Hans Dietrich-Genscher:"Das kann es doch noch nicht gewesen sein!"

Interview mit Hans-Dietrich Genscher

Hans-Dietrich Genscher in seinem Haus in Wachtberg im November 2014.

(Foto: picture alliance / AP Images)

Er imitiert täuschend echt Franz Josef Strauß, vermisst echte Europäer unter den heutigen Politikern und hat das Datum jeder Konferenz im Kopf, egal ob sie 20 oder 40 Jahre her ist. Ein Besuch bei Hans-Dietrich Genscher.

Von Thomas Bärnthaler und Rainer Stadler

Das Ost-West-Verhältnis ist seit Jahren angespannt, Europa droht an der Griechenland-Krise zu scheitern - schon im Januar fragten wir ein Interview bei Hans-Dietrich Genscher an, dessen Lebenswerk gerade in Gefahr war. Doch aus seinem Büro hieß es, der frühere Außenminister sei schwer erkrankt und müsse auf unbestimmte Zeit alle Termine absagen. Von Parteifreunden aus der FDP war zu hören, dass es nicht gut stehe um ihren langjährigen Vorsitzenden.

Umso überraschter waren wir, als der frühere Innenminister Gerhart Baum während eines Gesprächs im Juni bemerkte, er telefoniere wieder einmal die Woche mit ihm, es gehe ihm gut. Wenige Wochen später standen wir in Genschers Bungalow in Wachtberg-Pech bei Bonn, wo er seit Jahrzehnten mit seiner Frau Barbara lebt.

Wie wahrscheinlich die meisten hatten wir Genscher vor allem aus seiner Zeit als Außenminister in Erinnerung, er kam uns nun deutlich schmäler vor. Genscher leidet an einer schweren Herzkrankheit. Als er uns in sein Wohnzimmer führte, erklärte er uns sogleich, dass ihn die Ärzte Anfang des Jahres schon aufgegeben hatten. Auf unsere Frage, was ihm dabei durch den Kopf gegangen war, sagte der mittlerweile 88-jährige Genscher vergnügt: "Ich dachte mir: Das kann es doch noch nicht gewesen sein."

Genscher freue sich jeden Tag, "es bis hierher gebracht zu haben"

Anders als etwa Helmut Schmidt, der sich wiederholt über das beschwerliche Leben im Alter geäußert hatte, klagte Genscher nicht: Es erfreue ihn jeden Tage aufs Neue, "es bis hierher gebracht zu haben". Es folgten drei Stunden Gespräch über die mühsame Annäherung von Ost und West während des Kalten Kriegs, die großen Hoffnungen nach dem Fall der Mauer, und die ernüchternde Gegenwart - die Entfremdung von Russland und dem Westen, die Genscher große Sorgen macht.

Was uns erstaunte: Genscher wusste jedes Datum jeder Konferenz auf den Tag genau, egal ob sie vor 40 oder 20 Jahren stattgefunden hatte. Er habe schon immer ein sehr gutes Zahlengedächtnis gehabt, sagte er. Namen seien dagegen nicht seine Stärke gewesen, aber da hätten ihm seine Referenten auf die Sprünge geholfen.

Genscher bedauerte den Zustand Europas, es gebe heute kaum noch überzeugte Europäer unter den Politikern, dafür umso mehr "Ja-aber-Europäer", wie Genscher es formulierte. "Die muss man entlarven. Denn in Wirklichkeit sind es Anti-Europäer."

Ein talentierter Imitator von Franz Josef Strauß

Zwischendurch schimmerte immer wieder Genschers Sinn für Humor durch. Als wir ihn auf seine Begegnungen mit Franz Josef Strauß ansprachen, sprang er plötzlich aus seinem Sessel hoch und imitierte äußerst realistisch die wutschnaubende Stimme des früheren CSU-Chefs.

Zum Schluss kam Genscher auf seine Zeit als Innenminister von 1969 bis 1974 zu sprechen, die geprägt war von der Auseinandersetzung mit der Roten Armee Fraktion. Er zeigte auf die Grenze seines Grundstücks. Hinter der Gartenhecke sei damals ein Pärchen mit Hund gewandert, um seine Wohnung auszuspähen. Natürlich war Genscher ein Topziel für die Terroristen, seine Frau und seine Tochter hätten unter der Bedrohung besonders gelitten, sagte Genscher. Die Kehrseite seines erfüllten politischen Lebens ist ihm sehr bewusst: "Die Familien tragen die schwerste Last."

Warum Hans-Dietrich Genscher während seiner Zeit als Bundesminister stets eine Waffe bei sich trug, lesen Sie im großen Interview mit SZ Plus.

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