Hans-Dietrich Genscher über Autokraten:"Manchmal ballt sich die Hand zur Faust in der Tasche"

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Als Außenminister verhandelte Genscher mit vielen Despoten, um Kriege zu verhindern. Die Entwicklung seines Freundes Hosni Mubarak nennt der FDP-Politiker "schmerzhaft".

D. Brössler und S. Höll

Hans-Dietrich Genscher war von 1974 bis 1992 Außenminister. Der heute 83-Jährige lernte Hosni Mubarak bereits kennen, als dieser Vizepräsident wurde, die beiden verband eine freundschaftliche Beziehung. Bei dem Gespräch in seinem Haus bei Bonn zeigt Genscher auf die Terrasse - dort habe auch Mubarak schon gesessen.

Hatten ein "gutes menschliches Verhältnis": Ägyptens gestürzter Präsident Hosni Mubarak und der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (Archivbild aus dem Jahr 1980) (Foto: dpa)

SZ: Herr Genscher, denken Sie in diesen Tagen, wenn Sie die Bilder aus Ägypten sehen, an den Oktober 1981?

Genscher: Sehr oft. Damals war ich auf dem Weg von Peking nach Bonn. Der Pilot weckte mich und überbrachte mir die Meldung, dass Präsident Sadat ermordet worden sei. Ich bat ihn, eine Landeerlaubnis für Kairo zu beantragen. Die wurde abgelehnt. Der Flughafen sei gesperrt, es herrsche Ausnahmezustand. Ich rief den deutschen Botschafter an, damit er sich an Vizepräsident Mubarak wendet. Der genehmigte die Landung.

SZ: Sie kannten Mubarak schon?

Genscher: Ja, Sadat hatte sich Jahre zuvor an mich gewandt. Es gebe einen fähigen Mann, einen Luftwaffenoffizier, den er zum Vizepräsidenten machen wolle, der aber den Westen nicht kenne. Ob ich ihn einführen könne? Dieser Mann war Mubarak. Aus diesem Beginn und aus der Begegnung in jener Nacht in Kairo ergab sich ein gutes menschliches Verhältnis.

SZ: Hosni Mubarak empfing Sie daher als ersten ausländischen Politiker nach dem Attentat.

Genscher: Ja, ich fuhr durch die menschenleere Stadt zu seinem Privathaus. Seine Hand war verbunden. Mubarak hatte versucht, Sadat vor den Kugeln zu schützen, dabei war seine Hand durchschossen worden.

SZ: Was empfanden Sie nun beim Anblick Mubaraks zuletzt im Fernsehen?

Genscher: Ich sah jemanden, der die Lage in seinem Land nicht mehr richtig einschätzen konnte. Ägypten erlebt eine Revolution. Das Volk erhebt seine Stimme, will Freiheit und Demokratie auf friedliche Weise erreichen - so wie das 1989 in Europa der Fall war. Den Ruf nach Freiheit darf niemand überhören. Nicht in Ägypten und nirgendwo sonst.

SZ: Durchzuckt es Sie, wenn jemand, den Sie als Freund bezeichnen, Autokrat und Despot genannt wird?

Genscher: Es schmerzt, wenn ein hoffnungsvoller Anfang so endet. Er hatte die Friedenspolitik Sadats entschlossen weitergeführt und sich immer wieder auch um Frieden zwischen Israel und Palästinensern bemüht. Leider sind die Möglichkeiten, die Sadat und Mubarak für die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts geschaffen haben, nicht genutzt worden.

SZ: Die Lage der Menschenrechte in Ägypten hat Sie nicht so interessiert?

Genscher: Oh doch, aber hier sind wir an dem Punkt, an dem ich große Hoffnungen für Modernisierung, Öffnung und Demokratisierung in Mubarak gesetzt hatte. Die erste Frage war für mich immer: Wie kann man Krieg verhindern? Und die zweite war: Was kann ich von außen tun, um unsere Grundwerte zu verwirklichen? Beides geht nur mit Hilfe derer, die die Macht haben. Ich war aktiv beteiligt an der größten Menschenrechtsinitiative der Geschichte, nämlich der KSZE. Aber auch die kam nur mit den Unterschriften von Leonid Breschnew und Erich Honecker zustande.

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SZ: Sie haben mit vielen Despoten verhandelt. Fiel Ihnen das schwer?

Genscher: Manchmal ballt sich die Hand zur Faust in der Hosentasche.

SZ: Gute Kontakte zu Autokraten sind Voraussetzung für Außenpolitik?

Genscher: Natürlich, Gestaltungswille verlangt Gesprächsbereitschaft. Das gilt, wenn ich Atomwaffen abschaffen oder das Weltklima schützen will, wenn ich Menschen in Not und Verzweiflung helfen will.

SZ: Ist es heute schwieriger als in den Jahren Ihrer Amtszeit, die Aufgaben und Ziele von Außenpolitik zu beschreiben?

Genscher: Nein, in meiner Zeit als Außenminister von 1974 bis 1992 wurde die Lösung der deutschen Frage als die komplizierteste aller außenpolitischen Fragen angesehen, und das hinein bis in das Jahr 1990. Heute sind die Aufgaben natürlich andere: Wie kann ich eine Weltordnung schaffen, die überall als gerecht empfunden werden kann? Also eine Weltfriedensordnung.

SZ: Auch schwieri g, oder?

Genscher: In der Tat. Auch die anderen Teile der Welt wollen ihren Platz einnehmen. Es geht da um Länder wie China, Indien, Brasilien und da geht es um regionale Zusammenschlüsse, wie die Asean in Südostasien, wie um den Golfkooperationsrat, wie Mercosur in Lateinamerika und wie den Zusammenschluss der lateinamerikanischen Staaten. Globale Stabilität gibt es nur bei Anerkennung der Gleichberechtigung und der Ebenbürtigkeit.

SZ: Ist es für den Westen dennoch geboten, Demokratie in den Ländern einzufordern, die von autoritären Regimen regiert werden?

Genscher: Ja, das ist geboten. So, wie wir das mit Erfolg in der Vergangenheit in Europa getan haben. Natürlich sind politische Systeme auch von den kulturellen Erfahrungen und Traditionen eines Landes abhängig. Aber die Menschenrechte müssen überall gelten, auch die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte.

SZ: Sind alle Länder gleichermaßen fähig zur Demokratie? Manche sprechen das Ägypten ab.

Genscher: Das ist Ausdruck elitärer Arroganz. Seine Würde, das Verlangen nach Freiheit und Gerechtigkeit, ist jedem Menschen eingeboren. Wer die Reife dafür anderen Völkern abspricht, schafft Feindbilder und vergiftet Herzen und Hirne der Menschen. Dass die Demokratien sehr unterschiedlich gestaltet werden können, hängt mit ihrer Geschichte und mit ihrer Kultur zusammen.

SZ: Sie glauben also, dass einmal auf der ganzen Welt Demokratie herrschen kann?

Genscher: Ja, auch wenn das von Land zu Land anders aussehen kann.

© SZ vom 15.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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