Hannover:TTIP-Demo: "Make Love, not Chlorhühnchen"

Einige zehntausend Menschen gehen in Hannover gegen TTIP auf die Straße. Aber ob das Obama nachhaltig beeindrucken wird?

Von Thomas Hahn, Hannover

Am Samstag um kurz vor zwölf steht ein Mann mit Signalweste in der Fußgängerzone von Hannover und ruft durch ein Megafon: "Der Opernplatz ist voll, kein Durchgang mehr." Am Ende der Straße sieht man schon, dass er recht hat, weil dort der Strom der Demonstranten stockt und ein bunter Stau aus Fahnen entstanden ist. Freundlich weist der Signalwesten-Mann auf die Umleitung hin.

Wenig später drückt man sich durch die dichte Menschenmenge, die sich vor der Bühne der Demonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA versammelt hat. Noch ein bisschen später verkünden die Veranstalter, dass die Züge nach Niedersachsen "rappelvoll" seien.

Als die Abschlusskundgebung läuft, zieht Christian Weßling, verantwortlich für die Organisation der Demonstration, zufrieden eine erste Bilanz. 90 000 Menschen hätten insgesamt teilgenommen an dem Protesttag vor dem Besuch von US-Präsident Barack Obama zur Eröffnung der Hannover-Messe: "Wir sind überwältigt, dass wir mit so vielen Menschen ein Signal setzen konnten."

Demonstration gegen TTIP und CETA

Zehntausende Menschen gingen in Hannover gegen TTIP auf die Straße - 90 000 laut Veranstalter, 35 000 laut Polizei.

(Foto: dpa)

Demonstranten misstrauen neuen Möglichkeiten für Großkonzerne

Schwer zu sagen, wie nachhaltig Obama dieses Signal beeindrucken wird. Er landet erst am Sonntagmittag auf dem Flughafen in Langenhagen, ehe er am Nachmittag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Schloss Herrenhausen über genau jenes USA-Europa-Abkommen spricht, gegen das sich die Demonstration in Hannovers City richtete. Außerdem sprach die Polizei nicht von 90 000, sondern von 35 000 Teilnehmern. Aber dass TTIP und dessen kanadisch-europäischer Vorläufer CETA bei vielen Menschen Ängste und Sorgen wecken, hat man auch als eingefleischter Freihandels-Verfechter einsehen müssen an diesem bewegten Frühlingssamstag in Hannover, der die Polizei nie vor ernsthafte Probleme stellte.

Das Volk, das da zusammenkam, war heiter gestimmt und friedlich. Allerdings war es auch fest entschlossen, seiner Anti-TTIP-Haltung Ausdruck zu verleihen. "TTIP nein danke", sagten die Banner, "Rettet die Demokratie", "Warum so geheim?", oder: "Make Love not Chlorhühnchen."

Die Menschen machten sehr deutlich, dass sie politischen Bemühungen misstrauen, die neue Möglichkeiten für Großkonzerne schaffen, mühsam erkämpfte Sozial- und Umweltstandards infrage stellen und private Schiedsgerichte als Alternative zu rechtsstaatlichen Strukturen verhandeln.

Pfiffe und Buhrufe für Merkel, Obama - und die SPD

Gegenteilige Meinungen akzeptierten die Demonstranten nicht. Schon Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, ein erklärter TTIP-Gegner, kassierte ein Konzert aus Buhrufen und Pfiffen, als er beim Parteien-Talk von den "roten Linien" der SPD-Politik sprach; die SPD mit Bundes-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gilt den TTIP-Gegnern als Regierungspartei, die viel zu wenige rote Linien in ihren Freihandels-Positionen eingebaut hat. Konservative Politiker kamen gar nicht zu Wort.

Und lautes Missfallen weckte bei den Demonstranten ein Plakat, welches die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft an einer Häuserfront in der Stadt am Rande der fünf Kilometer langen Demonstrations-Route angebracht hatte. Die Konterfeis von Merkel und Obama waren darauf, darunter prangte der Slogan: "TTIP is Hope." Wieder pfiffen und buhten die Freihandels-Gegner, als sie daran mit ihren Fahnen vorbeimarschierten. Applaus gab es dafür ein paar hundert Meter später. Dort hatten Steilwand-Kletterer von Greenpeace eine Hausfassade mit einem Hoffnungsappell geschmückt, der besser zum Protestprogramm passte. "Yes we can stop TTIP!", stand auf deren Banner.

Auch TTIP-Gegner sind sich uneins

Das Bündnis der Protestierenden war breit, es umfasste politische Parteien, Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Globalisierungsgegner, Friedensbewegte. Viele Redner waren darum bemüht, nicht nur Parolen zu brüllen, sondern dem Ernst der Debatte Raum zu geben. Hubert Weiger zum Beispiel, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), sagte: "Unser Kampf ist kein Kampf gegen Handel, es ist ein Kampf gegen einen Handel, der nicht fair ist." Außerdem: "Es geht nicht gegen die USA." Es gehe um eine Wirtschaftsspolitik, die bestehende Standards nicht aufweiche, sondern zu einem menschen- und umweltvertäglichen Ganzen zusammenbinde.

Aber man erlebte auch, dass sich selbst die TTIP-Gegner nicht immer einig sein können. Tobias Pflüger, stellvertretender Parteivorsitzender der Linken, spielte darauf an, dass Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann "dem Abkommen zustimmen" wolle. Da wetterte Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen, auf offener Bühne zurück: "Ich finde das unfair, dass das für Populismus genutzt wird." TTIP stoppen zu wollen, sei "ganz klare Beschlusslage" bei den Grünen: "Wir stehen zu unserem Wort, liebe Freundinnen und Freunde."

Wegen des großen Andrangs endete die Demonstration mit etwas Verspätung am späten Nachmittag. Die Abreise der Demonstranten laufe "flüssig", meldete die Polizei. Und zurück blieben die Eindrücke von einem Fest des Widerstands, das keinen bekennenden Demokraten kalt lassen konnte.

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