Süddeutsche Zeitung

NPD-Aufmarsch in Hannover:Übertönt von der Gegendemonstration

  • Mehr als 8000 Menschen demonstrieren in Hannover gegen Bedrohungen von Journalisten durch Rechtsextremisten sowie für die Pressefreiheit.
  • Die NPD hatte um die hundert Menschen versammelt, die an einen früheren SS-Unterscharführer erinnern und drei Journalisten öffentlich an den Pranger stellen.
  • Die Demonstrationen verliefen nach Polizeiangaben bis zum Abschluss weitgehend friedlich.

Von Peter Burghardt, Hannover

Hannovers neuer Oberbürgermeister hatte sich den Anlass seines ersten großen Auftritts anders vorgestellt, aber nun steht Belit Onay vor dieser Menschenmenge. Erst seit Freitag ist der Grünen-Politiker im Amt, jetzt spricht er an diesem grauen Samstag auf einer Bühne für Pressefreiheit und gegen Neonazis, die sich ein Stück weiter treffen. "Wir sind bunt statt braun", ruft Onay, das ist das Motto dieser Gegendemo, die zuvor durch die Stadt gezogen war. "Und das Wichtigste: Wir sind mehr!" Mehr als 8000 Menschen hören ihm zu. Es sind so viele, dass man den Auslöser dieser Kundgebung fast vergessen könnte.

Die NPD versammelt einige Straßen weiter um die hundert Menschen, "dieser kleine verstrahlte Haufen", sagt ein anderer Gegenredner. Doch der Aufmarsch einiger Rechtsextremer gegen namentlich genannte Journalisten ruft eine enorme Reaktion und einen gewaltigen Polizeieinsatz auf den Plan. Die Menge an Polizisten und Mannschaftswagen, dazu Hubschrauber und Wasserwerfer - das Aufgebot erinnert ein wenig an G 20 vor zwei Jahren in Hamburg, die Südstadt ist weiträumig abgeriegelt. Nicht nur die zuständige Polizeidirektion hätte diese Demo einer verfassungsfeindlichen Kleinpartei gegen Reporter und für einen SS-Mann gerne verboten.

Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht waren am Freitag anderer Meinung gewesen, das Verbot wurde trotz der Sicherheitsbedenken gekippt. Obwohl auf Flyern für die NPD-Versammlung sogar von Rache die Rede war und mehrere der attackierten Berichterstatter immer wieder bedroht werden. "Da wird eine Grenze überschritten, wieder einmal", sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) bei seinem Vortrag vor den Gegendemonstranten. Doch er ärgere sich lieber über eine Gerichtsentscheidung als Gerichte zu haben, "die von Staatspräsidenten gelenkt werden".

Auch Pistorius lobt das "starke Signal", dass hier alle zusammenstünden "gegen Hetzer, Faschisten, Menschenfeinde und Verfassungsfeinde". Auch er hält einen leidenschaftlichen Appell für Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, verlangt mehr Einsatz für die Demokratie, "das Problem der Rechtsextremen wird nicht kleiner, wenn man nicht darüber spricht. Es wird größer." Der evangelische Stadtsuperintendent Thomas Höflich erzählt anschließend, dass sogar die Kirche tags zuvor noch zwei Drohmails bekomme habe, wonach auch "die Kirche dran wäre, wenn wir hier auftreten". Höflich sagt: "Wir treten hier auf. Wir sind hier." Und dann sprechen auch drei jener Journalisten, die von der NPD öffentlich an den Pranger gestellt werden.

Einer von ihnen bedankt sich für die beeindruckende Solidarität, die ja sogar noch über diese Gegenkundgebung hinaus geht. Etliche Medienmacher, Redaktionen, Verbände und andere Unterstützer hatten einen gemeinsamen Aufruf verfasst. "Sonst wären wir allein und würden uns ohnmächtig fühlen", sagt ein Reporter, der seit Jahren in der rechtsextremen Szene recherchiert. "So nicht." Er berichtet von Drohungen, von Schlägen und davon, dass er mit dem Auto abgedrängt worden sei. "Die Demo", vermutet er, "wird bestimmt nicht das Letzte sein, was die Nazis gegen uns machen."

Die NPD macht kurz danach Station am Maschsee, beim Funkhaus des NDR, an dem ein Plakat an Artikel 5 des Grundgesetzes und die Pressefreiheit erinnert. Die NPD dagegen erinnert an den früheren SS-Unterscharführer Karl M., der am SS-Massaker 1944 im französischen Dorf Ascq beteiligt gewesen war und 2018 von einem NDR-Reporter für die Sendung "Panorama" zu den Verbrechen interviewt worden war. Diesen NDR-Reporter will die NPD "in die Schranken weisen", so ihr Motto. "Gerechtigkeit für Karl!", steht auf einem NPD-Transparent samt Foto von Karl M. in Uniform, er verstarb vor wenigen Monaten. Ein NPD-Mann verliest Namen von Journalisten, es sind mutige Rechercheure, in rechtsextremen Kreisen verhasst. "Mein Appell an euch - lasst es verdammt noch mal bleiben", sagt er. "Eure Namen, eure Gesichter" kenne man "genau", eine weitere unverhohlene Drohung. Auch angesichts von Beleidigungen wird über polizeiliche Ermittlungen nachgedacht.

Verstehen kann man die Worte der NPD-Leute nur, wenn man sich ihnen sehr nähert, was außer den zahlreichen Polizisten nur Journalisten mit Ausweis dürfen. Ansonsten ist ein kreisender Helikopter lauter, und die Straßen der Umgebung sind abgeriegelt und leer, ein gespenstisches Ambiente. Ein paar Rangeleien und Festnahmen gibt es auch, verhaftet werden nur ein paar linke Aktivisten. "Wir stehen an eurer Seite", sagt Bürgermeister Onay auf Hannovers Aegidientorplatz zu den Journalisten. In dieser Stadt sei kein Platz für Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. "Es ist bitter, dass man das immer wieder wiederholen muss", aber es würden "auf immer aggressivere Weise Menschen eingeschüchtert." Der kürzlich gewählte OB vertritt eine offene Gesellschaft, die weit in der Überzahl ist. "Was wir nicht haben wollen, das ist die rechte Hetze von NPD und sonst wo."

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