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Einigung im Handelsstreit:Für Poltergeist Trump war Juncker genau der Richtige

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Manchen Wegbegleiter hat der alte Haudegen der europäischen Politik zuletzt an den Rand des Wahnsinns getrieben. Für die Verhandlungen mit Trump war Juncker genau richtig.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, New York

Wenn man es vom Ende her betrachtet, dann muss man wohl sagen: Alles noch einmal gut gegangen. Europäer und Amerikaner haben einen Handelskrieg in letzter Minute abgewendet und der Welt damit politisches Chaos, eine selbstverschuldete Rezession und Freudenfeuer im Kreml erspart.

Beide Seiten können sich nun daranmachen, das globale Handelsregime so zu reformieren, dass es Wachstum fördert, den Menschen dient, wirtschaftliche Ungleichgewichte verringert und die Verbreitung neuer Technologien ebenso vorantreibt wie reguliert. Und sie können eine einheitliche Position gegenüber China entwickeln, einem Land, dessen wirtschaftlicher Aufstieg zwar Bewunderung verdient, aber auch auf Produktpiraterie, Technologieklau und Handelstricks fußt.

Der Dank für die überraschende Einigung von Washington gebührt Jean-Claude Juncker, dem alten Haudegen der europäischen Politik, der manchen Wegbegleiter mit demonstrativer Amtsmüdigkeit und seiner Leck-mich-Haltung zuletzt an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Für die Verhandlungen mit Donald Trump, dem halbstarken Poltergeist der Weltpolitik, aber war er genau der Richtige: nicht so zurückhaltend-unergründlich wie Merkel, nicht so konformistisch-aggressiv wie Macron. Die Mischung aus Schnoddrigkeit und Kumpelhaftigkeit, die der EU-Kommissionschef so bravourös beherrscht, imponierte Trump. Außerdem hatte der gewiefte Verhandler Juncker einen Plan im Gepäck, der beiden Seiten Zugeständnisse abverlangte, ohne dass einer sein Gesicht verliert.

Alle hätten einen Preis bezahlt, wäre der Konflikt eskaliert

Wenn jetzt im Ergebnis die Zölle sinken statt zu steigen, ist das für Europa wie für die USA eine gute Sache. Handel ist, wenn er richtig reguliert wird, ein Geschäft zum allseitigen Nutzen - und zwar nicht nur für "die Konzerne", sondern auch für Arbeitnehmer und Verbraucher. Sie alle hätten dementsprechend einen Preis bezahlt, wäre der Konflikt zwischen den USA und Europa eskaliert.

Zum Kompromiss beigetragen hat auch, dass Juncker zum richtigen Zeitpunkt in Washington war. Der Druck auf Trump nämlich, den Zollstreit mit Europa nicht vollends eskalieren zu lassen, hatte zuletzt auch in den USA und, mehr noch, innerhalb der Republikanischen Partei massiv zugenommen. Dabei schimpften keineswegs nur jene Senatoren und Abgeordnete, denen es aus Sicht Trumps ohnehin an Ergebenheit mangelt und die der Präsident deshalb abwechselnd als Weichlinge oder Verräter brandmarkt. Nein, es waren mächtige Mitglieder des Partei-Establishments, die ihm bedeuteten, dass er es weit genug getrieben habe, darunter der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, und mehrere einflussreiche Senatoren. Das zeigt, dass Trump gegenüber Druck von außen keineswegs so immun ist, wie er in seiner ganzen Großkotzigkeit immer tut.

Und doch, der Kompromiss hat auch seine Schattenseite: Der Präsident wird sich in seiner Einschätzung bestätigt fühlen, dass man einem Verhandlungs-"Partner" nur lange genug die Pistole an die Schläfe halten muss, um ihn zu Zugeständnissen, zumindest aber zu Gesprächen zu bewegen. Er wird diese Methode somit auch in Zukunft anwenden - auch gegenüber Europa.

Trumps Verhandlungspartner müssen lernen, auch seine Twitter-Tiraden ernst zu nehmen

Daran ist die EU in gewisser Weise mit schuldig: Sie nahm Trump zuerst nicht ernst und hatte dann, als der Konflikt eskalierte, keine Strategie. Die Verantwortlichen in Brüssel, Berlin, Paris und anderswo in Europa müssen endlich lernen, dass man den US-Präsidenten zwar aus gutem Grund für einen rüpelhaften, frauenfeindlichen, unsteten Hallodri halten kann. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Hallodri sowohl an seine eigene Großartigkeit, als auch an die Mär vom gemeinen, ausgerechnet die USA so sehr benachteiligenden Welthandelssystem glaubt.

Darauf müssen sich Verhandlungspartner einstellen: indem sie seine Twitter-Tiraden für bare Münze nehmen, ihm entgegenkommen, wo er einen Punkt hat, und unerbittliche Entschlossenheit demonstrieren, wo immer er Nonsens redet oder verlangt. Das alles ist anstrengend und nervig und undankbar. Es ist aber auch, um ein Wort der Kanzlerin zu verwenden, alternativlos.

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