Hannelore Kraft und der SPD-Mitgliederentscheid:Überzeugen, ohne überzeugt zu sein

Hannelore Kraft und der SPD-Mitgliederentscheid: Hannelore Kraft (SPD) während der Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU

Hannelore Kraft (SPD) während der Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU

(Foto: Imago Stock&People)

Hannelore Kraft galt lange als Gegnerin von Schwarz-Rot, jetzt ist sie überzeugte Großkoalitionärin. Sie muss die SPD-Mitglieder von den Bäumen holen, auf die sie vor der CDU geflüchtet sind. Vor allem jedoch muss sie ihre wundersame Wandlung erklären.

Von Bernd Dörries, Düsseldorf

Fußballspieler machen das schon immer so, nach verlorenen Partien halten sie ihr Handy ans Ohr oder drücken wild darauf herum, während sie an den wartenden Journalisten vorbeilaufen. Damit auch ja keiner eine Frage stellt. Am Mittwochabend bekommt Norbert Römer offenbar gerade die wichtigste SMS seines Lebens, so konzentriert schaut er auf seinen Bildschirm, während er an einer Horde Journalisten im Düsseldorfer Landtag vorbeiläuft, ein paar Schritte schneller, als er hätte rennen müssen.

Römer ist Fraktionschef der SPD im Düsseldorfer Landtag und war vor einigen Wochen dadurch bundesweit bekannt geworden, dass er eine Koalition mit den Christdemokraten kategorisch ausgeschlossen hatte: "Das haben wir 2010 in NRW abgelehnt und das wird es auch 2013 im Bund nicht geben. Das muss allen klar sein." Jetzt sagt er lieber gar nichts mehr.

Ein paar Meter weiter sitzt Hannelore Kraft im Fraktionssaal der SPD und erklärt, warum sie nicht sonderlich euphorisch wirke: wenig Schlaf, lange Verhandlungen in Berlin. Kraft hatte sich damals etwas cleverer angestellt, zwar gesagt, dass die große Koalition nur die letzte Lösung sein könne - sich aber noch ein Hintertürchen offen gehalten. "Es ist viel Gutes drin in diesem Koalitionsvertrag", sagt Hannelore Kraft nun. Die SPD habe ein Ergebnis erzielt, das sie "aus tiefer Überzeugung den Mitgliedern zur Annahme empfehlen kann". Ihr Gesicht sagt eher das Gegenteil. Es kann anstrengend sein, sich selbst von etwas zu überzeugen, von dem man wohl nicht wirklich überzeugt ist.

Offenheit hinter verschlossenen Türen

Hannelore Kraft war in den vergangenen Wochen das Symbol für den sozialdemokratischen Widerstand gegen die große Koalition. Jetzt muss sie den größten Landesverband der Partei von eben diesem Projekt überzeugen. Ein interessantes Experiment, das die SPD in Nordrhein-Westfalen lieber hinter geschlossene Türen verlegt. Anders als die meisten anderen Landesverbände ist bei den Regionalkonferenzen an Rhein und Ruhr keine Presse erwünscht. Die Mitglieder wollten lieber "hinter verschlossenen Türen und in aller Offenheit" diskutieren, sagt Kraft.

Auch sie wird wohl gespannt sein, wie viel Offenheit ihr entgegenschlägt, wie viel Verbitterung über eine Koalition, die vor allem im Ruhrgebiet niemand will. Am Sonntag ist der erste Termin in Kamen. Sie muss ihre wundersame Wandlung erklären. "Ich war skeptisch, insbesondere vor der Sondierung. Nach der Sondierung habe ich klar gesagt, ich sehe Chancen, um diese Verbesserungen erreichen zu können." Jetzt ist sie überzeugte Großkoalitionärin, die ihre Mitglieder wieder runterholen muss von den Bäumen, auf die sie vor der CDU geflüchtet waren.

Kraft lobt den Mindestlohn, der zwar nicht sofort kommt, der aber zusammen mit der Solidarrente die richtige Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage sei. Die Energiewende werde so weitergeführt, dass weder Industrie noch Umwelt Schaden nehmen würden. Es gebe Milliarden für die Bildung und die armen Kommunen, sagt Kraft. Sie geht jetzt einfach die ganze Liste durch, von der Frauenquote, dem Mietrecht bis zum Tanztheater Pina Bausch und dem Bonner Beethoven-Jahr, das auch von den Segnungen der großen Koalition profitieren würde. Nur Gewinner also? "Wir mussten Zugeständnisse machen, man kann nicht überall als Sieger vom Platz gehen", sagt Kraft. Beim Thema Staatsbürgerschaft habe sie mehr erwartet.

Bis Mitte Dezember können die Mitglieder in Nordrhein-Westfalen entscheiden, ob sie von den Koalitionsverhandlungen und von Kraft mehr erwartet hätten. Die sagt, sie sei "frohgemut" und "sehr zuversichtlich" - will das aber lieber "nicht in einer Prozentzahl ausdrücken". Draußen hat mittlerweile auch Norbert Römer die Kurve einigermaßen gekriegt, vom Widerstandskämpfer zum Großkoalitionär: Er sehe nun doch "Chancen, die nicht so ohne Weiteres an die Seite geschoben werden können". Na dann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: