Süddeutsche Zeitung

Handy-Affäre:Warum die US-Botschaft ein Spionagezentrum sein könnte

Als Diplomaten getarnte Agenten: US-Geheimdienste unterhalten offenbar ein eigenes Abhörprogramm für Konsulate und Botschaften. Der "Special Collection Service" ist so geheim, dass womöglich nicht einmal die Botschaftsangehörigen wissen, wer vor Ort für ihn arbeitet.

Von John Goetz, Hans Leyendecker und Frederik Obermaier

Die US-Botschaft zu Berlin ist vier Etagen hoch. Besucher haben einen herrlichen Blick über den Tiergarten, das Brandenburger Tor und den Reichstag. Ungewöhnlich ist die Glaskonstruktion auf dem Dach, die, von oben betrachtet, wie ein gerade gelandetes Ufo aussieht. Was drinnen, unter dem Glas passiert, interessiert zunehmend die Bundesregierung. Es gibt den Verdacht, dass in dem streng abgesicherten Gebäude Abhöreinrichtungen installiert sind und dass von dort aus amerikanische Agenten andere Botschaften in Berlin, Ministerien und möglicherweise auch das Kanzleramt ausspionieren. Das wäre klassische Spionage. Gegen ein befreundetes Land.

Gerüchte, dass die Amerikaner in Deutschland spionieren, gab es schon immer. Aber jetzt ist der Verdacht massiv: Aus Unterlagen des Whistleblowers Edward Snowden soll hervorgehen, dass die Bundeskanzlerin - zeitweise zumindest - von Lauschern abgehört wurde, die in der neuen US-Botschaft am Pariser Platz 2 arbeiten.

Bekannt war, dass US-Agenten systematisch seit Jahren die Vereinten Nationen in New York oder Institutionen wie die EU oder die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) abhörten oder die Botschaften anderer Länder verwanzt oder interne Kabel angezapft hatten. Die Lauschaktionen lösten immer wieder kleinere Skandale aus und wurden dann wieder rasch vergessen.

Eigene Abhörprogramme in Botschaften

Aus Unterlagen Snowdens geht hervor, dass die amerikanischen Dienste weltweit in Botschaften und Konsulaten ein eigenes Abhörprogramm unterhalten, das "Special Collection Service" (SCS) heißt. CIA und NSA arbeiten dabei traditionell eng zusammen. Der SCS wurde angeblich schon in den Siebzigerjahren gegründet. Der Whistleblower Mike Frost berichtete bereits 1994 in seinem Buch "Spyworld" über das Projekt, das in den Anfängen noch "College Park" hieß - nach einem Kleinstädtchen vor den Toren Washingtons im US-Bundesstaat Maryland.

Die Agenten sind als Diplomaten getarnt. Es ist üblich, dass sich die amerikanischen Agenten der vielen US-Dienste in Deutschland anmelden. Sie nehmen auch an Treffen mit deutschen Nachrichtendienstlern teil. In Berlin-Treptow kommen regelmäßig Staatsschützer zu einem Informationsaustausch zusammen. Amerikanische Agenten sind meist dabei. Sie sind Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Der Einsatz von SCS-Teams in Deutschland soll der Bundesregierung und den deutschen Nachrichtendiensten indes nicht bekannt gewesen sein. Möglicherweise wissen selbst viele amerikanische Botschaftsangehörige nicht, wer vor Ort für SCS arbeitet.

Wie die Amerikaner lauschen, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab. Im Geheimdienst-Jargon werden die nötigen Gerätschaften verharmlosend "interne Sammelsysteme" genannt. Wie der Spiegel vor einigen Wochen berichtete, könnten sich solche "Sammelsysteme" ausweislich der Snowden-Unterlagen unter den Dachaufbauten von Botschaftsgebäuden befinden. Die streng geheimen Aktionen hätten intern den Codenamen "Stateroom" - je nach Übersetzung Prunkzimmer oder Privatgemach.

Polizeihubschrauber über der US-Botschaft

Der Verdacht, dass die US-Botschaft in Berlin vermutlich auch als Spionagezentrale genutzt wird, ist relativ frisch. Schon vor vielen Jahren gab es Hinweise, dass im Frankfurter US-Konsulat amerikanische Lauscher ihren Dienst tun. Die Hinweise wurden meist ignoriert.

Ende August dann, als die ersten Snowden-Enthüllungen für Aufsehen sorgen, überflog ein Hubschrauber der Bundespolizei demonstrativ das US-Konsulat in Frankfurt und schoss hochauflösende Fotos vom Dach. Spezialisten sollten herausfinden, ob Abhörtechnik sichtbar ist. Die notwendigen Antennen oder Schüsseln wurden nicht entdeckt. Sie sind vielleicht unter dem Dach versteckt.

Ein Hubschrauber macht angeblich einen Routineflug und der Flug steht dann in der Zeitung. Das war damals noch eine Demonstration deutscher Sicherheitsbehörden, eine Warnung, mehr nicht. Bemerkenswert war an dem eher symbolischen Flug, dass sich danach ein hochrangiger amerikanischer Diplomat über das Misstrauen der Deutschen beim Auswärtigen Amt beschwerte. Heuchelei und Frechheit gehören zum Instrumentarium von Diplomaten.

Wenn sich der dringende Verdacht beweisen lässt, was sind dann die Folgen? Vor drei Jahren wurde gegen US-Diplomaten in Oslo, Kopenhagen und Stockholm ermittelt. Eine US-Sonderabteilung namens "Surveillance Detection Unit", so der Verdacht, sollte Bürger ausgespäht haben. Damals schon gab es das Gerücht, eine solche SDU sei auch in Berlin tätig. Ermittlungen in der deutschen Hauptstadt gab es jedoch nicht.

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SZ vom 25.10.2013/sebi
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