Süddeutsche Zeitung

NS-Prozesse:Erfolgreiche Wundertüte

Hannah Arendts Prozessbericht "Eichmann in Jerusalem" löste 1963 einen Eklat aus. Werner Renz erklärt, wie der Bericht zustande kam und was die Überlebenden des Holocaust so sehr daran erzürnte.

Von Robert Probst

"Ich war wirklich der Meinung, dass der Eichmann ein Hanswurst ist." Dieser Satz und der Hinweis, wie oft sie laut gelacht habe bei der Lektüre des Polizeiverhörs, geäußert in einem Interview mit Günter Gaus, beschreibt recht treffend, welche Sprengkraft der Gerichtsbericht von Hannah Arendt über den Eichmann-Prozess einst hatte. "Diese Reaktion nehmen mir die Leute übel! Dagegen kann ich nichts machen", fuhr Arendt recht lapidar fort in dem Interview.

Was sie da geschrieben und was sie dabei falsch gemacht hatte, darüber ist seit der Erstpublikation 1963 viel diskutiert, gestritten und auch publiziert worden. Werner Renz, einst Mitarbeiter am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt und mit Büchern über den Auschwitz-Prozess bekannt geworden, hat nun die verdienstvolle Arbeit übernommen, die Kontroverse von einst in einer kleinen Abhandlung präzise nachzuzeichnen und einzuordnen. Von Bedeutung ist die Analyse vor allem deshalb, weil das geflügelte Wort von der "Banalität des Bösen" ja auch heute noch immer eine große Rolle spielt - hie und da, ohne dass die, die es im Munde führen, genau über die Entstehung Bescheid wissen.

"Erstaunlich unwillig"

Renz macht schnell klar, warum die Lektüre von "Eichmann in Jerusalem" so verstörend wirken konnte. Es lag einerseits daran, dass Arendt recht selektiv mit Quellen umging, dass sie viele Tage des Prozesses gar nicht anwesend war, dass sie Eichmanns Aussagen fast nicht live, sondern nur aus dem Polizeiverhör kannte, kurzum, dass sie eine "erstaunlich unwillige Gerichtsreporterin" war.

Problematischer aber waren ihre grundsätzliche Ablehnung des Ben-Gurion-Staats, ihre herablassende Art, die Anklagevertreter und ihr Auftreten negativ zu beurteilen ("Schau-Prozeß"), und besonders die von ihr weitgehend missverstandene Rolle der "Judenräte" in den Ghettos, denen sie nicht weniger als eine Mitschuld am Holocaust zuwies. Dies trug ihr erhebliche Vorwürfe von Seiten der Überlebenden und jüdischer Verbände ein, die Arendt vorhielten, die Schuld der deutschen Täter dadurch zu relativieren. Wenngleich die historische Rolle der "Judenräte" erst später genauer erforscht wurde, war es natürlich zu einfach für die jüdische Politologin, die Vorwürfe als "Hysterie" und "großes Geschrei" abzutun.

Was Arendt genau unter der "Banalität des Bösen" verstand, wie sie ihr bisheriges Bild vom Bösen revidierte und wo sie allerdings auch Eichmanns Selbstdarstellung "auf den Leim" ging, erklärt Renz ausführlich anhand der Quellen. Ebenso, warum sich Arendt eines derart distanzierten, ironischen, manchmal sarkastischen Schreibstils bediente. Und warum war der Bericht in Deutschland so erfolgreich? Weil jeder aus dieser "Wundertüte" (Renz) ziehen konnte, was ihm gerade in den Kram passte.

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