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Handelsabkommen Ceta:Juristischer Dauerbrenner

Das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada wurde 2016 vorläufig abgeschlossen. Aber noch immer muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine endgültige Zustimmung erteilen. In dem Verfahren stecken durchaus heikle Fragen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war nur eine Ouvertüre, aber für die Linksfraktion im Bundestag fiel sie ziemlich unharmonisch aus. Die Linke hatte gegen das Freihandelsabkommen Ceta geklagt, diesen sehr weitreichenden Vertrag zur Beseitigung der Zollschranken zwischen der EU und Kanada. Hunderttausende waren dagegen vor vier Jahren auf die Straße gegangen, weil sie damit eine einseitige Bevorzugung von Investoren kommen sahen sowie eine Absenkung von Arbeits-, Umwelt- oder Sozialstandards. Darüber wird das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich im kommenden Jahr zu Gericht sitzen, und in dem Verfahren stecken durchaus heikle Fragen, die der Zweite Senat mit seinem für Europafragen zuständigen Berichterstatter Peter Michael Huber normalerweise mit EU-skeptischer Verve angeht - Stichwort Kompetenzüberschreitung. An diesem Dienstag ging es aber um eine Vorfrage: Wie konkret muss der Bundestag entscheiden, bevor so ein Abkommen, wie international üblich, vorläufig angewandt wird?

Es geht also um demokratische Beteiligung in der Frühphase solcher Verträge. Am Ende steht ohnehin die Ratifizierung durch das Parlament, die derzeit freilich noch nicht in Sicht ist, auch wegen des Karlsruher Verfahrens. Der Bundestag hatte seine Position zu Ceta in einer Stellungnahme vom 22. September 2016 deutlich gemacht, also wenige Wochen vor der Abstimmung im Rat der EU. Solange Ceta nur vorläufig angewendet werde, dürften "keinesfalls" diejenigen Teile des Abkommens aktiviert werden, die nationalstaatliche Kompetenzen umfassten, heißt es dort. Das soll vor allem für den Investitionsschutz gelten, also den Teil, den Kritiker als kapitalistisches Einfallstor für die Privilegierung von Unternehmen sehen.

Seit drei Jahren werde Ceta ohne Gesetz vorläufig angewandt, moniert die Linke

Damit wollte der Bundestag dafür Sorge tragen, dass das Abkommen nicht einfach Fakten schafft, über die Köpfe der deutschen Volksvertreter hinweg. Aus Sicht der Linken ist freilich genau dies geschehen. Das Abkommen überschreite auch in der vorläufigen Form die Zuständigkeiten der EU, und der Bundestag hätte dagegen per Gesetz Vorkehrungen treffen müssen. Seit nunmehr drei Jahren werde Ceta angewandt, ohne dass es dazu ein deutsches Gesetz gebe, kritisierte die Abgeordnete Amira Mohamed Ali. Darin hätte aus Sicht von Andreas Fischer-Lescano, juristischer Bevollmächtigter der Fraktion, das stehen müssen, was das Verfassungsgericht kurz darauf in einer Eilentscheidung nachlieferte. Die Richter machten damals den Weg für Ceta frei, hoben aber hervor, dass diverse Materien davon ausgenommen sein müssten, wie die Anerkennung von Berufsqualifikationen, der Arbeitsschutz - und eben der Investitionsschutz, einschließlich eines eigenen Ceta-Gerichts.

Nun hatte sich der Bundestag 2015 und 2016 sehr häufig mit Ceta befasst; Huber hatte zum Auftakt der Verhandlungen all die Stationen der parlamentarischen Befassung aufgezählt. Aus Sicht des Bundestags, vertreten durch Ulrich Hufeld, ist dies genau jene "informierte Mitwirkung" des Parlaments, die das Grundgesetz vorsieht. Nach den Worten der Wirtschafts-Staatssekretärin Elisabeth Winkelmeier-Becker darf die Regierung nicht mit Anforderungen überfrachtet werden, wenn sie international glaubwürdig bleiben will. Ceta sei ein "Leuchtturmprojekt des europäischen Handels". Der Bielefelder Professor Franz Mayer, Vertreter der Bundesregierung, wurde deutlicher. Diese Frühphase eines Abkommens mit einem Gesetz zu flankieren, "das macht sonst niemand in Europa".

Das Gericht scheint dies ähnlich zu sehen. Was genau hätte überhaupt in so einem Gesetz stehen sollen? Warum soll eine so klare Stellungnahme nicht genügen? Steht nicht die Regierung selbst in der Verantwortung, über nationale Zuständigkeiten zu wachen? Die Mitglieder des Zweiten Senats nahmen Fischer-Lescano in die Mangel, als hätte er noch einmal das Staatsexamen zu bestehen. Und womöglich scheitert die Klage schon an einem anderen Punkt. Kann der Bundestag - in dessen Namen die Linksfraktion in Karlsruhe vorstellig wurde - eigentlich den Bundestag auf Erlass eines Gesetzes verklagen? Von der Richterbank hörte man größte Zweifel.

Wie gesagt: eine Ouvertüre. Wenn es kommendes Jahr um die Kernfragen rund um Ceta geht, könnte ein ganz anderer Sound herrschen.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2020
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