitären Gesichtspunkten könne hier auch die Integrationsfähigkeit des Arbeitsmarktes eine Rolle spielen. Wer dennoch unerlaubt nach Deutschland einreise, hätte keine Aussicht mehr auf ein Bleiberecht.

Sein Auftritt bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sorgt für Aufsehen: Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer.
Sein Auftritt bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sorgt für Aufsehen: Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer. (Foto: Anne-Béatrice Clasmann/dpa)

In der Diskussion mit dem Publikum sagte Sommer auf eine Nachfrage zur Umsetzbarkeit seines Vorschlags: „Politik kann vieles, wenn sie nur will.“ Die Mehrheitsverhältnisse in Europa seien mittlerweile so, „dass man zu einer ganz grundsätzlichen Änderung im Asylsystem, so wie ich es skizziert habe, kommen könnte“. Es habe sich viel verändert. Es gebe ja bereits Überlegungen, am GEAS 2025 „noch die eine oder andere Änderung“ vorzunehmen. Das unterstütze er. „Es sind viele auch zum Schluss noch durch die Grünen reinverhandelte Verfahrenskomplizierungen drin, die die Umsetzbarkeit in der Praxis in Zweifel ziehen.“ Auch internationale Verträge wie die Genfer Flüchtlingskonvention könnten geändert werden.

Zu den Koalitionsverhandlungen wolle er keine Ratschläge geben, sagte Sommer: „Ich bin ja Beamter.“ Es gehe ihm aber darum, seine persönliche Einschätzung abzugeben. „Ein wiederkehrendes Auf und Ab bei den Zugangszahlen hat in den letzten 40 Jahren nicht nur die Verwaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene immer wieder zur völligen Überforderung geführt, sondern auch unseren demokratischen Rechtsstaat in krisenhafte Entwicklungen gestürzt“, findet er. Derzeit seien „populistische und extremistische Parteien, deren Erfolg maßgeblich auf dem Thema Migration beruht“ bereits in der Lage, demokratische Regierungsbildungen zu blockieren.

Die AfD nutzt Sommers Rede für Kritik an Union und SPD

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, zeigte sich aufgeschlossen. „Dass ich diesem Vorschlag gegenüber eine gewisse Sympathie habe, das kann man schon daran sehen, dass ich diesen Vorschlag auch schon einmal unterbreitet habe“, sagte Frei bei RTL/ntv. Er hatte bereits im Juli 2023 argumentiert, dass das geltende Asylrecht zu einer zutiefst inhumanen Auswahl führe. „Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos“, könne sich nicht auf den Weg aus Afghanistan oder durch die Wüsten Afrikas und über das Mittelmeer machen, schrieb er in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Deshalb würden vor allem junge Männer kommen.

Auch CDU-Mann Frei forderte ein Ende des Individualrechts auf Asyl. Stattdessen schlug er vor, jährlich ein Kontingent von 300 000 oder 400 000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufzunehmen und auf die teilnehmenden Staaten in Europa zu verteilen.

Doch in den Koalitionsverhandlungen dürfte so etwas keine Chance auf Umsetzung haben. In der SPD-Verhandlungsriege wird am Dienstag mit Blick auf den Bamf-Chef von einer Provokation gesprochen, die AfD werde Sommer nun zum Kronzeugen machen. Kurze Zeit später meldet sich AfD-Chefin Alice Weidel dann tatsächlich im Netzwerk X. Sie verlinkt ein Video mit Sommers Rede und schreibt, Sommer warne ausdrücklich vor einem „Weiter so“ in der Migrationspolitik. „Doch genau das ist Programm der Koalition aus SPD & CDU.“

Weidels Kritik tut sowohl Union als auch SPD weh. In einer neuen Forsa-Umfrage liegt die Union nur noch bei 25 Prozent, und damit nur noch einen Punkt vor der AfD, während die SPD bei lediglich 15 Prozent verharrt. Auch an der SPD-Basis gibt es wegen des Verlustes vieler Wähler an die AfD Unterstützer eines härteren Asylkurses, als ihn die Bundes-SPD bisher will. Und die Union würde gerne Maßnahmen ergreifen, wie direkte Zurückweisungen von Asylsuchenden, auch ohne Zustimmung der Nachbarländer. Oder eben Änderungen im Asylrecht. Friedrich Merz hat bereits darauf verwiesen, dass sogar der Historiker Heinrich August Winkler, selbst SPD-Mitglied, das Grundrecht auf Asyl infrage gestellt habe.

Im ersten Quartal gab es 35 Prozent weniger Asylgesuche als ein Jahr zuvor

Während in der SPD-Bundestagsfraktion, wo viele Abgeordnete des linken Flügels über gute Listenplätze ins Parlament eingezogen sind, vor einem zu harten Asylkurs gewarnt wird, sagen kommunale Vertreter, man sei schlicht am Limit. So berichtete der Fürther SPD-Oberbürgermeister Thomas Jung, dass es zum Beispiel erhebliche Probleme mit dem Familiennachzug geben würde, für zehn Millionen Euro müsse ein neues Wohnheim gebaut werden.

Und in der ARD-Sendung „Hart aber fair“ sagte der Landrat von Vorpommern-Rügen, Stefan Kerth, der auch wegen der Migrationspolitik aus der SPD ausgetreten ist: „Ich finde das hanebüchen, was da an Argumenten gebracht wird.“ Etwa, dass sich Menschen in Deutschland nur gut integrieren könnten, wenn auch noch die ganze Familie nachziehe. „Die Menschen bei uns haben kein Verständnis, dass es immer weitergeht.“ Zumindest bei diesem Punkt sind sich Union und SPD allerdings einig: Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzbedürftigen soll ausgesetzt werden.

Auch einige der noch von der Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ergriffenen Maßnahmen zeigen Wirkung. Die Zahl der Asylgesuche ist im ersten Quartal 2025 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 35 Prozent auf 32671 gesunken. Allerdings gibt es schon seit Langem vielerorts kaum noch Aufnahmekapazitäten, die Kosten sind enorm hoch und es gibt weiterhin viel Kritik an zu wenigen Abschiebungen von längst ausreisepflichtigen, abgelehnten Asylbewerbern.

Auf Seiten der SPD wird hinter dem Vorstoß von Bamf-Chef Sommer, er ist übrigens CSU-Mitglied, noch ein anderes Motiv vermutet.  Sommer stehe wegen Verfahrensfehlern seines Amts im Umgang mit islamistischen Attentätern wie im Fall Aschaffenburg unter Druck. Da wirke sein Vorstoß wie eine „Bewerbung für die Jobsicherung“.

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