Dem fertig ausgehandelten Handelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) sollen nun doch auch die Parlamente der Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Das empfahl am Dienstag überraschend die Europäische Kommission, deren Präsident Jean-Claude Juncker vor einer Woche genau das Gegenteil befürwortet hatte. Junckers Ankündigung hatte heftigen Protest aus den Mitgliedstaaten hervorgerufen: Gerade nach dem Warnschuss durch das britische Referendum dürfe man die überwiegend Ceta-kritische Öffentlichkeit nicht ausschließen. Der Protest hat die Brüsseler Behörde offenbar zur Umkehr bewogen. Für Ceta könnte dies allerdings das Ende bedeuten, was auch das geplante Handelsabkommen mit den USA (TTIP) infrage stellen würde.
Über die Entscheidung wurde dem Vernehmen nach in der Kommission lebhaft diskutiert. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström erklärte, das Kollegium sei, gestützt auf ein Gutachten des Rechtsdiensts, noch immer der Ansicht, dass es sich um eine reine EU-Angelegenheit handle. Angesichts der unterschiedlichen Meinungen in den Mitgliedstaaten wolle man Ceta aber als "gemischtes Abkommen" ansehen. Auf diese Weise könne man "schnell vorangehen" und Teile des Abkommens vorläufig in Kraft treten lassen, sobald die Brüsseler Institutionen, also der Rat der Mitgliedstaaten und das Europaparlament, zugestimmt hätten.
Ein solches Vorgehen ist bei Handelsabkommen üblich. Die Kommission setzt aber offenbar darauf, dass die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente noch juristisch gestoppt werden könnte. Laut Malmström erhofft sich die Behörde mehr Klarheit vom Europäischen Gerichtshof, der Ende des Jahres über ein Handelsabkommen der EU mit Singapur entscheidet und dabei wohl auch grundsätzlich zur Ratifizierung solcher Abkommen Stellung beziehen wird. Der EuGH entscheide "allein auf der Basis des Rechts", sagte Malmström, eventuell könnten sich die nationalen Abstimmungen dann erübrigen.
Die Europäische Kommission mache das einzig Richtige, sie gebe die Debatte frei
Für den Handel ist laut den Verträgen allein die EU zuständig. Bei "reinen" Handelsabkommen würde es daher reichen, wenn die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit sowie anschließend das Europäische Parlament zustimmen. Wird in einem Abkommen aber noch anderes geregelt, bei Ceta geht es auch um Arbeitsstandards, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, müssen die nationalen sowie mehrere regionale Parlamente gefragt werden. Einige Kammern haben ihre Ablehnung schon deutlich gemacht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angekündigt, auf jeden Fall den Bundestag mit der Entscheidung zu befassen. Dort ist dem Abkommen eine Mehrheit sicher. Nach Ansicht von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) müsste daneben aber auch der Bundesrat zustimmen. Damit würde eine deutsche Zustimmung unwahrscheinlich, da in zehn der 16 Bundesländer die Grünen mitregieren, die Ceta ablehnen. Gabriel begrüßte die Entscheidung der Kommission am Dienstag. Gleichzeitig verteidigte er das Abkommen als "gut und wichtig". Junckers ursprünglichen Plan hatte der Minister als "unglaublich töricht" bezeichnet.
Die Grünen werteten das Einlenken der Kommission als "Erfolg für die Zivilgesellschaft", die über Jahre Druck ausgeübt habe. "Das Versteckspiel hat ein Ende", erklärte die EU-Abgeordnete Ska Keller. Die Kommission mache das einzig Richtige, sie gebe die Debatte um Ceta frei. Kritisch äußerte sich hingegen die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Dass Ceta schon vorläufig angewendet werden solle, ohne die nationale Zustimmung abzuwarten, sei "verfassungsrechtlich fraglich und demokratiepolitisch ein Skandal", so Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode.
Malmström warb eindringlich für Ceta. Es sei das "bisher wohl ambitionierteste Handelsabkommen überhaupt", schließlich würden dadurch fast 100 Prozent der Zölle zwischen der EU und Kanada wegfallen. "Das bedeutet mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze."